In seiner 43-jährigen TV-Karriere wurde Alfred Biolek zu einer Ikone und einem Synonym für beste Fernsehunterhaltung. Vor allem als Talkmaster setzte er mit seiner zwanglosen Plauderei neue Maßstäbe, was ihm auch mit seiner legendären Kochshow gelang. Am 10. Juli wäre Biolek 90 Jahre alt geworden.
Eigentlich wollte er beruflich einen gänzlich anderen Weg einschlagen. „Ich wollte Priester werden, Zirkusdirektor oder Dirigent– und ich bin von allem etwas geworden“, sagte Alfred Biolek einmal. Im Laufe seiner fulminanten TV-Karriere gelang es ihm, die Kurzform seines Familiennamens als „Bio“ zu einer Art von persönlichem Markenzeichen zu machen. Jahrzehntelang sorgte er mit seiner einnehmend onkelhaft-professoralen Manier eines selten gewordenen Grandseigneurs für allerbeste deutsche Fernseh-Unterhaltung. Vor allem die Rolle des Talkmasters war ihm geradezu perfekt auf den meist ganz konservativ in Anzug samt passender Krawatte gehüllten Leib geschnitten.
Plauderton statt Oberlehrer-Gehabe
In seinen diversen Talkshows vollzog er eine radikale Abkehr vom seinerzeit omnipräsenten Moderatoren-Stil der Besserwisserei. Er setzte stattdessen auf „den Zauber der zwanglosen Plauderei“, wie der „Spiegel“ es einmal beschrieb, und erschuf dadurch vor den Augen eines Millionenpublikums eine fast schon intime Gesprächsatmosphäre, die seine Gäste regelmäßig zu völlig unerwarteten privaten Bekenntnissen animierten. „Als Moderator hat er eine ganze Ära, seine Ära, vor allem damit geprägt“, so der „Spiegel“, „dass er nie zu viel wollte, nie zu viel machte – und doch immer anders als alle anderen. Zu seinen Prinzipien zählte, dass der Gastgeber im Fernsehen nie den Eindruck erwecken dürfe, gescheiter zu sein als seine Gäste.“
Mit Konfrontativem oder Investigativem hatte Biolek niemals etwas am Hut. Wer eine Einladung zu einer Sendung des Talkmasters erhielt, hatte in dieser Hinsicht nie etwas zu befürchten – weshalb auch alle gerne kamen. Darunter sogar ein gewisser Helmut Kohl, der ansonsten Talkshows mied wie der Teufel das Weihwasser.
1996 nahm Kohl in „Bio’s Bahnhof“, dem von Biolek selbst zum „Hochamt gepflegter Unterhaltung“ ernannten Sende-Format, Platz, um jenseits aller politischen Themen locker über Petitessen wie Hasenzucht, Saunabesuche oder die Zubereitung eines Karamellpuddings zu parlieren.
Alfred Franz Maria Biolek wurde am 10. Juli 1934 in dem im Nordosten Mährens liegenden Städtchen Freiberg – dem heutigen Příbor – geboren, das damals zur Tschechoslowakei gehörte. Als Spross einer sudetendeutschen Familie verlebte er dort gemeinsam mit zwei älteren Brüdern nach eigenem Bekunden eine glückliche Kindheit in einem großbürgerlich-katholischen Elternhaus. Sein Vater Joseph arbeitete als Rechtsanwalt, seine Mutter Hedwig hatte künstlerische Neigungen, denen sie als Laienschauspielerin frönte.
Vom ZDF-Justiziar zum Unterhalter
Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Familie von der Roten Armee aus Freiberg vertrieben und ließ sich im schwäbischen Waiblingen nieder. In einem dortigen Gymnasium legte Biolek 1954 das Abitur ab, wobei er zuvor 1951 einen einjährigen USA-Aufenthalt als Austauschschüler angetreten und dabei auch prägende Eindrücke vom amerikanischen Fernsehen bekommen hatte. Da die familieninternen Planungen darauf hinausliefen, dass er die väterliche Rechtsanwaltskanzlei übernehmen sollte, trat er ein Jura-Studium in Freiburg im Breisgau, München und Wien an. 1958 absolvierte er das erste juristische Staatsexamen mit Prädikat, promovierte 1962 an der Freiburger Universität und legte 1963 das zweite juristische Staatsexamen ab. Während seiner Studienzeit hatte er mit Kommilitonen das Freiburger Kabarett „Das trojanische Pferd“ ins Leben gerufen und war neben einer kurzzeitigen Mitgliedschaft bei der CDU auch in verschiedenen katholischen Studentenverbindungen aktiv.
Im Februar 1963 erhielt Biolek eine Anstellung als Justiziar in der Rechtsabteilung des gerade in der Gründungsphase befindlichen ZDF. Doch mit den drögen Rechtsfragen musste er sich bei den Mainzern nur kurz befassen, da man dort sehr schnell sein verblüffendes Talent für Unterhaltung und Gesprächsformate entdeckte und ihn daher mit redaktionellen Tätigkeiten betraute. Bald schon absolvierte er im Habitus eines bieder-beflissen-leutseligen Moderators, der damals in den Worten des „Spiegels“ „wie ein jüngerer Bruder von Peter Sellers“ wirkte, erste Auftritte vor der Kamera in Sendungen wie „Tips für Autofahrer“, „Urlaub nach Maß, „Nightclub“ oder „Die Drehscheibe“. In seinem Privatleben machte ihm die im Alter von etwa 30 Jahren gewonnene Selbsterkenntnis, dass er sich zum männlichen Geschlecht hingezogen fühlte, schwer zu schaffen. Ein offenes Ausleben seiner sexuellen Neigungen war bis zur Aussetzung des sogenannten Schwulenparagrafen § 175 im Jahr 1969 noch ein riskantes, strafbehaftetes Unterfangen.
Den Anbruch eines neuen Zeitalters für homosexuelle Männer nutzte Biolek zu einem Standortwechsel ins damals vergleichsweise liberale München, wo er die Stelle eines Producers bei der in Grünwald ansässigen Bavaria Film GmbH antrat und gleichzeitig tief ins Bohème-Leben rund um die Filmemacher Klaus Lembke und Rainer Werner Fassbinder eintauchte.
„Ich habe wild gelebt“, sagte Biolek im Rückblick auf diese Lebensphase, in der er sich „vom Konservativen zu einem honorigen Mitglied der feinen Münchner Bussi-Bussi-Gesellschaft“ verwandelte, so die „Neue Zürcher Zeitung“.
Unfreiwilliges Outing durch von Praunheim
Als Producer-Einsteiger durfte er damals schon Projekte in Angriff nehmen, die später kaum mehr vorstellbar waren. So konnte er seine viel gerühmte Spürnase für hierzulande noch nahezu unbekannte Talente 1972 erstmals unter Beweis stellen, als er „Monty Python’s Flying Circus“ ins deutsche ARD-Fernsehen brachte – auch wenn die intelligenten Sketche der Briten damals beim hiesigen Publikum, das mehr auf gediegene Witzekost à la Heinz Erhardt und Heinz Schenk eingeschworen war, gar nicht gut ankamen. Trotz dieses Misserfolgs ließ die Bavaria Biolek freie Hand, was dieser 1974 zum gemeinsam mit Rudi Carrell auf die Beine gestellten ARD-Sendeknaller „Am laufenden Band“ nutzte– gewissermaßen das „Wetten, dass..?“ der 70er-Jahre und Bioleks endgültiger Durchbruch beim Fernsehen.
Schon ein Jahr zuvor hatte Biolek damit begonnen, sich in die Kunst des Talkmasters einzuarbeiten. Allerdings noch auf einer sehr überschaubaren Bühne, dem Kölner Kabarett- und Kleinkunsttheater „Senftöpfchen“ mit dem Programm-Titel „Wer kommt, kommt“. Dessen Konzept wurde bei der am 25. Januar 1976 erstmals im WDR ausgestrahlten Talkshow „Kölner Treff“ mit den Moderatoren Alfred Biolek und Dieter Thoma übernommen. Zwei Jahre später wurde Biolek einem bundesweiten Publikum mit der von ihm produzierten und moderierten Sendung „Bio’s Bahnhof“ – übrigens mit orthografisch falschem Apostroph geschrieben – bekannt. An diesem ARD-Projekt, das sechsmal jährlich über den Bildschirm flimmerte, war so ziemlich alles revolutionär. Beginnend mit dem äußeren Rahmen in Gestalt eines ehemaligen Eisenbahn-Depots bis hin zur Erweiterung eines Gesprächsformats um Musik, wobei die bislang übliche Trennung von E- und U-Musik komplett aufgegeben wurde. Stars und von Biolek entdeckte Newcomer gaben sich hier die Klinke in die Hand. Sammy Davis Junior sprach das Lob aus, dass er noch nie zuvor in einer vergleichbar interessanten Sendung das Vergnügen gehabt hatte, zu Gast zu sein. 1982 schloss Biolek seinen „Bahnhof“. Es folgten mäßig erfolgreiche Talk-Sendungen wie „Bei Bio“ (1983 bis 1985) und „Show Bühne“ (1983 bis 1987) sowie die Spiel-Show „Mensch Meier“ (1985 bis 1991).
In etwa zeitgleich zum Outing der Homosexualität Bioleks durch den Filmemacher Rosa von Praunheim im Rahmen einer RTL-Sendung startete der einstige Jurist 1991 mit der ARD-Talkshow „Boulevard Bio“ wieder voll durch. Bis 2003 wurden davon 485 Folgen ausgestrahlt. Mindestens ebenso große Fußstapfen in Sachen Unterhaltungswert hinterließ Biolek, mit Glatzkopf und ewiger Rundbrille, auch mit seiner 1994 gestarteten ARD-Kochsendung „Alfredissimo“. Die Zubereitung der Gerichte und das Verkosten von Weinen waren dabei stets mit einem lockeren Plausch mit dem jeweils eingeladenen Gast verbunden. Selbst „Emma“-Chefin Alice Schwarzer wollte unbedingt mal mit dabei sein, bis 2007 wurden 459 Folgen des Formats produziert. Danach zog Biolek, der gelegentlich auch gut verkaufte Kochbücher und 2006 seine Autobiografie „Bio. Mein Leben“ veröffentlicht hatte, den Schlussstrich unter seine Fernsehkarriere. „Meine Zeit ist jetzt zu Ende“, lautete sein damaliges Statement.
Nach einem schweren Treppensturz-Unfall im Jahr 2010, der ihn gesundheitlich noch länger stark beeinträchtigte, zog sich Biolek, der zwei Adoptivsöhne hatte, weitgehend aus der Öffentlichkeit zurück. Er war nach einem Berliner Zwischenspiel, wo er in seiner Wohnung einen von der Prominenz gern besuchten Salon unterhalten hatte, wieder nach Köln zurückgekehrt. An der Kunsthochschule Köln war Biolek noch als Honorarprofessor tätig. Er wurde mit allerlei Auszeichnungen vom Adolf-Grimme-Preis bis zur Goldenen Kamera geehrt und sogar zum UN-Sonderbotschafter für Weltbevölkerung ernannt. Alfred Biolek verstarb am 23. Juli 2021 im Alter von 87 Jahren.