Punktuelle Verstärkungen statt radikalem Umbruch: In diesem Sommer geht es bei den Eisbären Berlin deutlich weniger hektisch zu als noch im Vorjahr. Das Meisterteam bleibt zum großen Teil zusammen.
Der Titel klingt etwas martialisch: „Warrior Development Camp“. Gekämpft werden soll bei dem Event zwar auch, aber nur mit sportlich fairen Mitteln. Das traditionelle Camp, das die Eishockey-Clubs Eisbären Berlin und Los Angeles Kings gemeinsam ab dem 10. Juni in Zürich abhalten, dient vor allem der Talent-Sichtung. Über 30 Nachwuchsspieler aus dem In- und Ausland können sich unter höchst professioneller Anleitung und unter den Augen zahlreicher Späher ins Rampenlicht spielen. Von den Eisbären Juniors haben Torhüter Linus Vieillard sowie die Verteidiger Moritz Kretzschmar und Lenny Elwing und die Angreifer Maxim Schäfer, Elias Schneider und Clemens Sager eine Einladung zum prestigeträchtigen Vorspielen erhalten. Sie dürfen sich mit etwa gleichaltrigen Talenten aus Finnland, Schweden, der Schweiz und Tschechien messen und auf den Sprung nach Nordamerika hoffen. „Nahezu jeder kann sich Hoffnungen machen, im NHL Draft ausgewählt zu werden“, schrieben die Eisbären auf ihrer Internetseite.
Qualitativ nach vorne
Angekündigt hat sich zum Beispiel Glen Murray. Der Ex-NHL-Spieler und -Weltmeister ist mittlerweile als Direktor für die Spielerentwicklung bei NHL-Club LA Kings tätig. Auch die Stanley-Cup-Champions Mike Donnelly, Jarret Stoll, Sean O’Donnell und Matt Greene sowie Richard Seely, General Manager von Ontario Reign aus der AHL, wollen in die Schweiz reisen und einen genauen Blick auf die Talente werfen. Die Eisbären, die unter anderem Torhütertrainer Sebastian Elwing, Fitnesstrainer Daniel Mawer und Juniors-Chefcoach Jochen Molling als Verantwortliche entsenden, schauen genau hin und werden ihren Chefs berichten. Schließlich ist auch der frisch gekürte Deutsche Eishockey-Meister immer auf der Suche nach aufstrebenden Talenten. Sollte sich einer aus dem eigenen Nachwuchs für höhere Aufgaben empfehlen – umso besser.
Um die Meistermannschaft aber wirklich qualitativ nach vorne zu bringen, müssen die Verantwortlichen schon auf erfahrenere Spieler zurückgreifen. Klar ist: Anders als im Vorjahr, als nach der katastrophalen Saison mit dem Verpassen der Playoffs ein radikaler Umbruch im Team vollzogen werden musste, stehen Trainer Serge Aubin und Sportdirektor Stephane Richer diesmal nicht unter Druck. Allen voran nicht bei den deutschen Spielern, die aktuell auf dem Markt besonders begehrt sind. Die Verteidiger Kai Wissmann und Jonas Müller sowie die Angreifer Marcel Noebels, Tobias Eder, Leonhard Pföderl, Frederik Tiffels und Manuel Wiederer stehen auch in der nächsten Saison unter Vertrag und sollen den Stamm des Teams bilden, das den vierten Titel im fünften Jahr in Angriff nehmen soll. „Wir haben einen richtig guten deutschen Kern“, sagte Wissmann.

Und nicht nur das. Auch die in der Meistersaison so wichtigen ausländischen Stützen Blaine Byron, Ty Ronning, Thomas Schemitsch und Zach Boychuk sind vertraglich noch an den Club gebunden. Der Vertrag mit dem treffsicheren Boychuk wurde kürzlich verlängert, was als wichtiges Zeichen auch an die Konkurrenz gewertet wird. Schließlich war der Center in der Hauptrunde der abgelaufenen Spielzeit mit 23 Toren der erfolgreichste Berliner Profi. In seinen insgesamt 203 DEL-Spielen kommt der Kanadier auf bemerkenswerte 169 Scorerpunkte (80 Tore und 89 Assists). „Er ist torgefährlich, hat eine gute Übersicht und immer ein Auge für seine Mitspieler“, schwärmte Sportdirektor Richer über Boychuk: „Zudem passt er mit seiner Persönlichkeit sehr gut in unsere Mannschaft. Mit seiner Erfahrung ist er auch ein wichtiger Ansprechpartner für unsere jungen Spieler. Daher sind wir froh, weiterhin auf ihn bauen zu können.“
Boychuk ist mit seinen 34 Jahren einer der wenigen Leistungsträger im Berliner Kader, die die 30-Jahre-Marke bereits überschritten haben. Viele andere sind zum Teil deutlich jünger, auch das spricht für eine positive Zukunft des DEL-Rekordchampions. „Wir haben eine fantastische Mannschaft mit super Charakteren und unsere Fans sind eine Klasse für sich“, sagte Stürmer Eder. „Die Meisterschaft in der letzten Saison war dabei hoffentlich erst der Anfang einer grandiosen Zeit.“
Doch natürlich braucht ein Meisterteam immer auch „frisches Blut“ und gewisse Veränderungen. Die ersten drei Neuzugänge sind zumindest vielversprechend. In Liam Kirk, immerhin britischer WM-Teilnehmer, sehen die Verantwortlichen einen spielfreudigen und höchst ambitionierten Profi. „Er ist ein schlauer Spieler, sein Ziel ist die NHL“, sagte Richer über den offensivstarken Linksaußen, der mit 24 Jahren noch nicht am Ende seiner Entwicklung ist. Im Alter von nur 16 Jahren debütierte Kirk in der höchsten Spielklasse Großbritanniens, danach wagte er den Schritt nach Nordamerika. Die Arizona Coyotes sicherten sich im NHL Draft 2018 die Rechte an dem Linksschützen. Er war der erste in England geborene und ausgebildete Eishockeyspieler, der von einem NHL-Team gedraftet wurde. „Wir konnten die Chance, ihn zu verpflichten, nicht ungenutzt lassen. Er wird unserem Sturm weitere Klasse verleihen“, meinte Richer. Kirk sei „ein Topstürmer“, der nicht nur torgefährlich, sondern auch vielseitig einsetzbar sei. Denn außer auf den Flügeln fühle sich der Brite auch auf der Center-Position wohl.
Ebenfalls als polyvalent wird Gabriel Fontaine (27) beschrieben, auch wenn der Stürmer aufgrund seiner physischen Voraussetzungen (1,85 Meter groß und 92 Kilogramm schwer) wohl vorwiegend als Center eingesetzt werden dürfte. „Er ist ein sehr guter Skater und starker Zwei-Wege-Stürmer“, sagte Richer über den Kanadier, der zuletzt beim finnischen Erstligisten Rauman Lukko unter Vertrag stand. Auch Fontaine, der die Lücke von Patrice Cormier schließen soll, hat Erfahrungen in Nordamerika gesammelt. Allerdings wurde er von seinem NHL-Club New York Rangers nur im Farmteam eingesetzt, ehe er sein Glück in Europa versuchte.
Vielversprechende Neuzugänge
Auf der Verteidigerposition haben sich die Eisbären mit Olivier Galipeau verstärkt. Der Kanadier hatte zuletzt in der nordamerikanischen AHL für Rocket de Laval gespielt. Er sei „bereit, in Europa den nächsten Schritt in seiner Karriere zu gehen“, sagte Richer über den 27-jährigen Galipeau, der erstmals außerhalb von Nordamerika einen Profivertrag unterschrieb. Anpassungsprobleme befürchtet der Sportdirektor aber nicht: „Olivier ist ein starker Zwei-Wege-Verteidiger. Er ist noch jung, hat sein Können aber schon auf hohem Niveau bewiesen. Olivier ist ein intelligenter Spieler, der stets hart arbeitet.“
Noch sind nicht alle der elf Ausländerlizenzen vergeben, aber das Transferfenster ist auch noch lange geöffnet. Unter Handlungsdruck stehen die Eisbären-Chefs nicht, das Meisterteam konnte weitestgehend zusammengehalten werden und wurde bereits punktuell verstärkt. Und so sehen sie beim Hauptstadtclub der neuen Saison auch freudig entgegen, obwohl sie um die Schwere der Aufgabe „Titelverteidigung“ wissen. Das erste Testspiel der Vorbereitung steigt am 25. August gegen Kooperationspartner Lausitzer Füchse aus Weißwasser. Am 5. September starten die Eisbären in die neue Saison der Champions Hockey League.