Trotz aller Begeisterung für seine neue Aufgabe wird Trainer Cristian Fiel bei Hertha BSC lernen müssen, mit den dort herrschenden Extremen umzugehen.

Vor dem Beginn der gemeinsamen Vorbereitung verkörperte der neue Übungsleiter von Hertha BSC förmlich die pure Aufbruchsstimmung: „Ich bin seit zwölf Tagen in Berlin, wollte mir ein Bild von allem machen und die Mitarbeiter kennenlernen – es ist Zeit, dass es losgeht und wir auf den Platz können“, gab Cristian Fiel auf der Pressekonferenz zu Protokoll. „Ich habe kurz in den Kraftraum geschaut und die Spieler beim Vorbereiten gesehen. Jetzt will ich raus mit den Jungs und ihnen meine Idee vermitteln.“
Keine Frage, da brennt jemand für seine neue Aufgabe – die es allerdings in sich hat, denn das Ziel für den Nachfolger von Pal Dardai lautet nicht mehr und nicht weniger als Aufstieg. Doch von Druck will Fiel nichts wissen: „Mir ist bewusst, bei welchem Verein ich bin und was erwartet wird: Wir sind eine der Mannschaften, die oben mit dabei sind“, beschrieb der 44-Jährige, wie er die neue Aufgabe annehmen will. Seine Spielidee skizzierte der gebürtige Schwabe mit den spanischen Wurzeln dabei wie folgt: „Ich will diesen Ball haben und das Spiel kontrollieren, dass wir den Gegner in seiner Hälfte immer wieder vor Aufgaben stellen.“ Das klingt nach dem dominanten Ballbesitz-Fußball, an dessen Implementierung Fiels Vorgänger sich allerdings die Zähne ausgebissen haben – auch zuletzt unter Dardai gelang es den Berlinern dabei nur phasenweise, die Vorgaben in die Tat umzusetzen. Doch der neue Trainer versprühte anlässlich seiner Vorstellung mit Statements wie „Mit diesem Kader wäre es falsch, nicht oben ran zu wollen“ oder „Ich habe die Spieler, die meine Idee umsetzen möchten“ Zuversicht und Selbstbewusstsein – überhaupt sieht Fiel bei Hertha BSC „eine große Möglichkeit, Dinge umzusetzen, die in meinem Kopf sind“.
Das Prinzip gilt: „Einsicht in die Notwendigkeit“

Allerdings ist auch in dieser Vorbereitungszeit wieder unklar, wer am Ende tatsächlich zur Verfügung steht – zwar nicht ganz so extrem wie vor einem Jahr, als Hertha BSC nach dem Abstieg aus der Bundesliga den großen „Räumungsverkauf“ im Kader vollzog. Damals musste Pal Dardai damit leben, dass erst Wochen nach Saisonbeginn der Kader zum Ende des Transferfensters endgültig stand – natürlich ein Faktor, der auch die Konkurrenz betraf. Aber angesichts der finanziell dramatischen Situation fiel dieser bei Hertha BSC eben besonders extrem aus und führte auch dazu, dass das Team erst sehr verspätet zusammenfand. Auch diesmal gehen die Verantwortlichen dabei auf dem Transfermarkt bedächtig zur Sache, haben dort sogar bereits einen Erfolg zu verzeichnen gehabt. Denn mit Suat Serdar konnte man einen der immer noch vorhandenen Großverdiener aus Bundesliga-Zeiten gegen eine Ablösesumme von 4,5 Millionen Euro an Hellas Verona (Serie A, Italien) veräußern – ursprünglich hätte der Deutsch-Türke noch ein für zwei weitere Jahre gültiges Arbeitspapier in Berlin besessen. Im Fall von Talent Bence Dardai (ablösefrei zum VfL Wolfsburg) fiel die Transferbilanz da weniger erfolgreich aus, doch angesichts der Situation mit dünner Finanzdecke und anhaltender sportlicher Zweitklassigkeit ließ sich dies kaum vermeiden. Dazu sieht sich der Verein einmal mehr mit „Rückläufern“ aus Leihgeschäften konfrontiert: So kehren in diesem Sommer mit Wilfried Kanga (von Standard Lüttich – Vertrag bei Hertha bis 2026), Myziane Maolida (Hibernian Edinburgh – bis 2025) und Kelian Nsona (MSK Zilina – bis 2026) drei Profis zurück, die eigentlich umgehend wieder abgegeben werden sollen. Der ebenfalls verliehene Julian Eitschberger (vom Halleschen FC) hingegen hat seine „Lehrzeit“ so absolviert, dass er bei Hertha BSC einen neuen Kontrakt erhielt. Frühzeitig schlug man dazu bei den ablösefreien Luca Schuler (25, 1. FC Magdeburg) sowie Kevin Sessa (23, 1. FC Heidenheim) zu. Für Michael Cuisance (24) gab man auch Geld aus, für den zuletzt leihweise beim VfL Osnabrück tätigen Mittelfeldspieler überwies man 300.000 Euro an den FC Venedig (weitere Bonuszahlungen möglich). Jung an Jahren, aber dennoch erfahren – damit erfüllte er das Profil, das bei Hertha BSC derzeit besonders gefragt ist. In der Personalie von Diego Demme war letzte Woche hingegen weiterhin – und wie schon im Sommer 2023 über Monate – davon die Rede, dass diese kurz vor dem Abschluss stehe. Der 32-jährige Routinier, der beim SSC Neapel zuletzt kaum zum Zug kam, soll dem jungen Kader ein bisschen mehr Reife verleihen.

Bei allen Personalplanungen muss sich der neue Trainer Cristian Fiel jedoch darüber im Klaren sein, dass bei Hertha BSC auf dem Transfermarkt nach wie vor das Prinzip „Einsicht in die Notwendigkeit“ regiert. So sind die bereits getätigten Verpflichtungen auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass man Spieler abgeben wird, die über einen gewissen Wert verfügen. Konkret zeigt sich das etwa in den Verhandlungen um Talent Ibrahim Maza, für den der VfB Stuttgart ein konkretes Angebot über sechs Millionen Euro abgegeben haben soll. Es steht dabei außer Frage, dass die Berliner den 18-Jährigen ziehen lassen werden – Maza winkt beim VfB außerdem als zusätzliches „Bonbon“ neben dem persönlichen Aufstieg in die Bundesliga auch noch die Champions-League-Teilnahme. Ein Pfund, mit dem die Schwaben in dieser Transferperiode wuchern können, aber auch müssen: Denn ihnen droht – auf weit höherem Niveau – ein ähnliches Schicksal wie Hertha BSC. Schließlich müssen sie auf Abgänge wie die von Guirassy oder Ito und sich abzeichnende Transfers von Anton, Führich et cetera reagieren.
Ibrahim Maza könnte dadurch sogar nicht der einzige Hertha-Profi bleiben, der den Weg nach Stuttgart antritt. Auch Defensivspieler Pascal Klemens und Flügelflitzer Fabian Reese sollen im Visier des VfB stehen – dazu wurde Torschützenkönig Haris Tabakovic zuletzt mit dem 1. FC Heidenheim in Verbindung gebracht. Allein mit dem Abgang des überragenden Sturmduos der vergangenen Saison würden Hertha BSC quasi 57 Torbeteiligungen von 2023/24 abhandenkommen. Bezüglich adäquaten Ersatzes müssten die Verantwortlichen da auf dem Markt schon eine hohe Treffsicherheit an den Tag legen und der neue Trainer die Zugänge ideal in den Kader integrieren. Das bleibt die Realität bei den Hauptstädtern, die sich auch kommende Saison zwischen den Extremen der Veräußerung der wertvollsten Spieler und gleichzeitiger sportlicher Steigerung bewegt – um trotz allem um den Aufstieg mitspielen zu können.