Warum Menschenrechte nur dann ihre Wirkung entfalten, wenn sie mit Leben gefüllt werden
Vor wenigen Monaten haben wir den 75. Jahrestag der Menschenrechte gefeiert. Am 10. Dezember 1948 verabschiedete die UN-Generalversammlung eine Erklärung, die zwischen 1946 und 1948 von Vertretern der UN-Menschenrechtskommission unter der Leitung der Menschenrechtsaktivistin Eleanor Roosevelt erarbeitet wurde. Losgelöst von kulturellen, philosophischen und religiösen Unterschieden hielten sie in 30 Artikeln Grundprinzipien zu Freiheit, Sicherheit, Bildung, Gesundheit und Wohlbefinden fest – mit dem Wert des menschlichen Lebens im Mittelpunkt.
Die Absicht, nach dem Zweiten Weltkrieg mithilfe von Leitsätzen ein weltweites Signal zu senden und einen universellen Orientierungsrahmen zu schaffen, war lobenswert. Obwohl die Menschenrechtserklärung nicht rechtlich bindend ist, wurden viele ihrer Bestimmungen in internationale Verträge aufgenommen. Die Verabschiedung des „Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte“ sowie des „Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte“ im Jahr 1966 markierte einen wichtigen Schritt hin zur Verbindlichkeit. So sind die Vertragsparteien verpflichtet, regelmäßig Berichte über die Einhaltung der definierten Rechte vorzulegen.
Von einer konsequenten, flächendeckenden Umsetzung der Menschenrechte kann dennoch bis heute nicht die Rede sein. Während einige Länder die Erklärung als Basis für ihre Verfassung nutzen, ignorieren andere sie nahezu vollständig. In über 50 Ländern weltweit werden Menschenrechte verletzt, sei es durch willkürliche Verhaftungen, Sklavenhandel oder das Drama der Flüchtlinge im Mittelmeer. Eine kohärente Menschenrechtspolitik scheint utopisch; die internationalen Konflikte äußern sich zu kompliziert, die Fronten zwischen Kriegsparteien zu verhärtet, die Sehnsüchte nach Macht zu triebhaft, und die Auslegung der Menschenrechte auf nationaler Ebene zu divergierend. Dies führt zu einem Flickenteppich von Rechtsnormen und einer Inkonsistenz bei der Etablierung grundlegender Rechte.
Haben wir als Menschheit unsere Fähigkeit zur Vernunft und Empathie überschätzt? Wäre es im Rückblick klüger gewesen, „Menschenpflichten“ zu entwerfen? Tatsächlich gab es diese Idee bereits. Die Allgemeine Erklärung der Menschenpflichten wurde 1997 durch eine Initiative des Inter-Action Council im Zusammenhang mit dem 50. Jahrestag der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte veröffentlicht. Sie besteht aus einer Präambel und insgesamt 19 Artikeln, die Pflichten beschreiben, die allen Menschen auferlegt sein sollen. Bedeutende Persönlichkeiten wie Helmut Schmidt, Jimmy Carter oder Schimon Peres unterzeichneten die Erklärung. Der Versuch, sie durchzusetzen, scheiterte allerdings.
Wie dem auch sei – die Menschenrechte bleiben trotz der genannten Herausforderungen relevant. Sie erinnern uns daran, dass jeder Einzelne unabhängig von Herkunft, Religion oder sozialem Status Anspruch auf ein Leben in Würde hat. Der Kampf um ihre Durchsetzung mag mühsam sein, aber er ist unerlässlich. Es bedarf jedoch einer stärkeren und schärferen Kommunikation seitens sozial ausgerichteter Politiker und seriöser Medien, um den Bürgern die Rechte der Menschen besser zu vermitteln.
Es geht darum, Situationen aufzuzeigen, in denen diese mit Füßen getreten werden, die Idee von Respekt nuanciert und pointiert zu betrachten, um ein tieferes Verständnis von „richtig“ und „falsch“ zu erzeugen und populistische Ängste zu mildern. Gefragt sind konkrete Bilder und Geschichten – und damit eine greifbare Vorstellung von den Menschenrechten und der Menschenwürde. Es kommt darauf an, Namen mutig auszusprechen, Biografien lebendig nachzuerzählen, Verbrechen präzise nachzuzeichnen. Wir müssen hören von verfolgten Aktivisten, Politikern und Journalisten sowie von unterdrückten Frauen und Männern, die ein freies Leben führen wollen. Diese Geschichten benötigen nicht mal einen mahnenden Unterton, sie sind selbst die Mahnung. Sie wirken aus ihrem nackten Inhalt heraus. Sie bleiben.