Indisches Curry, chinesische Teigtaschen und wilder Pfeffer: Mauritius lockt mit feinsandigen Stränden, kulinarischer Vielfalt und spannenden Gegensätzen.

Wie schmeckt Multikulti? Wer mit Rudy Yip durch die Straßen von Port Louis spaziert, bekommt in zwei Stunden einen umfassenden Eindruck davon. Eigentlich ist Rudy Yip Küchenchef in einem Restaurant, aber die regelmäßigen Streetfood-Touren, die er morgens organisiert und begleitet, sind für ihn eine Art Frühsport. Außerdem ist er ja Koch, das heißt, Essen und die Zubereitung von Lebensmitteln sind sowieso seine Leidenschaft. Doch bei den Food-Touren geht es um mehr: Sie sind nicht nur ein Gaumenschmaus, sondern auch ein Geschichtskurs im Schnelldurchlauf.
Riesenfledermäuse in den Bäumen

Die Insel Mauritius, auf der Port Louis liegt, ist nach dem Holländer Moritz von Oranien benannt. Die Stadt Port Louis wiederum nach dem französischen König Ludwig XV. Vor dem Regierungsgebäude der Stadt steht allerdings keine Statue des französischen Königs, sondern eine Skulptur von Queen Victoria. Das lässt sich leicht erklären: Erst entdeckten Portugiesen und Holländer die Insel, dann war Mauritius als Île-de-France französische Kolonie – und im Jahr 1810 übernahmen die Engländer die Herrschaft. Doch englische, französische und holländische Küche findet man auf der Streetfood-Tour mit Rudy Yip kaum – stattdessen gibt es indische, chinesische und kreolische Gerichte, eingelegtes Obst und Gemüse, chinesische Sesamkugeln und einen leckeren Eis-Shake namens Alouda.

Die Riesenfledermäuse, die wir in den Kronen der Banyan-Bäume sehen, die im Jardin de la Compagnie fast eine Allee bilden, bietet Rudy Yip glücklicherweise nicht zum Verzehr an. „Ihr Fleisch schmeckt süßlich, und obwohl sie unter Naturschutz stehen, werden sie manchmal gegessen“, verrät er. Stattdessen beginnen wir mit indischem Fladenbrot, auch Roti oder Chapati genannt, das mit vegetarischem Gemüsecurry serviert wird – und an dem Stand in einer kleinen Seitenstraße nur CentBeträge kostet. Die Inderin, die es verkauft, trägt einen roten Punkt zwischen den Augenbrauen. „Roti ist sozusagen das Brot der Hindus“, erklärt Rudy Yip. Indische Kultur begegnet uns auf Mauritius noch häufiger, denn nach der Abschaffung der Sklaverei durch die Briten wurden zahlreiche indische Vertragsarbeiter hierher auf die Zuckerrohrplantagen gebracht. „Viele von ihnen mussten sechs oder sieben Jahre umsonst arbeiten, um ihre Reisekosten zu bezahlen“, erzählt Yip. „Früher“, fügt er hinzu, „gab es auf Mauritius nicht nur überall Zuckerplantagen, sondern auch Hunderte von Zuckerfabriken – heute sind es nur noch drei.“ Die Insel galt als die Zuckerdose Englands. Auch unsere nächste Verkostungsstation in einem unscheinbaren Hinterhof serviert ein indisch inspiriertes Gericht: Dahl Puri ist ein flaches Fladenbrot, das mit einer Masse aus gelben Linsen gefüllt und gerollt serviert wird. „Die Familie hier betreibt ihren Stand bereits in der fünften Generation. Sie stehen jeden Morgen um 3 Uhr auf, um mehrere Hundert Fladenbrote zu backen“, erzählt Rudy. Auch für diese leckere Mahlzeit, die diesmal nicht von Hindus, sondern von Muslimen zubereitet wird, zahlt man in Port Louis nur Cent-Beträge.
Einwanderer aus China im 18. Jahrhundert

Beim nächsten Halt dominiert ein süßsaures Aroma: Gurken, Ananas und sogar Kartoffeln werden serviert, eingelegt in einer Essigsoße. Das Gemüse oder Obst schwimmt in großen, mehrere Liter fassenden Gläsern – und wird zum Verzehr in kleine, durchsichtige Plastiktüten abgepackt. Die Kartoffelsorte, die wir hier antreffen, stammt vermutlich aus Afrika, wird hier auf Mauritius aber die Chinesische Kartoffel genannt. Überhaupt wird es bei unseren nächsten Stationen dann auch immer chinesischer – denn nach Mauritius kamen nicht nur Vertragsarbeiter aus Indien, sondern auch Händler und Kaufleute aus China und dem arabischen Raum. „Die ersten Einwanderer aus China kamen 1745. Im Jahr 1944 wurde hier in Port Louis ein sogenanntes Chinatown gegründet, mit über 1.400 Häusern und Geschäften. Seit einigen Jahren gibt es eine New Chinatown Foundation, die es modernisieren will“, berichtet Rudy. Dabei geht man nicht immer ganz traditionell vor – die Straßenkunst und Wandmalereien in der Venpin Street zum Beispiel sind nicht chinesisch, sondern japanisch inspiriert, weshalb die Venpin Street inzwischen auch Manga Street genannt wird. Eindeutig chinesischen Ursprungs ist dagegen unser heutiges Hauptgericht: Mini-Wraps, gefüllt mit Schweine- oder Hühnerfleisch. „Eigentlich sind es kleine chinesische Teigtaschen, aber wir nennen sie mauritische Teigtaschen“, erklärt Rudy. Auf Chinesisch heißen sie Siu Mai. Auch die süßen Desserts, die wir später essen werden, sind chinesischen Ursprungs, allerdings mit etwas anderer Füllung.

Auf dem Weg von Chinatown zum Zentralmarkt kommen wir an der großen Jummah-Moschee vorbei, die zwischen 1850 und 1885 erbaut wurde und wie ein märchenhaftes Bauwerk aus „Tausendundeiner Nacht“ wirkt. „Die Moschee wurde über eine Art Crowdfunding finanziert, auf alle Importe wurde eine Steuer von zwei Prozent erhoben, um den Bau zu ermöglichen“, berichtet Rudy Yip. Die Imame, die hier arbeiteten, kamen anfangs aus Indien. Von dort stammt vermutlich auch die letzte Köstlichkeit des heutigen Tages: ein Milchshake aus Kondens- und Vollmilch, Agar-Agar und Vanilleeis. Das leckere Getränk heißt Alouda Sorbet und wird am Rande des Zentralmarktes verkauft. Nachdem unsere Tour dort offiziell beendet ist, hat Rudy noch einen besonderen Tipp für uns: Mauritius gilt als Gewürzinsel, und er kennt ein Geschäft, in dem Ingwer, Pfeffer, Kurkuma, Paprika, aber auch Gewürzmischungen wie Curry und Vanillestangen besonders günstig verkauft werden. Auch wer dort nichts kauft, erfreut sich zumindest am Duft.
Ein Hotel bietet einiges für Golfurlauber

Die Inselhauptstadt Port Louis, wo auch Kreuzfahrtschiffe anlegen, und wo man im Postmuseum die berühmte blaue Mauritius-Briefmarke, ein wertvoller Fehldruck, sehen kann, ist nur eine Facette der multikulturellen Insel. Die meisten Reisenden kommen natürlich wegen des Sandes und der Strände im Westen und Norden der Insel. Im Osten jedoch sind die Strände besonders feinsandig.

Ein Tipp für Golfer ist das „Hotel Constance Belle Mare Plage“, das seinen Gästen die Nutzung von gleich zwei Golfplätzen ermöglicht, die mit dem Hotel verbunden sind. Auch kulinarische Spezialitäten wie ein prall gefüllter Weinkeller und ein exklusives Sushi-Restaurant sind hier zu finden – im Gegensatz zum Streetfood in Port Louis natürlich nicht zu Cent-Preisen.
Wenige Kilometer südlich des Hotels, in Trou’Eau Douce, starten Katamaranfahrten zur Île aux Cerfs. Zunächst fährt das zweirumpfige Boot, zeitweise schon unter Segeln, Richtung Süden, um sich dann wieder dem Ufer zu nähern, wo wir die Mündung eines Flusses erreichen, der von üppiger grüner Vegetation gesäumt ist. Dort ankert der Katamaran und wir besteigen kleine Boote, die uns gegen eine leichte Strömung flussaufwärts bringen – bis wir nur noch etwa 15 Meter von einem beeindruckenden Wasserfall entfernt sind, den Grand River South East-Wasserfalls, auch GRSE-Wasserfälle genannt. Der Bootsmann dreht das Boot, bis jeder die ideale Fotoperspektive gefunden hat – dann geht es zurück zum Katamaran, wo auf dem Weg zum ersten Schnorchelstopp wieder die Segel gesetzt werden.
Entspanntes Baden innerhalb eines Riffs

Kapitän Wendel Luigville ist dabei die Ruhe selbst, manchmal steht er lässig auf der Sitzbank am Heck und bedient nur mit dem rechten Fuß das Steuerrad. Matrose und Bootsmann Andy Lindsay hat derweil einen Grill an der Reling befestigt und schaschlikähnliche Fleischspieße für das Mittagessen aufgelegt. Er ist es auch, der die Gäste immer wieder mit Getränken versorgt – und als dann noch „Just another day in paradise“ von Phil Collins aus den Boxen dröhnt, sind alle rundum zufrieden. Dass der Schnorchelstopp eher unspektakulär war, und dass auf der Île aux Cerfs nicht nur Souvenirs verkauft werden, sondern auch Bananenbootfahrten und andere Remmidemmi-Unterhaltung angeboten werden, stört da nicht weiter: Man kann nämlich dem Trubel an der Masala-Anlegestelle mit einem etwa 15-minütigen Spaziergang leicht entkommen und dann an den kleinen Stränden im Osten der Insel fast schon ein Robinson-Feeling erleben. Denn auf der Hirschinsel, die früher als Jagdrevier genutzt wurde und auf der vor allem Pinien wachsen, gibt es keine Hotels, sondern nur hochwertiges Glamping in Bubble-Häusern mit freiem Blick in den Nachthimmel. Hinzu kommt ein 18-Loch-Golfplatz mit traumhafter Aussicht auf den Indischen Ozean. Der lädt natürlich auch zum Baden ein – denn die gesamte Insel liegt innerhalb des Riffs, das Mauritius umgibt. Übermäßigen Wellengang müssen Besucher hier also nicht fürchten. Ein größerer Kontrast als zwischen der Île aux Cerfs und dem quirligen Zentralmarkt von Port Louis scheint kaum vorstellbar, doch gerade die Gegensätze zwischen turbulentem Multikulti-Leben, exklusiver Hotellerie und echten Robinson-Crusoe-Erlebnissen machen letztlich den Reiz einer Mauritius-Reise aus.