Extremwetter-Ereignisse häufen sich. Menschen, Tiere und Natur leiden. Was könnte man gegen den Klimawandel unternehmen? Ein Ratgeber soll beim Balanceakt zwischen Mut und Gleichgültigkeit aus Überforderung helfen.
Mit dem Klimawandel geht es manchen wie mit einem Zimmer, das man ins Chaos gestürzt hat: Es würde helfen, aufzuräumen und Schaden zu begrenzen. Also zu handeln, statt sich handlungsunfähig mit einem schlechten Gewissen herumzuplagen. Aufräum-Videos von Influencern sind deshalb beliebt.
Ungleich wichtiger ist eine To-do-Liste, die von Experten in Bezug auf den Klimaschutz erstellt worden ist. Eine Gruppe von Psychologinnen und Psychologen hat wissenschaftliche Erkenntnisse zusammengestellt, daraus Tipps abgeleitet und in einem Handbuch mit dem Titel „Klimabewegt – Die Psychologie von Klimaprotest und Engagement“ niedergeschrieben. Die wissenschaftliche Ausarbeitung soll uns dabei helfen, den Klimawandel zu bewältigen, ausgehend vom Gedanken, dass sich die Gesellschaft sowohl im beruflichen Alltag als auch in der Freizeit ändern muss, um etwas zu bewegen. Nicht nur Einzelne. Sondern die Gemeinschaft, die hierfür „kollektives Handeln“ nutzt. Der Weg, wie ihn „Klimabewegt“ beschreibt, führt über „Veränderungen in den Köpfen, Herzen und Handlungen“ der Menschen. Hinzu kommen Veränderungen der sozio-politischen Strukturen, in denen sie leben.
Da geht es besonders um den „ökologischen Handabdruck“, der beispielsweise mit dem gemeinsamen Einsatz für klimafreundlicheres Essen in der Kantine oder für eine umweltfreundlichere Infrastruktur zu tun hat. Der als kollektiv gedachte ökologische Handabdruck im Sinne der Autoren handelt vom Einfluss einer Person auf andere. Ein Einfluss, der in die Veränderung einer Gesellschaft münden kann.
Kollektives Handeln
Womit wir beim „kollektiven Klimahandeln“ angelangt sind: Soziale Identifikation mit emotionaler Verbundenheit, moralische Überzeugungen mit moralischen Emotionen sowie moralische Wirksamkeit mit partizipativer Wirksamkeit bilden Kernstücke eines Modells für „kollektives Klimahandeln“.
Am Anfang stand wenig Geld: Zunächst haben die sechs Autorinnen und Autoren, die zum 2015 von Karen Hamann mitgegründeten „Wandelwerk“ gehören, in einem Crowdfunding-Projekt Geld für die Produktion ihres Ratgeber-Werks gesammelt. Da mit einem knapp fünfstelligen Betrag mehr Unterstützung hereinkam, als das Finanzierungsziel vorgab, kann das E-Book jetzt kostenlos als PDF beim herausgebenden Münchner Oekom-Verlag heruntergeladen werden. Die psychologische Anleitung, wie der Klimawandel gemeinschaftlich bewältigbar wird, gibt es außerdem – auf Recyclingpapier gedruckt – zu kaufen.
Auch Kritikerinnen der Klimabewegung will das Buch ansprechen. Speziell richtet es sich an Aktivisten, engagierte Bürgerinnen, Politiker, Wissenschaftlerinnen sowie Lehrer und Menschen, die am sozial-ökologischen Wandel und seiner psychologischen Wirkung als systemisches Mittel gegen den Klimawandel interessiert sind.
Zum Hintergrund: Das Buchprojekt wurde vom EU-Programm „Erasmus Plus“ gefördert. Die Verfasserinnen, die in der Klimagerechtigkeitsbewegung aktiv sind, wollen mit „Klimabewegt“ jahrzehntelange Erkenntnisse aus der psychologischen Forschung in den praktischen Umweltschutz bringen. Um eine breitere Grundlage zu haben, fließen ins Buch neben der Forschung zu kollektivem Klimahandeln auch Studien zu anderen Bewegungen kollektiven Handelns, etwa dem Tierschutz, ein.
„Zusammen haben wir über 50 Jahre Erfahrung in Aktivismus, Protest und Engagement gesammelt und arbeiten in der Wissenschaft, der Bildung für Nachhaltige Entwicklung und Umweltschutzkampagnen“, sagen die Autoren von sich. Bewusst wollen sie zwei Perspektiven einbringen: die distanzierte, beobachtende Wissenschaftssicht und die Erfahrungssicht der Klimaschutz-Praktiker.
Schnell fällt beim Lesen auf, dass die Autoren gegen eine gewisse Erschöpfung in Sachen Klimaschutz und Klimabewusstsein anschreiben, vor allem derjenigen, die seit 2016 für den Klimaschutz auf die Straßen gehen und teils Burn-out-Erscheinungen aufweisen: Weil sich die Rahmenbedingungen nicht schnell genug ändern, um die Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu begrenzen.
Umsetzbare Empfehlungen
In diesem Sinne geht es in Kapitel fünf um die Rolle der wahrgenommenen Wirksamkeit im Lichte von Erfolg und Misserfolg. Und in Kapitel acht fassen die Autorinnen aktuelle Erkenntnisse zu den Ursachen und Folgen von Aktivismus-Burn-out zusammen und ziehen daraus Schlussfolgerungen für resilientes kollektives Handeln.
„Während kollektives Klimahandeln eine geeignete Bewältigungsstrategie in Bezug auf Klimaangst sein kann, könnte Aktivismus-Burn-out ein demotivierender Faktor für die initiale Teilnahme sein. Wenn eine Person sieht, wie oft klimaengagierte Freunde und Freundinnen verzweifelt sind und kurz vor dem Burn-out stehen, überlegt sie sich vermutlich zweimal, ob sie mitmachen möchte“, heißt es in Kapitel acht.
Am Anfang des Buches steht die Aufforderung, sich selbst Fragen zur Psychologie des kollektiven Klimahandelns zu überlegen, die die Leser mitbringen. Den Abschluss bilden „Leitlinien für die (Neu-)Bewertung von Zielen in Klimagruppen und für die Auswahl geeigneter psychologischer Strategien zur Förderung von Klimaprotest und Engagement“.
Martijn van Zomeren, Professor für Sozialpsychologie an der Rijksuniversiteit Groningen, Niederlande, betont in seinem Vorwort, dass das Buch praktische Wege aufzeige, gemeinsam mutig zu sein. Van Zomeren schreibt: „Diese Wege basieren auf jahrzehntelanger akademischer Theorie und Forschung, was bedeutet, dass sie mit einem modernen wissenschaftlichen Verständnis der Psychologie des Klimahandelns übereinstimmen.“ Den Autorinnen sei es gelungen, diese Erkenntnisse in „konkrete, umsetzbare Empfehlungen und Leitlinien“ zu übersetzen. So verbinde das Buch die psychologische Wissenschaft darüber, was Menschen zum Klimaschutz bewegt und motiviert, mit „der dringenden Notwendigkeit“ zum gemeinsamen Handeln. „Ich kann das Buch allen empfehlen, die auf der Suche nach mehr Hoffnung und Mut im Umgang mit der wohl größten Herausforderung unserer Zeit sind“, betont der Professor für Sozialpsychologie.
Was mir gefällt: Das Buch und seine Verfasserinnen können sich das Verdienst anrechnen, etwas zu unternehmen. Andere zu ermutigen. Gegen dumpfe Verzweiflung oder Verleugnung. Nicht zu sagen: „Ich kann eh nichts bewirken.“ Oder aus der kollektiven Perspektive zu resignieren, im Sinne von: „Auch alle Deutschen oder Europäer zusammen können den Klimawandel nicht aufhalten.“
Was mir ein leises Unbehagen verursacht: Psychologie wird instrumentalisiert, um Anleitungen zu geben. Mit dem Beweggrund, Gefühle zu nutzen, um Menschen im kollektiven Klimahandeln bei der Stange zu halten. Immerhin: Das Ganze geschieht öffentlich und transparent. Und manipulative oder motivierende Strategien kommen auch andernorts vor, ob in der Werbung oder in der Mitarbeiterführung.
Fazit: Reinschauen lohnt sich. Die differenzierenden Kapitel inspirieren auf jeden Fall dazu, sich mit der eigenen Position und den eigenen Möglichkeiten im Klimawandel mutig auseinanderzusetzen.