Das Europäische Parlament sortiert sich gerade neu. Das bedeutet auch Stühlerücken zwischen den Fraktionen. Ein Problem für Ursula von der Leyen.
Die AfD ist nach ihrem Rauswurf aus der ID-Fraktion auf der Suche nach neuen Fraktionspartnern, Ungarns Fidesz schmiedete mit den österreichischen Rechtsextremen und der populistischen ANO aus der Slowakei eine neue „patriotische Fraktion“. Im Europäischen Parlament hat die Suche nach Partnern und Verbündeten begonnen – auch für die Vergabe der Spitzenposten. Gewählt werden Kommissionspräsident und Kommissare nicht, sondern von den jeweils gewählten Regierungen der EU-Mitgliedstaaten vorgeschlagen und entsandt. Im Falle des Präsidenten der Kommission müssen sich 55 Prozent der EU-Mitgliedstaaten, die gemeinsam 65 Prozent der Bevölkerung repräsentieren, auf einen Kandidaten einigen. Das Parlament aber muss diesem dennoch zustimmen. Die Funktionsweise des Parlamentes ist etwas anders als in Deutschland: In Brüssel und Straßburg gibt es keinen Fraktionszwang, keine Regierungskoalitionen. Wechselnde Mehrheiten und Bündnisse je nach Thema sind daher an der Tagesordnung. Dennoch suchen und finden sich Parteien und Abgeordnete, die einander ideologisch und politisch nahestehen, in den großen Fraktionen: der konservativen EPP, der sozialdemokratischen S&D, der liberalen Renew, bei den europäischen Grünen und Linken, der rechtsnationalistischen EKR, der rechtsextremistischen ID. Und dann ist da noch der Rest, der sich nirgendwo einsortiert (NI, sogenannte Non-Inscrits).
Neue rechte Fraktion im Parlament
Für die von den Staatschefs Nominierte für den Posten der Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, könnten die derzeitigen Fraktionswechsel zum Problem werden. Bislang stützte sie sich auf eine Mehrheit aus EPP, S&D und Liberalen. Doch weil die populistische ANO-Partei des tschechischen Milliardärs Andrej Babis die liberale Renew-Fraktion verlassen hat, schrumpfte deren Sitzanzahl um sieben. Die EKR-Fraktion, in der vor allem die italienische postfaschistische Fratelli d’Italia den Ton angibt, wuchs dagegen zur drittgrößten Fraktion des Parlamentes an – vor Renew. Ob sich Ursula von der Leyen dann bei der Wahl im Europaparlament auf die Unterstützung der Konservativen, Sozialdemokraten und Liberalen bei ihrer Wahl verlassen kann, wie bereits fünf Jahre zuvor, ist unklar. Schon 2019 stimmten nur neun Abgeordnete mehr als notwendig für sie, eine knappe Mehrheit. Wohl auch deshalb suchte sie schon im Vorfeld das Gespräch mit der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, deren Einfluss in Brüssel als stärkste nationale und politische Kraft der EKR-Fraktion so deutlich wachsen könnte. Durch eine geschwächte Renew-Fraktion und mithilfe einer stärkeren EKR könnten die rechts- und nationalkonservativen Kräfte mehr Zugeständnisse von einer nächsten Kommissionspräsidentschaft von der Leyens einfordern. Schon jetzt deuten die Zeichen und Aussagen aus den Reihen der EKR darauf hin, dass sie diese Rolle spielen will. Insbesondere Meloni bezeichnete laut „Politico“ die EU erneut als „invasiven bürokratischen Giganten“, in dem die Herrschaft der Technokraten über dem demokratischen Wählervotum stehe – ein deutlicher Hieb auf die Art und Weise, wie Spitzenposten in Brüssel ausgehandelt werden. Dabei handelt es sich nach wie vor bei der EU um keinen Superstaat, sondern nur um ein Staatenbündnis.
Diese Verstimmungen am rechten Rand der EU-Kritiker und -Skeptiker könnte Auswirkungen auf den Green Deal besitzen, die geplante Klimaneutralität der EU bis 2050 und das Prestigeprojekt Ursula von der Leyens. Nun kommt es besonders auf die ebenfalls erstarkte EVP-Fraktion an, wie weit diese die noch ausstehenden Gesetzesinitiativen für den Green Deal unterstützt.