Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang fanden drastische Worte. Deutschland stehe „unter erheblichem Druck“ durch Spionage, Sabotage, Desinformation, Cyberangriffe, Extremismus und Antisemitismus.
Tausende Menschen sind am Alexanderplatz auf den Beinen, es geht gegen den Krieg im Gazastreifen. Die Berliner Polizei und ihre Kollegen von der Bundespolizei sind diesbezüglich seit Monaten im Dauereinsatz. Dazwischen mischen sich auch immer Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, um die Lage zu sondieren. Keine leichte Aufgabe für die Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes in den heutigen Zeiten.
Sie sollen auch vor Ort Informationen sammeln, doch die fundamentalistische Gemengelage zum Beispiel beim Antisemitismus ist erheblich unüberschaubarer geworden. Für Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) spielt das bei der Abwehr von radikalen Kräften gegen die Demokratie eine zentrale Rolle. „Dabei ist leider zu beobachten, dass Rechts- und Linksradikale bei Demonstrationen mit islamistischen Demonstranten zusammentreffen und dann gemeinsam antisemitische Parolen rufen. Das wäre vor dem 7. Oktober des letzten Jahres noch undenkbar gewesen, heute ist es tatsächlich Realität. Die Sicherheitsbehörden stehen da vor völlig neuen Herausforderungen“, so Faeser.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, aber auch der Präsident des Bundeskriminalamtes, Holger Münch, bestätigen diese Entwicklungen in den letzten Monaten. Dabei wird es für die beiden obersten Ermittlungsbehörden immer schwerer, die Täter im „Klarfeld“, also zum Beispiel bei Demonstrationen, aufzuklären. Die Zeiten, wo die amtlichen Beobachter und Zuträger des Verfassungsschutzes oder verdeckte Ermittler des BKA oder der Landeskriminalämter einfach in bestimmte Gruppen einsickern konnten, die sich face to face bei entsprechenden Veranstaltungen treffen, sind lange vorbei.
Seit dem Terror-Anschlag auf Israel am 7. Oktober durch die Hamas können die polizeilichen Ermittler die antisemitischen Straftaten nicht immer eindeutig zuordnen. Sind es Links- oder Rechtsextremisten oder kommen die Gewalttaten aus dem islamistischen Umfeld? Wobei die Gefahrenlage ein weiteres Paradoxon aufwirft. Gerade rechte Gruppen propagieren in den sozialen Netzwerken immer wieder den Kampf gegen in Deutschland lebende Muslime, um dann bei Pro-Palästina-Demonstrationen aufzutauchen. Dazu kommen linke Antifa-Gruppen, die schon rein äußerlich von den Rechten nicht wirklich zu unterscheiden sind. Schwarze Hose und schwarzer Kapuzen-Pulli sind auf beiden Seiten Bekleidungs-Standard. Was die Aufklärer von BfV, BKA oder LKA vor Ort spätestens dann bei der Sondierung der Lage etwas überfordert.
Bleibt theoretisch nur die Überwachung im Vorfeld im Internet, doch auch hier ist laut Cyber-Abwehr von Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt die eindeutige Zuordnung von anstehenden Straftaten schwierig, vor allem personalintensiv – was die Landeskriminalämter, die bei den Erstermittlungen zunächst zuständig sind, an Grenzen bringt.
Neben diesen Herausforderungen im Kampf gegen den Antisemitismus kommt nun noch eine neue Herausforderung auf die Ermittler zu, die vor zwei Jahren noch kaum jemand auf dem Schirm hatte: radikalisierte Klimaaktivisten. Böse überrascht wurden die Sicherheitsbehörden in diesem Frühjahr, als Klimaaktivisten einen Strom-Übergabepunkt von der Freileitung auf Erdversorgung im Südosten Brandenburgs abfackelten. Tausende Bewohner in der Region saßen tagelang ohne Strom in ihren Häusern. Das Werk von Elektro-Autobauer Tesla in Grünheide konnte eine Woche nicht arbeiten. „Das war ein klarer Anschlag auf die kritische Infrastruktur, die Menschenleben gefährden kann.“ Für Nancy Faeser eine zukünftige Gefahr, die man ebenfalls nicht außer Acht lassen darf.
Hinter diesen Hinweisen steckt natürlich auch die Botschaft der Bundesinnenministerin, dass bei den anstehenden Haushaltsberatungen in ihrem Ressort und damit beim Bundesverfassungsschutz und dem Bundeskriminalamt nicht gespart werden dürfe, was aber von Finanzminister Christian Lindner eigentlich vorgesehen ist.