Noch vor der Sommerpause soll der Entwurf für den Bundeshaushalt 2025 vom Kabinett verabschiedet werden. Der Streit dauert schon seit Beginn des Jahres. Immer wieder wurde spekuliert, die Ampel-Koalition könnte daran zerbrechen.
Christian Lindner liegt mit seinen Kabinettskollegen und –kolleginnen mal wieder über Kreuz. Das gehört zur Jobbeschreibung eines Bundesfinanzministers. Der oberste Kassenwart der Republik will – und soll – das Geld der Steuerzahler einigermaßen zusammenhalten, und muss, so steht es im Grundgesetz, die Schuldenbremse einhalten. Ein bisschen neue Schulden dürfte der Bund machen, 0,35 Prozent des Haushalts. Aber das löst Lindners aktuelles Problem nicht. Nach der Mai-Steuerschätzung wird der Bund im kommenden Jahr mit etwa elf Milliarden Euro weniger Einnahmen zurechtkommen müssen.
Die Diskussion um den nächsten Bundeshaushalt hat eigentlich schon zum Jahresbeginn angefangen. Nun geht es aber auf die Zielgerade zur ersten Wegmarke, nämlich eine Vorlage, die vom Kabinett gebilligt wird, um sie dann an die weiterzuleiten, die eigentlich für den Haushalt zuständig sind: die Parlamentarier im Bundestag.
Eigentlich wollte das Kabinett den Haushaltsentwurf Anfang Juli stehen haben. Nachdem aber bereits Bundeskanzler Olaf Scholz angedeutet hatte, dass es noch etwas braucht und von einem Termin „im Juli“ gesprochen hatte, hat auch FDP-Fraktionschef Christian Dürr im Interview erklärt: „Es geht ja nicht prinzipiell um den 3. Juli, sondern darum, dass im Juli ein Haushalt vom Kabinett aufgestellt wird“. Beliebig Zeit gibt es aber nicht. Damit der Haushalt im Bundesrat seine Beratungen so durchführen kann, dass der Haushalt 2025 bis Anfang/Mitte Dezember unter Dach und Fach ist, müssen Fristen eingehalten werden.
Alles andere als eine erfeuliche Operation
Haushaltsberatungen sind ein Ringen um politische Prioritäten, erst recht, wenn das Geld knapp ist. Mehr Geld für Verteidigung, oder für Bildung, oder Klimaschutz, oder Infrastruktur? Bedarf gibt es eigentlich überall reichlich.Und so hatte Lindner, der schließlich auch FDP-Chef ist, schon zu Beginn des Jahres die Idee, Sozialleistungen für drei Jahre einfrieren, damit zumindest der große Sozialetat nicht weiter steigt. Das hätte auch eine Absage an alle weiteren sozialpolitischen Pläne bedeutet.
Als Finanzminister verordnete er erstmal den Kabinettskollegen, bei ihren Finanzbedarfsanmeldungen schon mal gleich zu berücksichtigen, dass alle kürzen müssen – Ausnahme Verteidigungsetat. Schließlich soll die Schuldenbremse eingehalten werden. Von 25 Milliarden Euro Einsparungen war Anfang Mai die Rede. Zum Vergleich: das ist doppelt so viel, wie nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Transformations- und Klimafonds an Einsparungen mobilisiert werden musste. Die Lücke war also beträchtlich, was Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grün) zu der vielzitierten Bemerkung veranlasste: „Dass das eine erfreuliche Operation wird, sollte niemand glauben“.
Als die einzelnen Ressorts dann ihre Ausgabenansätze beim Finanzministerium einreichten, war Streit unvermeidlich. Einige Ressorts weigerten sich, Sparvorgaben umzusetzen, manche forderten sogar mehr Geld, etwa das Außenministerium von Annalena Baerbock (Grüne) oder das Entwicklungsressort von Svenja Schulze (SPD). Die Ermahnung von Cristian Lindner ließ nicht lange auf sich warten.
Dass in Koalitionen über die Verteilung knapper Mittel gerungen wird, gehört zum politischen Geschäft. Aber nach der Erfahrungen der Vergangenheit kam relativ schnell die Frage auf, ob die Ampel diesen Haushaltsstreit unter verschärften Rahmenbedingungen überstehen würde. Die Frage zieht sich seither wie ein roter Faden durch.
Kritisch war es jedenfalls, nachdem die Ressorts ihre Pläne eingereicht und sich dabei teilweise nicht an Kürzungsvorgaben gehalten hatten. Der Finanzminister war offenkundig mehr als verärgert. Etwas später musste er klarstellen, dass er keineswegs mit dem Bruch der Koalition gedroht habe. Aber aus seinen Worten lässt sich schließen, dass es schon ziemlich eng gewesen sein dürfte: „Ein business as usual war mir nicht möglich. Die Anmeldungen für den Bundeshaushalt 2025 haben nicht den Eindruck erweckt, dass alle die ökonomischen Realitäten erkannt haben“, sagte Lindner. „Deshalb musste ich mich beim Bundeskanzler und dem Wirtschaftsminister erst vergewissern, ob wir noch auf einer Linie sind.“ Und er ergänzte auf Nachfrage, er habe nie mit dem Bruch der Koalition gedroht. „Aber jedem ist doch klar, dass eine Einigung auf einen Haushalt und eine Wirtschaftswende notwendig sind, damit am Ende auch Vorhaben wie das Rentenpaket eine Mehrheit im Bundestag finden.“
Seit Monaten wird die Haushaltsdiskussion begleitet von einer neuerlichen Schuldenbremsendiskussion. Die Positionen dazu im politischen Raum sind bekannt. Neu ist, dass nun vermehrt auch aus der Wirtschaft und der Wissenschaft Forderungen erhoben werden, über die Schuldenbremse, beziehungsweise deren Ausgestaltung nachzudenken.
So fordert der Bundesverband der Deutsche Industrie (BDI), endlich den Investitionsstau aufzulösen, beispielsweise durch ein milliardenschweres „Sondervermögen“. Die Rede ist von rund 400 Milliarden Euro (über zehn Jahre), wovon gut 300 Milliarden für Infrastruktur und Wohnen sowie rund 100 Milliarden für Bildung gebraucht würden. „Sondervermögen“ bedeutet letztlich, Schulden für klar definierte Aufgaben aufzunehmen, und zwar neben dem „Kernhaushalt“. Der BDI hält das angesichts des enormen Investitionsstaus für vertretbar, sofern der Bund vorher auch Rahmenbedingungen „verbessert“, also durch Strukturreformen Wachstum ermöglicht und „Mut zur Priorisierung von Maßnahmen“ zeigt. „Nur unter dieser Voraussetzung halten wir es für vertretbar, inhaltlich und zeitlich präzise definierte Sondervermögen einzurichten“, erklärte BDI-Präsident Siegfried Russwurm.
Schon zu Jahresbeginn hatten auch renommierte Wirtschaftswissenschaftler und -berater die Schuldenbremse in der aktuellen Form für zumindest überarbeitungsbedürftig gehalten. .Monika Schnitzer, die Vorsitzende der „Wirtschaftsweisen“, sieht etliche „Konstruktionsschwächen“, und fordert einige Korrekturen. „Wir wollen die Flexibilität erhöhen und Spielräume schaffen, so dass man zukunftsorientierte öffentliche Ausgaben tätigen kann, ohne dabei die Tragfähigkeit der Staatsfinanzen auszuhöhlen“.
Christian Lindner dagegen hält auch nichts von solchen Korrekturvorschlägen. „Man kann nicht Gebote der Verfassung aus- und einschalten wie einen Lichtschalter“, erklärte er seinerzeit im ARD-Morgenmagazin.
Schuldenbremse reformbedürftig
In der aktuellen Haushaltsdiskussion hat sich Bundeskanzler Scholz zumindest erstmal an die Seite des Finanzministers gestellt: „„Wir müssen mit dem Geld auskommen, das wir haben. Daran führt nun mal kein Weg vorbei“, und bevor man andere Wege gehe, müsse man erstmal in den Ressorts bei den Ausgaben genauer hinsehen. Wobei er gleichzeitig – sicher im Blick auf Lindners frühe Ideen klarstellt, dass er Einschnitte bei Sozialausgaben ablehnt. „Wir werden den Sozialstaat verteidigen. Und wir werden ihn auch entwickeln.“
Die Debatte geht jedenfalls weiter. Die Schuldenbremse auch nur zu verändern wäre jedenfalls kurzfristig nicht möglich, weil es einer Änderung des Grundgesetzes bedarf. Eine Zweidrittel-Mehrheit ist derzeit nirgends in Sicht. Die CDU unter Friedrich Merz würde nicht mitmachen – obwohl sich auch dort, insbesondere unter den Länderchefs, in der Diskussion einiges bewegt. Auch in der Bevölkerung gibt es nach wie vor eine mehrheitliche Zustimmung zur Schuldenbremse.
Ein von linken SPD-Mitgliedern angestrebtes Mitgliederbegehren über den Bundeshaushalt 2025, mit dem Kürzungen, vor allem im Sozial- und Bildungsbereich, verhindert werden sollten, hat die Parteispitze als unzulässig angesehen. Das Haushaltsrecht und damit die Abstimmung liege ausschließlich bei den Abgeordneten im Bundestag. Bevor die sich aber konkret an die Arbeit machen können, muss erstmal die Vorlage der Bundesregierung als Entwurf vorliegen. Neuer Stichtag dafür ist der 17. Juli.