Die Weltmeister starten in ihre Olympia-Vorbereitung. Auch in Paris wollen Dennis Schröder und Co. einen Coup landen –
doch Gold scheint für die USA reserviert. Oder doch nicht?
Für die Boston Celtics war die Sache klar. „2024 World Champions“, schrieb der frisch gekürte Meister der nordamerikanischen Basketball-Profiliga NBA in seinen sozialen Netzwerkseiten zu einem Bild, das das Siegerteam der Finalserie gegen die Dallas Mavericks mit dem deutschen Profi Maxi Kleber zeigte. Die NBA-Champions nennen sich traditionell „World Champions“, was sie damit begründen, dass sie schließlich den Meistertitel in der besten Basketballliga der Welt gewinnen, in der die besten Basketballspieler der Welt spielen. Der Deutsche Basketball-Bund (DBB) erinnerte die Celtics aber daran, dass es erst im vergangenen Jahr eine offizielle Basketball-WM gab und diese auch einen offiziellen Weltmeister hervorgebracht hatte. „Glückwunsch und alles, aber ... Weltmeister worin?“, schrieb die Social-Media-Abteilung des Verbands als Antwort auf den Celtics-Post beim Kurznachrichtendienst X. Dazu wurde ein Bild von NBA-Profi Moritz Wagner gepostet, der mit einer Goldmedaille um den Hals skeptisch dreinblickt.
Bei der WM bereits die USA besiegt
Die Debatte, ob sich die NBA-Champions oder die WM-Champions als Weltmeister bezeichnen dürfen, ist nicht neu. Auch Sprint-Star Noah Lyles hatte sich diesbezüglich schon eingemischt und sich mit seiner Meinung bei vielen seiner US-Landsleute unbeliebt gemacht. „Was mich am meisten schmerzt ist, dass ich mir die NBA-Finals ansehe, und sie haben Basecaps mit „Weltmeister“ auf dem Kopf. Weltmeister, wovon?“, sagte der sechsmalige Weltmeister in der Leichtathletik: „Ich liebe die USA, aber das ist nicht die Welt.“ Das sehen einige NBA-Stars komplett anders, Kevin Durant zum Beispiel konterte: „Jemand muss diesem Bruder helfen.“ Und Tyrese Haliburton, der mit dem US-Team 2023 bei der WM in Indonesien, Japan und auf den Philippinen spielte, sagte während des Turniers darauf angesprochen: „Das war nicht gerade die intelligenteste Antwort. Wir lassen das mal vorbeifliegen.“
Zu jenem Zeitpunkt waren Haliburton und viele andere noch davon ausgegangen, dass die Amerikaner die Weltmeisterschaft gewinnen und sich die Diskussion damit quasi erledigt hätte. Doch weit gefehlt: Der Favorit scheiterte im WM-Halbfinale an einem famos aufspielenden deutschen Team, das sich später auch zum sensationellen Weltmeister krönte. Und als solcher geht Deutschland auch bei Olympia als ein heißer Medaillenkandidat an den Start – auch wenn Gold diesmal noch illusorischer erscheint als bei der WM im vergangenen September. Denn nach der Schmach trommelten die USA eine Olympia-Auswahl zusammen, die das Wort „Dreamteam“ eindeutig verdient. Angeführt von Durant, LeBron James und Stephen Curry sollen die Amerikaner nicht nur den Olympiasieg holen, sondern auch großes Spektakel liefern – und dessen sind sie sich bewusst. „Größe vereint“, schrieb der US-Basketballverband auf X zur Kadernominierung.
Angesichts der Übermacht bleibt den anderen Nationen sehr wahrscheinlich nur der Kampf um Platz zwei und drei. Trotzdem freut sich Bundestrainer Gordon Herbert, dass die USA anders als noch bei der WM in Bestbesetzung antreten. „Es ist ein großes Spektakel für den Basketball in der Welt, dass die USA diese Spieler mitbringen“, sagte der Kanadier. Er sei regelrecht begeistert gewesen, als er auf der Liste auch die Namen von Stephen Curry und LeBron James gesehen habe. „Das sind herausragende Spieler, zwei der besten Spieler ihrer Generation – und noch bessere Vorbilder“, sagte Herbert: „Wie sie ihre Leistung bringen, ihre Haltung, ihre Körpersprache. Wie sie vor den Augen der Welt auftreten.“ An den Auftritten und Leistungen der Superstars könnten auch seine Spieler noch viel lernen, meinte der Bundestrainer.
Und dennoch wird das deutsche Team nicht schon im Vorfeld die weiße Fahne hissen, sondern für ein zweites Basketball-Wunder alles geben. Anders als die US-Mannschaft ist das Team um Kapitän Dennis Schröder bestens eingespielt. „Wir sind nicht die Mannschaft mit den meisten Qualitäten, aber wir sind einfach zusammen. Das ist beim Sport das Wichtigste. Wer da am engsten steht und mit den Leuten wirklich in den Kampf zieht, der gewinnt“, sagte Schröder: „Das haben wir bei der WM so gemacht und wollen wir natürlich weiter fortführen bei den Olympischen Spielen.“ Am 30. Juni versammelte sich das Team in München zur Olympia-Vorbereitung, um dieses Teamgefühl wieder aufleben zu lassen und nochmals zu stärken. Am 6. und 8. Juli testet die DBB-Auswahl in Köln und Montpellier jeweils gegen Olympia-Gastgeber Frankreich seine Form. Weitere Testspiele sind am 13. Juli gegen die Niederlande und sechs Tage später gegen Japan angesetzt. Zur mit Spannung erwarteten Generalprobe kommt es am 22. Juli in London, wenn ein Testspiel gegen den großen Olympia-Favoriten USA angesetzt ist.
„Wir haben jetzt die Zielscheibe auf dem Rücken, wir sind jetzt die Gejagten. Einfach wird es nicht, aber wir haben auf jeden Fall die Qualität, um das selbst bestimmen zu können“, sagte Andreas Obst. Auf den Guard des deutschen Meisters Bayern München werden es die Amerikaner besonders abgesehen haben, denn Obst lieferte im WM-Halbfinale ein überragendes Spiel ab und düpierte die US-Stars mehr als nur einmal. „Sich ein bisschen von denen rumschubsen zu lassen, ist ganz witzig“, sagte Obst lächelnd. Sich mit Ausnahmekönnern wie James und Curry noch mal messen zu können, sei eine „riesige“ Chance. „Das ist der Traum eines jeden Kindes.“ Bevor es aber in Paris zu einem möglichen Duell mit den USA kommt, muss Deutschland die Vorrunde in der Gruppe B mit Japan, Frankreich und dem Sieger des Qualifikationsturniers in Lettland überstehen.
Den Feinschliff holt sich das Team im Trainingslager, für das alle zwölf WM-Helden von Manila zugesagt hatten. Also auch die NBA-Stars Schröder sowie Franz und Moritz Wagner. Die Weltmeister, die sich erstmals seit dem historischen Triumph-Tagen aus dem vergangenen September in voller Runde wiedersehen, haben einen Vorsprung, sollen aber nicht kampflos das Olympiaticket erhalten. So wollen ihnen Leon Kratzer, Oscar da Silva, Louis Olinde und Nick Weiler-Babb einen Platz im Zwölf-Mann-Kader streitig machen. Vier Kandidaten muss der Bundestrainer also noch streichen, doch die inzwischen hohe Qualitätsdichte im deutschen Basketball ist für ihn eher ein Luxus-Problem. „Ich freue mich sehr darauf, mit diesem Kader auf dem letzten Jahr aufzubauen. Das ist eine großartige Gruppe an Spielern und noch besseren Menschen“, sagte Herbert: „Ich freue mich wirklich sehr auf die Zeit mit allen für diesen letzten gemeinsamen Sommer.“
Nach Olympia wird der Kanadier den Deutschen Basketball-Bund verlassen. Der 65-Jährige sorgte mit seiner Entscheidung Mitte Mai für einen kleinen Schock, schließlich besaß er beim DBB noch einen Vertrag bis nach der EM im kommenden Jahr. Doch Herbert hatte immer von einem Dreijahresplan gesprochen, als er das Amt im September 2021 von Henrik Rödl übernahm. Nach EM-Bronze 2022 und dem ersten WM-Titel der Verbandsgeschichte 2023 wäre eine Olympia-Medaille in diesem Sommer der krönende und passende Abschluss der Erfolgsbeziehung. Man habe „großes Verständnis dafür, dass sich Gordie nach den Olympischen Spielen einer anderen Aufgabe widmen möchte und legen ihm dabei keine Steine in den Weg“, wurde DBB-Präsident Ingo Weiss zitiert. Sorge, dass der Bundestrainer nicht mehr mit dem ganzen Herzen dabei ist, hat Weiß nicht mal im Ansatz: „Wer Gordie kennt, der weiß, dass er sich mit vollem Einsatz und mit voller Leidenschaft auf die Vorbereitung der Olympischen Spiele stürzen wird.“
„Weiter trainieren oder die Karriere beenden“
Wie es für ihn genau weitergeht, weiß der Trainer angeblich selbst noch nicht. „Es gibt zwei Optionen: weiter trainieren oder die Karriere beenden“, sagte der Erfolgscoach, der direkt nach seiner Bekanntgabe der Trennung vom DBB mit dem Bundesligisten Rostock Seawolves in Verbindung gebracht wurde. „Ich würde gerne einen Club für zwei Jahre betreuen und dann noch mal zwei Jahre ein Nationalteam“, beschrieb Herbert seinen Karriereplan, „dann würde ich gerne Schluss machen, wenn ich die freie Wahl hätte“.
Herbert hat gelernt, auf sich und seine Gesundheit aufzupassen. Das war nicht immer so. Der Job als Basketballtrainer hätte ihn fast zerstört. Während seiner Zeit bei den Frankfurt Skyliners lebte er nach eigener Aussage im Herbst 2010 eine ganz dunkle Phase durch. Nach einem heftigen Aussetzer bei einer Ansprache ans Team sei er mit seinem Co-Trainer in eine psychiatrische Klinik gefahren, erzählte Herbert im „Stern“-Interview: „Die Ärzte diagnostizierten eine akute Depression.“ Er sei „müde vom Leben“ gewesen und hätte sich zunächst auch aus falscher Scham gegen professionelle Hilfe gewehrt: „Was ich auch lernen musste, während meiner depressiven Episoden, war zu sagen: Ich brauche Hilfe. Ein einfacher Satz, aber so schwer auszusprechen, aus Scham und falschem Stolz.“ Hinzu kamen Probleme mit dem Alkoholkonsum. „Der Alkohol half mir, den Tag zu vergessen. Es war nie übermäßig viel, aber auch nicht gesund. Ich mochte mich als Mensch nicht mehr.“
Es ist kein Zufall, dass der Bundestrainer mit diesen intimen Details jetzt an die Öffentlichkeit geht, nachdem er dem deutschen Basketball den größten Erfolg beschert und kurz vor dem Ende seiner Amtszeit steht. „Ich kann heute freier über dunkle Zeiten in meinem Leben sprechen, als ich es vor dem Titelgewinn gekonnt hätte. Lange dachte ich, ich setze meine Karriere aufs Spiel, wenn ich sage: Ich kann nicht mehr, ich brauche Hilfe“, sagte er: „Wer sich zu seinen Depressionen bekennt, bekommt dies als Schwäche ausgelegt.“