Keine EM oder WM ohne die fünf Kategorien von Tipp-Spielern
Hand aufs Herz: Wenn EM oder WM ist, macht so ziemlich jeder in irgendeiner Tippspiel-Runde mit – ob er oder sie sich für Fußball interessiert oder nicht. Generell lassen sich dabei fünf Kategorien von Tippern unterscheiden.
Da wäre zum einen der selbsternannte Experte. Er ist grundsätzlich männlich und stets restlos von sich überzeugt. Vor allem ist er sich absolut sicher, dass außer ihm ohnehin keiner Ahnung hat. Er hat grundsätzlich eine Dauerkarte bei seinem Lieblingsverein, bekommt aber meist nur die Hälfte des Spiels mit, weil er permanent zum Bierstand pilgert, um das Level hochzuhalten – oder zum WC, um in der Blase Platz für die nächste Kalthopfenschale zu machen. Egal welcher Bundestrainer gerade in der Verantwortung ist: Für den selbsternannten Experten ist dieser grundsätzlich „ein Blinder“, und wenn der „Experte“ im Tippspiel „unter ferner liefen“ landet, dann nur, weil er doch schon immer gesagt hat, „dass der Blinde die falschen Spieler nominiert hat“.
Dann gibt es den Fußball-Professor, und auch diese Gattung ist grundsätzlich männlich. Er studiert vor jedem einzelnen Tipp stundenlang akribisch jede auffindbare Statistik. Er kennt jedes Ergebnis der direkten Duelle beider beteiligten Teams der vergangenen 53 Jahre in- und auswendig und kann diese selbst dann zielsicher referieren, wenn er nachts um 3 Uhr aus dem Tiefschlaf gerissen wird. Er kennt jedes Wehwehchen eines jeden Spielers, jedes Tattoo und ob Spieler X eine glückliche oder Spieler Y eine unglückliche Beziehung führt. Er weiß genau, wer wann was und wie viel zuletzt vor dem Spiel gegessen hat und kann daraus exakte Rückschlüsse auf die Korrelation zwischen zu erwartender Verdauung und potenzieller Tagesform schließen. Er überlässt nichts dem Zufall und nichts unbedacht– und gewinnt am Ende doch nicht beim Tippspiel, weil er vor lauter Akribie vergisst, rechtzeitig vor dem Anstoß seinen Tipp abzugeben.
Der nächste Tipp-Typ ist der des Jungspundes. Er kann sowohl männlich auch als weiblich sein. Für den Jungspund ist es das erste bewusst erlebte Großturnier. Er hat noch keinerlei Fußball-Erfahrung, hält sich im jugendlichen Überschwang aber bereits für einen echten Experten – nur ohne Dauerkarte und den ausgiebigen Biergenuss (siehe oben). Sein Wissen schöpft er in aller Regel aus den mehr oder wenig qualifizierten Kommentaren seiner Altvorderen oder der bereits im Verein kickenden Schulfreunde, die ob dieser Tatsache bereits ein sehr ausgeprägtes Ego haben. Ihnen eigen ist, dass sie alle Bayernfans sind, da sie bis Mai dieses Jahres nicht wussten, dass auch ein anderes Team in der Bundesliga Deutscher Meister werden darf. Da der Bayernanteil bei der EM zwar vorhanden, aber letztlich überschaubar ist, geraten auch sie beim Tippspiel schnell an ihre Grenzen.
Typ Nummer vier ist die echte Expertin. Sie ist grundsätzlich weiblich, hat jede Menge Wissen rund um den Fußball, hält sich bei Diskussionen aber meist dezent zurück. Beim Pseudo-Fachwissen-Gebrabbel ihrer männlichen Kollegen und Freunde, die sich bei solchen Anlässen stets in den Vordergrund spielen, denkt sie sich ihren Teil und rollt allenfalls innerlich mit den Augen. Sie landet mit ihren Tipps meist im vorderen Teil des Tippfeldes, da sie mit einer Mischung aus echtem Fachwissen und weiblicher Intuition punktet. Zum Gesamtsieg reicht es dennoch nicht – weil sie weiß, dass Fußball manchmal eben auch Glückssache ist und daher nicht jeder Tipp aufgeht.
Die letzte Gattung ist die der unbedarften Tipperin. Sie ist grundsätzlich weiblich, findet Fußball schlichtweg doof und wird nicht müde, dies bei jeder Gelegenheit lautstark kundzutun. Nur alle zwei Jahre, bei EM oder WM, lässt sie sich herab, ihre Aufmerksamkeit den Balltretern zu widmen. Sie weiß zwar nicht, wer da gerade gegen wen spielt und wer gut ist oder nicht. Das hält sie aber nicht davon ab, in jeder Tipprunde mitzumischen. Ihre Tipps macht sie meist davon abhängig, wer die schöneren Trikots hat, den bestaussehenden Mitspieler in seinen Reihen, die abstoßendsten Tattoos, die interessanteste Frisur oder schlicht vom Lauf der Gestirne. Am Ende ist in aller Regel sie es, die den Jackpot der Tippgemeinschaft abräumt, und danach wieder zwei Jahre lang lästert, wie doof sie Fußball findet.