Das Team von Alba Berlin wurde in der abgelaufenen Saison durch einige Rückschläge geschwächt. Die Vizemeisterschaft ist daher aller Ehren wert. Vom Alba-Weg wollen die Verantwortlichen nicht abweichen.
Zwei Tage nach dem schmerzhaften Ende der verlorenen Finalserie gegen Bayern München gab es für Alba Berlin eine Nachricht, die zumindest etwas über den verpassten Meistertitel hinwegtröstete. In einer Mitteilung der Euro League erfuhr der Basketball-Bundesligist, dass er auch in der kommenden Saison im höchsten europäischen Club-Wettbewerb mitspielen darf. Das Startrecht ist für den neben Bayern München zweiten deutschen Topclub keineswegs selbstverständlich, denn Alba besitzt dort – anders als der Erzrivale – kein Dauerstartrecht. Er muss jährlich um eine Wildcard zittern, mal mehr und mal weniger. In diesem Jahr eher mehr. Die im Vergleich zu den meisten Euro League-Clubs eher geringe Finanzkraft konnte Alba in der abgelaufenen Saison auch nicht durch sportlich starke Ergebnisse kompensieren. Bei einer Bilanz von fünf Siegen zu 29 Niederlagen hatte das abgeschlagene Schlusslicht auch sportlich wenig Argumente für einen Verbleib im Zirkel der Besten. Doch die Liga nahm den deutschen Hauptstadt-Club erneut auf.
Und so darf Alba ab dem 3. Oktober in seine nunmehr sechste Euro League-Saison gehen und weiter an seinem internationalen Renommee arbeiten. Die Club-Verantwortlichen freut vor allem die frühzeitige Planungssicherheit. Es macht für die Etatplanungen schon einen erheblichen Unterschied, ob man mit oder ohne die Einnahmen aus dem Premium-Wettbewerb rechnen kann. Auch sportlich ist es ein Riesenunterschied – allerdings nicht nur positiv. Zwar lassen sich mit der Aussicht auf Euro League-Spiele qualitativ deutlich stärkere Spieler nach Berlin locken. Auf der anderen Seite stellt die Doppelbelastung für Alba auch ein enormes Problem dar. Die abgelaufene Saison hat allen Berlinern deutlich vor Augen geführt, dass das Mammut-Programm mit den aktuellen Strukturen im Club nur schwer zu stemmen ist. „Es geht nur ums Überleben“, hatte Trainer Israel Gonzalez zwischendurch bewusst überspitzt gesagt.
Fünf Siege, 29 Niederlagen
Zeit zum Trainieren für das intensive und sehr spezielle Alba-System blieb angesichts der vielen Reisen und Spiele während der Saison so gut wie keine, und die Spieler zahlten einen hohen Preis. Von den 16 Spielern im Kader war aufgrund von Verletzungen, Erkrankungen oder Überbelastungen teilweise nur die Hälfte einsetzbar. Vor allem auf den großen Positionen war die Not groß. „Dieses Jahr ist es wirklich unglaublich“, sagte Gonzalez. Angeschlagene Spieler wie Kapitän Johannes Thiemann bissen auf die Zähne und absolvierten mehr Spielminuten als es gut für ihre Genesung gewesen wäre. Aber es ging zwischenzeitlich nicht anders. Umso bemerkenswerter war es, dass es Alba trotz der großen Personalnot bis ins Play-off-Finale geschafft hat und dort dem großen Titelfavoriten Bayern ordentlich Paroli bieten konnte.
„Ich bin wirklich stolz auf jeden Einzelnen. Wie wir gekämpft haben, gegen alle Widerstände. Ich glaube, ein anderes Team hätte da schon früher aufgegeben“, sagte Thiemann nach dem 82:88 im letzten Heimspiel der Saison, der das 1:3 gegen den Dauerrivalen und damit die Niederlage perfekt machte. „Wir haben alles gegeben, was wir hatten“, ergänzte der Weltmeister. In den Stolz mischte sich aber auch ein Gefühl des Ärgers: „Ich hatte das Gefühl, dass mehr drin war.“ Bei Malte Delow flossen sogar Tränen der Enttäuschung. Der 23-Jährige haderte mit der verpassten Titelchance und auch mit seiner eigenen Leistung. „Das war das erste Finale, das ich verloren habe. Wie das Spiel gelaufen ist, bin ich nicht zufrieden. Ich habe das Gefühl, dass ich nicht alles hinbekommen habe, was ich mir vorgenommen habe“, sagte der Allrounder. Delow sollte nach den Ausfällen der drei Point Guards Martin Hermannsson, Matteo Spagnolo und Žiga Samar in die Spielmacher-Rolle schlüpfen. Das gelang ihm gut, wenn auch erwartungsgemäß nicht überragend. Auch auf den 23-jährigen Jonas Mattisseck, genau wie Delow bei Alba ausgebildet und inzwischen nicht mehr aus dem Profikader wegzudenken, war in der schwierigen Saison Verlass. Die beiden Eigengewächse dürften aus der Saison, in der sie mehr Spielanteile bekamen als geplant, gestärkt hervorgehen. Delow und Mattisseck seien „das Herz und die Seele dieser Mannschaft“, meinte Hermannsson: „Sie machen alles, was von ihnen verlangt wird. Keine Entschuldigungen, keine Ausreden. Das ist das Alba-Herz in seiner reinsten Form.“ Delow als sein zeitweiser Vertreter imponiere ihm vor allem menschlich, meinte der Isländer: „Er hört gut zu, er lernt, übernimmt Verantwortung – und das mit nur 23 Jahren.“ Dass sein junger Teamkollege nach dem verlorenen Finale emotional angefasst war, fand Hermannsson nur menschlich. „Jeder darf und sollte weinen. Lass die Emotionen raus. Das ist normal“, sagte der 29-Jährige: „Du hast das ganze Jahr dafür geackert. Und dann ziehst du am Ende den Kürzeren. Das bricht dir erst mal das Herz. Aber es geht weiter im nächsten Jahr.“
„Alba-Herz in seiner reinsten Form“
Genau das muss die Devise sein – findet auch Sportdirektor Himar Ojeda. „Es ist schön, dass es wehtut, denn wir hatten Optionen zu gewinnen“, sagte der Spanier. Er erinnerte aber auch daran, dass ein Final-Duell auf Augenhöhe mit den Münchenern lange Zeit fast undenkbar schien: „Wer hätte das vor einem Monat gedacht? Oder vor sechs Monaten?“ Sich überhaupt in die Rolle des ernsthaften Herausforderers gekämpft zu haben, sei schon „ein großartiger, unglaublicher Erfolg von allen“, meinte Ojeda: „Wir hatten eine schwierige Saison mit einem Umbruch mit vielen neuen Spielern und Chancen für jüngere Spieler. Und sie haben bis zur letzten Sekunde geliefert.“ Auch Trainer Gonzalez bekräftigte: „Jeder Spieler hat sich verbessert, genauso wie die ganze Mannschaft.“
In der Tat stellen sich die Entscheidungen in der schwierigen Saisonphase als richtig heraus. „Wir hätten etwas verändern können, einen neuen Spieler holen oder den Trainer entlassen“, sagte der Sportdirektor: „Aber das ist nicht Alba. Das wären nicht wir.“ Der Club blieb sich selbst treu, und das will er auch in der neuen Saison tun. Die Philosophie, Stars zu entwickeln statt Stars zu kaufen, ist gesetzt. „Unser Fundament basiert auf langfristiger Verbesserung“, erklärte Ojeda: „Solange alle darauf aufbauen, wird sich das am Ende auch zeigen.“ Wichtig wird aber auch sein, nicht schon wieder so viele Leistungsträger zu verlieren wie im Vorjahr. Allerhöchste Priorität hat die Vertragsverlängerung mit Kapitän Thiemann, der genau wie Matt Thomas gehalten werden soll. „Er ist ein sehr wichtiger Teil für uns. Ich hoffe, er zieht es in Betracht bei uns zu bleiben, und ich denke, er wird es tun“, sagte Ojeda über Thiemann, der in dieser Spielzeit noch mehr Verantwortung übernehmen musste und dieser Sache mehr als gerecht wurde.
An Thiemann könnten auch die Jungprofis Delow und Mattisseck weiter wachsen, um irgendwann vielleicht einmal dessen Führungsrolle einzunehmen. „Diese Mannschaft hat Herz und Seele. Gerade die Berliner Jungs um Malte Delow“, sagte Coach González: „Ich bin sehr stolz.“ Auch Delow fand schnell zurück in eine positivere Haltung. „Es war schön zu sehen, wie wir von Spiel zu Spiel weiter zusammengewachsen sind“, sagte er: „Das müssen wir mitnehmen in die nächste Saison.“ Es sei wichtig gewesen zu sehen, „dass wir wirklich jedes Team schlagen können“. Selbst in einer Saison voller Rückschläge.