In Frankreich und Deutschland dürfte das Regieren bald schwieriger werden
Nach dem Durchmarsch des rechtspopulistischen „Rassemblement National“ (RN) bei der Europawahl am 9. Juni zog Frankreichs Präsident Emmanuel Macron noch am gleichen Abend die Reißleine: Er löste die Nationalversammlung auf und setzte Neuwahlen an.
Nach Ansicht vieler Beobachter kamen bei dieser Blitz-Aktion nur zwei Deutungen infrage. Entweder Macron gelingt mit diesem hochriskanten Manöver, dass sich im neuen Parlament eine republikanische Mehrheit gegen den RN formiert. Das wäre dann ein Genie-Streich. Oder der Präsident ist ein Hasardeur, der in Kauf nimmt, dass der RN um Marine Le Pen stärkste Partei wird und dann traditionsgemäß den Ministerpräsidenten stellt.
Letzteres wäre für Macron ein politischer Tod auf Raten. Denn eine „Cohabitation“ – wenn Präsident und Premier zwei politisch gegensätzlichen Lagern angehören– ist per se mit vielen Reibungen verbunden. Ein Regierungstandem zwischen Macron und dem Rechtsaußen-Mann Jordan Bardella würde auf einen monumentalen Machtkampf hinauslaufen. Dieser quälende Prozess könnte Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2027 den Weg in den Elysée-Palast ebnen.
Kurz vor dem ersten Durchgang der Neuwahl des Parlaments am kommenden Sonntag deutet vieles auf die zweite Variante. Laut einer Umfrage für die Zeitung „Le Parisien“ kommt der RN derzeit auf 35,5 Prozent der Stimmen, gefolgt vom links-grünen Wahlbündnis Neue Volksfront mit 29,5 Prozent. Die liberale Allianz Macrons liegt demnach mit 19,5 Prozent abgeschlagen auf dem dritten Platz.
In Frankreich macht sich Macron-Müdigkeit breit. Der Präsident galt einst als Quereinsteiger, der das verknöcherte Polit-System Frankreichs aufzubrechen versprach. Inzwischen wird er selbst in weiten Teilen der Bevölkerung als Verkörperung des Establishments angesehen.
Für die deutsch-französische Partnerschaft und für die EU bedeutet das nichts Gutes. Zwischen Paris und Bonn beziehungsweise Berlin herrschte zwar nie nur eitel Sonnenschein. Aber die prinzipielle Abstimmung zwischen beiden Regierungen war für Europa immer zwingend nötig. Und auf der Arbeitsebene hat das auch immer funktioniert, selbst wenn es an der Spitze hin und wieder mal Misstöne gab.
Sollte der RN in Frankreich zur bestimmenden Kraft werden, würde Europa in schwere Turbulenzen geraten. Denn die Rechtspopulisten haben mit der Gemeinschaft nicht viel im Sinn, auch nicht mit der deutsch-französischen Kooperation. Ihnen schwebt eine EU à la carte vor. Die Brüsseler Kommission soll eine Art Generalsekretariat der Nationalstaaten werden, ohne wirkliche Kompetenzen.
Die Schwäche des liberalen Lagers um Macron hat seine Entsprechung in Deutschland. Die Parteien der Ampelkoalition haben laut Umfragen im Bund schon lange keine Mehrheit mehr. Bei den Landtagswahlen im September in Thüringen, Sachsen und Brandenburg droht ein politisches Beben: In allen drei Ländern könnte die AfD stärkste Partei werden. Nach einer Umfrage des Instituts Insa in Sachsen landet die AfD mit 32 Prozent auf Platz eins, zwei Prozentpunkte vor der CDU. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) kommt demnach auf 15 Prozent. SPD und Grüne liegen bei jeweils fünf Prozent, die Linke bei vier und die FDP bei zwei Prozent. Der Leitspruch des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke ist eine Kampfansage an Brüssel: „Die EU muss sterben, damit das wahre Europa leben kann.“
Im Osten dürfte es schwer werden, Koalitionen ohne Beteiligung der AfD zu bilden. Das Regieren wird komplizierter werden. Das trifft aber auch auf die nationale Ebene zu. Gut ein Jahr vor der Bundestagswahl im September 2025 lässt sich bereits absehen: Es wird mühsam, politische Bündnisse zu schmieden, da die Fliehkräfte größer werden. Das lähmt Berlin und Brüssel.
Auf die deutsch-französischen Beziehungen und auf Europa kommen schwere Zeiten zu. Die EU muss sich zum Vorwurf machen, Bürokratisierung und Regulierungswut auf die Spitze getrieben zu haben. Die Antworten auf die Migrationskrise kamen zu spät und waren zu halbherzig. Die Sehnsucht nach nationaler Nostalgie und Abschottung ist allerdings eine Illusion. Protektionismus schützt die Wirtschaft nicht. Vielmehr treibt er die Preise für Unternehmen und Verbraucher in die Höhe. Die Briten haben den süßen Traum vom Brexit teuer bezahlt.