Ein Gespräch mit Cem Özdemir (Grüne), dem Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, über Bauernproteste, das oft widersprüchliche Verhalten der Konsumentinnen und Konsumenten, Tierschutz, Bürokratie und den Spaßfaktor des Ministeramts.
Herr Minister, in den letzten Monaten wurde viel über die Anliegen der Landwirtschaft gesprochen. Die Bäuerinnen und Bauern fordern bessere Bedingungen, mehr Planungssicherheit und Unterstützung. Gleichzeitig erwartet die Gesellschaft, dass Tiere besser gehalten sowie Umwelt und Klima geschützt werden. Wie soll das alles zusammen gehen?
Die Landwirtschaft gehört zu Deutschland und ist Teil unserer Kultur und Identität. Und sie versorgt uns jeden Tag mit hochwertigen Lebensmitteln, die Regale im Supermarkt füllen sich ja nicht von selbst. Wir haben also ein originäres Interesse daran, dass wir die Landwirtschaft möglichst in all ihrer Vielfalt erhalten und für die Zukunft gut aufstellen. Das Konsumverhalten und die gesellschaftlichen Ansprüche ändern sich, die Klimakrise nimmt an Fahrt auf, Kriege und Konflikte wirken sich auf die Betriebe aus. Das alles müssen wir berücksichtigen. Wie wichtig der richtige Rahmen ist, um die Landwirtschaft zukunftsfest zu machen, haben die Bauernproteste Anfang des Jahres gezeigt.
Auslöser waren die über Nacht von den Koalitionsspitzen beschlossenen Einsparungen, unter anderem auch im Bereich der Landwirtschaft …
… und zwar ohne dass man mit dem Berufsstand oder mit dem Landwirtschaftsminister vorher gesprochen hatte. Man hätte sich viel Ärger ersparen können, hätte man das anders gemacht. In der Politik geht es doch darum, dass wir den Menschen zuhören, die unterschiedlichen Interessen abwägen und gemeinsam zu Lösungen kommen. Bei den Protesten ging es schnell nicht mehr um den Wegfall der Agrardieselbeihilfe, das war nur der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hatte. Davor ist es viele Jahre lang gut gefüllt worden. Letztlich ging es um die Frage: Was braucht es, damit die Landwirtinnen und Landwirte gut arbeiten können? Es geht einerseits um Wertschätzung, die drückt sich auch in angemessenen Preisen aus und da sind wir als Verbraucher alle gefragt. Das fängt ja damit an, dass wir möglichst die Produkte aus Deutschland kaufen, gerne aus der Region.
Und andererseits?
Wir müssen den Landwirtinnen und Landwirten gute Rahmenbedingungen und Planungssicherheit ermöglichen, damit sie auch in 10, 20 oder 50 Jahren gute Ernten einfahren. Für mich ist der Abbau unnötiger bürokratischer Belastungen ein zentrales Thema, dem wir uns seit Legislaturbeginn widmen. Das ist eine kleinteilige und mühsame Daueraufgabe, die in der breiten Öffentlichkeit wenig Beachtung findet. Aufräumen macht vermutlich den wenigsten Spaß. (lacht) Aber ich habe da einen gewissen Eifer, den ich hier ausleben kann. Wenn ein Landwirt abends Feierabend machen und mit der Familie einen Film gucken kann, statt noch unnötigen Papierkram zu erledigen, dann haben wir doch schon viel gewonnen.
Bürokratieabbau ist ein Begriff, unter dem sich die wenigsten etwas vorstellen können. Können Sie uns da ein Beispiel geben?
Gerne. Bislang war es etwa so, dass ein Landwirt jedes Jahr umständlich nachweisen musste, dass er auch der Betriebsinhaber ist, um Geld aus der europäischen Agrarförderung zu erhalten. Damit ist nun Schluss und es reicht, grob gesagt, wenn er sagt, dass sich nichts geändert hat. Ein anderes Beispiel: Wenn ein Bauer eine Scheune auf seine Weide bauen will, muss er sich das nach Bau- und Planungsrecht genehmigen lassen. Zudem muss er das gleiche nochmals nach Agrarrecht beantragen. Diese unnötigen Doppelungen beenden wir und es reicht der Verweis auf das erste Verfahren. Sie sehen, Bürokratieabbau ist keine Raketenwissenschaft. Man muss es wollen.
Einige landwirtschaftlichen Verbände kritisieren, dass bestehende Gesetze oder neue Regelungen – etwa das neue Düngegesetz – eine Belastung seien. Ist das so?
Der Abbau unnötiger Bürokratie darf nicht als Deckmantel für andere Interessen herhalten. Ich kenne die Argumentation von manchen, dass wir das mit dem Klima-, Umwelt oder Artenschutz doch jetzt mal lieber sein lassen sollten. Diese Strategie rächt sich, denn die Klimakrise etwa macht keine Pause. Unsere Landwirtschaft ist wie keine andere Branche auf gesunde Lebensgrundlagen – etwa Wasser, Artenvielfalt, gesunde Böden – angewiesen. Das gilt es zu bewahren. Welch katastrophale Folgen die Klimakrise für Mensch, Natur und Landwirtschaft hat, haben jüngst die schrecklichen Überflutungen gezeigt. Niemandem ist geholfen, wenn wir das ausblenden. Und was das Düngegesetz angeht: Die Novelle war nötig, um das EU-Vertragsverletzungsverfahren wegen der hohen Nitratbelastung im Grundwasser abzuwenden. Uns hätten Strafen gedroht von mehr als einer Million Euro – am Tag! Die Vorgängerregierungen haben den Betrieben jahrelang vermittelt, dass sich nichts ändern müsste. Umso größer war hinterher der Ärger. Verantwortungsvolle Politik heißt für mich, dass man ehrlich zu den Menschen ist und dann gemeinsam Lösungen sucht.
Das Leben ist ja das, was passiert, während man Pläne macht oder umzusetzen versucht. Wie weit sind denn das Leben und der Plan zurzeit auseinander?
Verbraucherwünsche, Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen, Planungssicherheit für die Betriebe – das mag manchmal schwer vereinbar erscheinen, ist aber nicht unmöglich. Das setzt einen breiten gesellschaftlichen Konsens voraus und die gute Nachricht ist: Den gibt es mit den Empfehlungen der ZKL, also der Zukunftskommission Landwirtschaft, in der der Bauernverband, die Umweltseite und viele andere Akteure vertreten sind. Auf der Basis haben wir einiges geschafft. Etwa beim Umbau der Tierhaltung. Die Tierhaltungskennzeichnung, an der meine Vorgängerinnen und Vorgänger gescheitert sind, ist nun Gesetz. Für den Stallumbau, damit die Tiere mehr Platz bekommen, habe ich eine Milliarde Euro organisiert. Und für alle Kunden an der Fleischtheke sichtbar gilt seit Februar eine Herkunftskennzeichnung. Die deutsche Landwirtschaft kann auf diese Weise mit dem „Made in Germany“ punkten. Mich sorgt jedoch, dass sich die Union von dem breiten ZKL-Konsens verabschiedet und meint, man würde den Landwirtinnen und Landwirten helfen, indem man einfach gar nichts macht. Diese Politik hat jedoch viele Probleme erst verursacht – und das, was die Bauerproteste thematisiert haben, geht oft darauf zurück.
Was meinen Sie damit konkret?
Die Tierhaltung ist ein schönes Beispiel. Die Verbraucher wollen, dass Tiere besser gehalten werden und mehr Platz haben – das kostet Geld und ich finde, dass die Rechnung nicht von den Landwirten allein gezahlt werden sollte. Also setze ich mich für eine Finanzierungslösung ein, etwa über einen Tierwohlcent oder eine höhere Mehrwertsteuer. Diese Ideen sind schon unter meiner Vorgängerin entstanden. Aber jetzt ist die Union dagegen, weil ich offenbar das falsche Parteibuch habe. Man kann ja gegen etwas sein, sollte dann aber schon einen umsetzbaren Gegenvorschlag machen. Bislang warte ich vergebens.
In kaum einem europäischen Land geben die Menschen einen so geringen Anteil ihres Einkommens für Lebensmittel aus wie in Deutschland. Woran liegt das aus Ihrer Sicht? Und wie kann es gelingen, das Bewusstsein dafür, was Lebensmittel wert sind, zu schärfen?
Natürlich verstehe ich, dass aufgrund der Inflation viele Menschen gerade mehr aufs Geld schauen müssen. Und wir haben als Koalition geholfen, um das aufzufangen. Zur Wahrheit gehört, dass wir nicht alle Folgen von Putins verbrecherischem Angriffskrieg gegen die Ukraine ungeschehen machen können. Aber es ist schon ein deutsches Phänomen: Man kommt in den Laden – findet Tierwohl gut, will Klima und Umwelt schützen – und dann greift man doch zum billigeren Produkt. Doch es tut sich was, wie unsere Zahlen zeigen. Hier setzen wir übrigens auch mit der Ernährungsstrategie der Bundesregierung an. Wir wollen gutes und gesundes Essen für alle Menschen leichter zugänglich machen. Dafür wollen wir die Angebote verbessern im Supermarkt oder in der Gemeinschaftsverpflegung, in der Kantine oder Mensa und von Kitas und Schulen.
Dass ein Großteil der Lebensmittel in Betrieben der Agrarindustrie erzeugt wird und ein Großteil des Fleisches aus Massentierhaltung kommt, führt zu keinem großen Aufschrei der Konsumentinnen und Konsumenten? Schauen die Menschen weg, solange der Preis für sie stimmt? Oder haben die meisten Menschen in Deutschland eine zu romantische Vorstellung von Landwirtschaft?
Es stimmt schon, dass viele Menschen nicht mehr wissen, wie die Arbeit auf einem Hof wirklich aussieht. Ich wäre deshalb sehr dafür, wenn unsere Kinder mit der Schulklasse auf die Höfe fahren oder dort ein Praktikum machen würden. Das hätte auch zur Folge, dass sie den Wert der Lebensmittel zu schätzen wissen, wenn sie sehen, dass dafür andere hart arbeiten müssen. Unser Ernährungsreport zeigt übrigens auch, dass die Menschen durchaus wissen wollen, woher ihr Essen kommt. Sie legen Wert auf regionale Herkunft, unsere Landwirte sind ihnen also alles andere als gleichgültig. Und auch der von der Borchert-Kommission vorgeschlagene und jetzt wieder diskutierte Tierwohlcent wird – da bin ich mir sicher – von den Bürgern verstanden und von den meisten sogar gern gezahlt werden: Weil es schlicht eine sinnvolle Idee ist, die im Geldbeutel kaum spürbar ist, den Landwirtinnen und Landwirten und letztlich den Tieren aber enorm hilft.
Der Bauernverband sucht die Machtprobe mit der Regierung, obwohl sie auf fast alle Forderungen eingegangen ist. Wobei: Eigentlich scheint sich der Protest aber vor allem gegen die Grünen zu richten – gegen Sie und Robert Habeck. Ducken sich Ihre Koalitionspartner geschickt weg?
Natürlich bin ich der erste Ansprechpartner für die Landwirtschaft. Bei den Bauernprotesten habe ich jede Gelegenheit genutzt, um bei den Kundgebungen zu reden oder um ins direkte Gespräch zu kommen. Ich sage immer: Schwätze muss ma mit de Leut! So kommt man in einer Demokratie zu Lösungen, nicht nur, was die Landwirtschaft angeht. Dieser Ansatz verbindet mich übrigens mit unserem Vize-Kanzler Robert Habeck, der ja auch mal Agrarminister war. Aber ich denke auch, dass Landwirtschaft alle in der Koalition angeht und jeder seinen Teil dazu beitragen kann, dass es den Betrieben besser geht.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen spricht von einem „Strategischen Dialog zur Zukunft der Landwirtschaft in der EU“. Sie verspricht sich davon „eine klare Zukunftsvision zum Nutzen aller“. Wie könnte diese Vision aus deutscher Sicht aussehen?
Die Richtung habe ich ja gerade bereits skizziert. In vielen Punkten wie der Weiterentwicklung der Tierhaltung, von Verbraucherinformationen und beim Pflanzenschutz sind wir in Deutschland bereits auf einem guten Weg. Aus Brüssel habe ich in dieser Hinsicht oft nur Ankündigungen gehört, auf die dann nichts folgte. Wir mussten dann auf nationaler Ebene selbst vorangehen. Frau von der Leyen hat sich für den strategischen Dialog einen – salopp gesagt – meiner besten Mitstreiter, den Vorsitzenden der erfolgreichen Zukunftskommission Landwirtschaft, Herrn Professor Strohschneider, nach Brüssel geholt. Jetzt muss sie aber auch liefern.
Was sagen Sie nach zweieinhalb Jahren im Amt: Ist Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ein Traumjob?
Ich bin sehr viel im Land und in der Natur unterwegs und komme dort mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch. Ich empfinde das als großes Privileg und lerne dabei unwahrscheinlich viel über die Vielfalt unserer Heimat. Politik ist immer dann intensiv und spannend, wenn man etwas verändern, gestalten und verbessern kann – im Bereich der Landwirtschaft und Ernährung ist das der Fall. Wie dringend das nötig ist, dürfte nach den letzten Monaten allen klargeworden sein. Und in diesem Sinne will ich bis zum Ende der Legislatur auch weitermachen.