Drei Fragen
„Wir brauchen Stabilitätspakt für GKV“
Die Beiträge für die Sozialversicherungen könnten in den kommenden zehn Jahren auf fast 49 Prozent steigen, warnt der Vorstandsvorsitzende der DAK-Gesundheit, Andreas Storm.
Herr Storm, wie teuer wird mein Beitrag zur Krankenversicherung im kommenden Jahr?
Im kommenden Jahr wird der Grundbeitrag zur gesetzlichen Krankenversicherung, also der GKV, stabil bleiben. Allerdings könnte der Zusatzbeitrag im kommenden Jahr um 0,6 Prozent erhöht werden. Das heißt für die sozialbeschäftigten Beschäftigten, eine Anteilige-Steigerung von 0,3 Prozent auf ihrem Lohnzettel. Aber wie hoch der Finanzbedarf für die GKV am Ende des Jahres sein wird, kann derzeit noch niemand absehen. Wir müssen uns da immer vor Augen halten: Die gesetzlichen Krankenkassen haben derzeit ein Defizit von 760 Millionen Euro und diese müssen finanziert werden. Also die prognostizierte 0,6 Prozent Beitragserhöhung bei der GKV bedeutet für einen Arbeitnehmer, der 3.000 Euro brutto verdient, ungefähr eine Erhöhung im kommenden Jahr um neun Euro pro Monat.
Im Klartext: Die Krankenkassenbeiträge werden nicht preiswerter?
Die Beiträge zur gesetzlichen Krankenkasse können nicht preiswerter werden. Die Anforderungen werden nicht weniger, sondern mehr. Wie ich das gerade angesprochen habe, ein Problem, dass die Krankenkassen hochgradig unterfinanziert sind. Ein Punkt: Wir haben im GKV-System viele Bürgergeldempfänger, der Beitrag liegt weit unter den abgerufenen Leistungen. Fakt ist, Bürgergeld-Empfänger zahlen 120 Euro, die der Bund übernimmt. Aber abgerufen werden dann pro Versicherten 390 Euro und diese Rechnung geht für uns als GKV dann nicht mehr auf.
Aber das heißt doch, der Beitragssatz allein für die Krankenversicherung muss steigen von derzeit durchschnittlich 16,3 Prozent, auf wie viel?
Wir haben diesbezüglich eine Umfrage in Auftrag gegeben, mit einer Projektion für die kommenden zehn Jahre. Und in dieser Studie von DAK-Gesundheit gehen wir davon aus, dass es einen Betragssprung von derzeit 16,3 auf 19,3 Prozent für die Arbeitnehmer bis 2035 geben könnte, wenn der Staat jetzt nicht reagiert. Das heißt, hier ist der Staat in der Pflicht. Darum fordern wir als gesetzliche Krankenversicherer einen Stabilitätspakt für die GKV. Der Staat muss reagieren und die Unterfinanzierung der Krankenkassen endlich beenden. Das kostet Geld, was aber nicht allein die Arbeitnehmer aufbringen können. Interview: Sven Bargel

Zweite Cannabis-Stufe
Seit dem 1. Juli gilt die zweite Stufe des Cannabis-Gesetzes, wonach Vereine Cannabis für den eigenen Verbrauch anbauen dürfen. Ein Verein darf maximal 500 Mitglieder haben, das selbst angebaute Rauschmittel darf nur an die Mitglieder veräußert werden. Doch wie immer steckt der Teufel im Detail bei der Umsetzung. Zum einen haben die Cannabis-Vereine gerade in den Ballungsräumen erhebliche Probleme, Anbauflächen zu finden. Denn nicht nur der Konsum von Cannabis ist in der Nähe von Kitas, Schulen oder Spielplätzen verboten, sondern auch der Anbau der Pflanzen. Dazu kommt, die Anbauflächen beziehungsweise die Gewächshäuser müssen behördlich genehmigt werden, doch bei den Zuständigkeiten in den Bundesländern wird es unübersichtlich. Und in Bayern geht man da offenbar einen sehr eigenen Weg. In einer Gemeinde wurde ein Cannabis-Verein ausgebremst. In der Oberpfalz hat man kurzerhand dem möglichen Vereinsstandort überraschend einen Minispielplatz vor die Nase gesetzt. Damit hatte sich der Verein erledigt.
Mehr Geld für Rentner
Seit dem 1. Juli bekommen die knapp 23 Millionen Rentner in Deutschland mehr Altersbezüge. Im Durchschnitt macht die Rentenerhöhung für Bezieher 77 Euro im Monat aus, wenn sie 45 Jahre gearbeitet haben, teilt das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Die jährliche Rentenerhöhung ist garantiert und wird über mehrere Faktoren berechnet. Dazu gehört die allgemeine Preissteigerung im konsumtiven Bereich und die Tarifabschlüsse in den Unternehmen. Kritik an der Rentenerhöhung kommt erwartungsgemäß von den Sozialverbänden, die übereinstimmend der Meinung sind, dass die Rentenerhöhung weit hinter der Inflationsrate der letzten zwei Jahre zurückbleibt. Vor allem Bezieher geringer Renten hätten das Nachsehen, da sich ihre Rentenerhöhung im täglichen Leben kaum bemerkbar macht, so der Paritätische Gesamtverband.
29-Euro-Ticket in Berlin sorgt für Ärger
Berlin ist bekannt für seine eigenen Wege. Diese Eigensinnigkeit des Stadtstaates an der Spree hat aber ihre Grenzen, nämlich wenn Bund und andere Länder über den Finanzausgleich für Berliner Sonderwege zahlen sollen. Beispiel ÖPNV: Nach langen Debatten wurde das bundesweite 49-Euro-Ticket für den ÖPNV ausgehandelt. In Bussen, Straßenbahnen, S-Bahnen und dem Regionalexpress gilt dieser Tarif. Berlin hat ein 29-Euro-Ticket eingeführt, allerdings gilt dieses nur im Stadtgebiet, da Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) diesen Tarif für sein Bundesland abgelehnt hatte. Nun wird klar: Das 29-Euro-Ticket wird die Stadt bis zu einer halben Milliarde Euro zusätzlich belasten, doch das Geld ist im Landeshaushalt überhaupt nicht vorhanden. Nun will Berlin diese Mehrkosten über den Länderfinanzausgleich einklagen. Sowohl vom Bund als auch aus den Ländern kommt scharfe Kritik. Einerseits wegen des Geldes, aber auch, weil mit dem Berliner Sonderweg die bundesweit einheitliche Tarifstruktur im ÖPNV unterlaufen wird.
Höchste Alarmstufe in Deutschland

Das Hauptquartier der US-Armee in Deutschland in Stuttgart (EUCOM) hat die höchste Alarmstufe „Charlie“ ausgelöst. Laut Berichten von US-Medien gibt es offenbar klare Hinweise auf einen Terroranschlag gegen amerikanische Militäreinrichtungen in Deutschland. Dazu gehört auch der größte Luftwaffenstützpunkt der
US-Armee außerhalb der USA in Ramstein bei Kaiserslautern in Rheinland-Pfalz. Das Hauptquartier in Stuttgart hat sich bislang zu
entsprechenden Berichten nicht geäußert. Damit ist auch unklar, um welche konkrete Bedrohungslage es sich handelt, die zur höchsten Alarmstufe bei den in Deutschland stationierten US-amerikanischen Truppen geführt hat.

Medien
Fernsehsender aufgelöst
In der Slowakei ist der öffentlich-rechtliche Sender RTVS aufgelöst und durch ein Staatsmedium ersetzt worden. Massive Proteste im Vorfeld haben nicht verhindert, dass sich die Regierung des populistischen Ministerpräsident Robert Fico mit der nationalistischen Kulturministerin Martina Simkovicova durchgesetzt hat. Präsident Peter Pellegrini hat praktisch in letzter Minute ein entsprechendes Gesetzespaket unterzeichnet, sodass die Auflösung zum 1. Juli in Kraft treten konnte. Die Parteien des nationalistischen Dreier-Regierungsbündnisses hatten in der Vergangenheit immer wieder den öffentlichen-rechtlichen Sender kritisiert und ihm eine voreingenommene Berichterstattung vorgeworfen. Weil eine Entlassung des Generaldirektors und anderer Mitarbeiter rechtlich nicht möglich war, hat sich die Regierungskoalition zur kompletten Auflösung des Senders entschlossen. Die Opposition hat Klage vor dem Verfassungsgericht angekündigt. Ihr Vorwurf: Die Regierung wolle sich nur ein Propaganda-Instrument zulegen.
Sorgen vor Wahlausgang
Die deutsche Wirtschaft sorgt sich um ihre Investitionen in Frankreich. „Bei der Analyse der wirtschaftspolitischen Ankündigungen der Rechten und der Linken kommen deutsche und französische Unternehmen zu demselben Schluss: Die Attraktivität Frankreichs würde darunter leiden“, sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutsch-Französischen Industrie- und Handelskammer, Patrick Brandmaier, nach der ersten Runde der Parlamentswahl in Frankreich. Starke Erhöhungen der Staatsausgaben, die Rücknahme der in den letzten sieben Jahren durchgeführten Reformen sowie die sehr wahrscheinliche Erhöhung der Steuern würden die Unternehmen nicht optimistisch stimmen. „Ebenso wenig wie bestimmte Ankündigungen, sich von Europa zu entfernen oder Freihandelsabkommen infrage zu stellen.“ Die ohnehin schon hohe Staatsverschuldung Frankreichs würde wahrscheinlich noch weiter steigen. „Weniger günstige Rahmenbedingungen und eine Konjunkturabschwächung in Frankreich würden daher auch die deutschen Unternehmen belasten“, sagt Brandmeier.
Inflation frisst Lohnsteigerung auf
Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes hat die Inflation die jüngste Steigerung der Einkommen in Deutschland aufgefressen. Zwar wuchs das mittlere Einkommen nach Angaben der Statistik von 2022 auf 2023 um 5,1 Prozent, die Teuerungsrate lag aber bei 5,9 Prozent. Die Daten hat das Bündnis Sahra Wagenknecht bei der Behörde abgefragt. Vergleicht man die Jahre 2021 und 2023, ist die Lücke noch größer. Die Inflation hatte sich nach dem russischen Angriff auf die Ukraine Anfang 2022 beschleunigt, weil Energie und in der Folge auch Produktion und importierte Waren viel teurer wurden. Gewerkschaften versuchten, die Preissprünge mit hohen Tarifabschlüssen auszugleichen, und auch die Renten wurden deutlich erhöht. Unterm Strich blieb aber in den Haushaltskassen im Schnitt ein Minus. Doch nun sinkt die Inflationsrate deutlich und liegt aktuell bei 2,2 Prozent.
Per Zug durch die Großregion
Junge Leute bis maximal 27, die ein Deutschland-Ticket besitzen und im Saarland, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg wohnen, können im Juli und August den öffentlichen Personennahverkehr in der gesamten Région Grand Est kostenlos nutzen. Das teilte das saarländische Umwelt- und Mobilitätsministerium mit. Im Gegenzug ermöglicht der französische „Pass Jeune“ jungen Menschen aus der Région Grand Est das Reisen im Regionalverkehr der drei Bundesländer. „Durch die gegenseitige Anerkennung der Tickets können junge Menschen beider Nationen für umgerechnet rund einen Euro pro Tag die jeweilige Nachbarregion erkunden. „Über 60.000 Saarländerinnen und Saarländer, die bereits über ein Junge-Leute-Ticket verfügen, haben so die Möglichkeit, in den Sommermonaten unsere Nachbarländer zu erkunden“, so Ministerin Petra Berg (SPD). Mit den Tickets ist die Fahrt in französischen Regionalzügen und -bussen möglich; die unter 28-Jährigen mit Wohnsitz in Grand Est fahren mit ihrem „Pass Jeune“ ohne Aufpreis in den deutschen Regionalzügen IRE, RE, RB sowie den S-Bahnen.
Landwirtschaft
Höhere Steuer „denkbar“

Bislang liegt die Mehrwertsteuer auf Fleisch bei sieben Prozent. Bundesagrarminister Cem Özdemir (Grüne) hat sich nun für eine leichte Anhebung der Mehrwertsteuer auf Fleisch ausgesprochen, um einen Umbau der Tierhaltung zu höheren Standards mitzufinanzieren. Er griff beim Deutschen Bauerntag in Cottbus einen entsprechenden Vorschlag des Bauernverbands auf und sagte, er sei dazu bereit. Zugleich sollte die Politik eine Vereinbarung treffen, „dass dieses Geld ausschließlich in der Tierhaltung landet für den Umbau der Ställe, für höhere Haltungsformen“. Bauernpräsident Joachim Rukwied hatte deutlich gemacht, dass die Mehrwertsteuer auf Fleisch von bisher ermäßigten sieben Prozent um zwei oder drei Punkte erhöht werden könnte – aber nicht auf den vollen Satz von 19 Prozent, damit auch einkommensschwächere Familien weiterhin Fleisch und Wurst kaufen könnten. Hintergrund ist, dass Bauern auf Investitionen für Stallumbauten und höheren laufenden Kosten nicht allein sitzen bleiben sollen. Die Ampel-Koalition hat als Anschub eine Milliarde Euro für die Schweinehaltung reserviert, ringt aber seit Monaten um eine dauerhafte, umfassende Finanzierung.

Transporte
Maut auf Landstraßen?
Um den Umweltschutz im Straßenverkehr konsequenter umzusetzen, muss die Lkw-Maut auch im ländlichen Raum eingeführt werden; viele Fuhrunternehmer würden aus Kostengründen immer mehr auf die kommunalen Straßen ausweichen, so der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe (DUH), Jürgen Resch. Dies sei für den Klimaschutz kontraproduktiv. „Jetzt fehlt noch der konsequente nächste Schritt der Ausweitung der Lkw-Maut auf alle Straßen, also auch Landes- und Kreisstraßen. Die mit dem Güterverkehr verbundenen Straßen- und Brückenschäden erfordern eine konsequente Bepreisung des Güterverkehrs auf allen Straßenarten. Die Benachteiligung der Schiene muss endlich beendet werden.“ Für Resch unverständlich: Während beim Gütertransport aktuell nur gut die Hälfte der Lkw-Fahrleistung auf gebührenpflichtigen Straßen zurückgelegt werden, werden beim Schienenverkehr auf 100 Prozent des Schienennetzes Gebühren erhoben. Damit hat die Schiene einen erheblichen Nachteil, wobei der Güterverkehr mit der Bahn unter Umweltaspekten eine wesentliche bessere Klimabilanz vorweist als der Güterverkehr per Lkw, so Resch.
Rekord bei den erneuerbaren Energien

Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck kann endlich mal mit einer positiven Meldung aufwarten. Halbjahresrekord bei der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien: Strom aus Wind, Sonnenlicht, Biomasse und Wasserkraft hat im ersten Halbjahr 2024 rund 58 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland gedeckt. Das geht aus Hochrechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) hervor. Im ersten Halbjahr 2023 lag der Anteil der erneuerbaren Energien noch bei 52 Prozent. Der Bruttoinlandsstromverbrauch betrug insgesamt 261 Milliarden Kilowattstunden und lag damit 0,3 Prozent unter dem Vorjahreswert. Aus der Erhebung geht hervor, im ersten Halbjahr 2024 haben erneuerbare Energien jeden Monat mehr als die Hälfte des monatlichen Stromverbrauchs gedeckt. Der Trend geht nach oben, bereits seit April liegt der Anteil der erneuerbaren Energien in Deutschland bei über 59 Prozent.
Wiegand Will’s Wissen
Blickpunkt Europa
Der Wahlausgang in Frankreich zeigt: Kein Land in Europa lebt in politischer Glückseligkeit. Überall wollen volkstümelnde Kräfte die Macht angreifen. Bislang tonangebende Politiker und Parteien wirken ratlos. Populisten nutzen das aus.
In Paris hat die rechtsextreme Präsidentschaftsaspirantin Marine Le Pen ein auf jung gebürstetes Nationalismus-Startup aufgestellt. Hinter der „bürgerlichen“ Fassade geht es knallhart zu. So stellt Le Pen Amtsinhaber Emmanuel Macron als Armee-Oberkommandierenden in Frage. Der adrette Premieranwärter Jordan Bardella und seine politische Ziehmutter wollen die Staatsordnung unseres Nachbarlandes angreifen. Das ist für uns brisant, weil Le Pen pro-russische und anti-deutsche Narrative pflegt.
Die Stichwahlen werden zeigen, ob der deutsch-französische Motor abgeschaltet wird. Und so, wie in Frankreich, sind Klarheiten EU-weit in Gefahr. Dabei bräuchten wir in diesen unruhigen Zeiten Stabilität. Die Wirtschaft mahnt, sich mehr um „Wettbewerbsfähigkeit“ zu kümmern. EU-Großprojekte wie Verteidigung, Digitalisierung oder Klimaschutz sind nur zu meistern, wenn die Wirtschaft brummt. Das bringt Jobs, mehr Steuereinnahmen und weniger Staatsverschuldung.
Die anstehende Wahl in den USA könnte alles weiter durcheinanderwirbeln. Überdies wird uns Russlands Krieg weiter in Atem halten. Dazu kommen Ränkespiele Chinas und Folgen regionaler Konflikte wie in Nahost inklusive Migration.
Die EU muss zugleich Sicherheit, Nachhaltigkeit und Wirtschaftswohl sichern. Je instabiler die EU ist, desto schwächer sind wir alle, also wird dies eine enorme Kraftanstrengungen. Können wir die packen?
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.