Ein Forscherteam der Universität des Saarlandes hat zusammen mit Wissenschaftlerinnen aus den Niederlanden nachgewiesen, dass höhere Pilze mithilfe von Lignin wachsen können. Aus dem Pflanzenstoff lassen sich Chemikalien gewinnen, die in naher Zukunft in der Pharmabranche, im Food-Sektor und der chemischen Industrie zum Einsatz kommen können.
Manchmal führt eine Zufallsbekanntschaft zwischen Wissenschaftlern zu einem Nachweis, der unser bisheriges Verständnis von Pilzen von Grund auf verändert – und eine große Perspektive für mögliche Anwendungsbereiche in naher Zukunft eröffnet.
Doch von Anfang an: Im Jahr 2022 flog Dr. Michael Kohlstedt, Mitarbeiter am Lehrstuhl für Systembiotechnologie von Professor Christoph Wittmann an der Universität des Saarlandes, nach Boston, um an der Gordon Research Conference zu den biologisch-chemisch-technischen Potenzialen von Lignin teilzunehmen. Das Forschungsteam des Instituts für Systembiotechnologie sucht nach technischen Verfahren, mit deren Hilfe biobasierte Stoffe des täglichen Lebens hergestellt werden können. Gerade auf dem Forschungsfeld des Lignins – ein essenzieller Bestandteil des Holzes – kann es auf eine mittlerweile zehnjährige Expertise verweisen.
In einer Pause kam Kohlstedt ins Gespräch mit Katharina Duran von der Universität Wageningen. Dabei stellte sich heraus, dass Duran und ihre Kollegin Mirjam Kabel Wissenschaftler suchten, die experimentell beweisen konnten, dass höhere Pilze in der Lage sind, Lignin zu verstoffwechseln. An der Uni Wageningen konnte man diese Messungen mit sehr kleinen Proben nicht machen. Daher sagte Michael Kohlstedt damals: „Wir könnten es mit Massenspektrometrie probieren, da brauchen wir nur ein bis zwei Milligramm an Material.“ Bis die erfolgreiche Forschungsarbeit unter der Leitung der Studienautorinnen Mirjam Kabel und Katharina Duran von der Universität Wageningen im Fachmagazin „Science Advances“ publiziert wurde, vergingen zwei Jahre.
Lange Zeit dachte man, dass höhere Pilze das Lignin vom Totholz quasi „links liegen lassen“, um an den Zucker heranzukommen, ohne daraus einen energetischen Nutzen oder Nährwert zu ziehen. „Wir wollten zeigen, dass man in allen Biomasse-Bausteinen des Pilzes, seinen Proteinen, Fetten und Zuckern, den Kohlenstoff des Lignins wiederfinden kann“, sagt der Biotechnologe. Allerdings brauchte man, um den Nachweis zu erbringen, dass der Pilz den Stoff aufnimmt, ein nachverfolgbares Lignin. „Die Herausforderung, vor der wir standen, war, die Kohlenstoffatome aus dem Lignin im fertigen Pilz wiederzufinden. Das hatte damals noch keiner geschafft: ein Lignin herzustellen, das markiert ist“, erklärt Michael Kohlstedt.
Lignin ist essenzieller Bestandteil des Holzes
Um genauer zu verstehen, was es damit auf sich hat, muss man einen Blick auf die Kohlenstoffverbindung des Lignins werfen. Die Pilze wurden im Labor auf Lignin herangezogen, das anstatt mit natürlichem Kohlenstoff mit 13C-Kohlenstoff versetzt war. Heißt: Das Kohlenstoffatom hat im Vergleich zu dem in der Natur vorkommenden 12C-Kohlenstoff ein Neutron mehr. Damit ist es eine Masseneinheit schwerer als sein natürliches Pendant. Um die Abweichung in der Masse deutlich zu machen, wurden neben dem 13C-Lignin fünf weitere Kontrollgruppen beziehungsweise Bedingungen untersucht. „Diesen winzig kleinen Massenunterschied konnten wir anhand von Messungen mit dem Massenspektrometer sichtbar machen“, sagt Kohlstedt.
Zweite Herausforderung war, das Experiment auf eine Größe zu verkleinern, die die technische und wirtschaftliche Umsetzbarkeit ermöglichte: In einem Schüttelkolben wuchs so ein Pilz in einer Flüssigkultur heran, genauer gesagt ein feingliedriges Pilzmycel. Nach dieser Anwuchsphase wurde der Pilz in seine Komponenten, also das Zelleiweiß in Aminosäuren, die Lipide in Fettsäuren und das strukturgebende Chitin in Zuckereinheiten zerlegt und unabhängig voneinander analysiert. „Die eigentliche Messung bestand darin, die einzelnen Monomere zu vermessen. Als wir dort den 13C-Kohlenstoff wiederfanden, also eine Abweichung vom natürlichen Zustand, wussten wir, dass es vom künstlich hergestellten, markierten Lignin gekommen sein muss“, erklärt er weiter. Durch das Übereinanderlegen der Messdaten konnten die Biotechnologie-Forscher ermitteln, wie viel Kohlenstoff in den Pilzen welchen Ursprungs ist. So ließ sich beantworten, was der Pilz aus dem Zucker und was aus dem Lignin aufgenommen beziehungsweise verstoffwechselt hat. Unterm Strich brachten die Experimente in den Laboren des Instituts für Systembiotechnologie die Erkenntnis, dass höhere Pilze dazu fähig sind, Lignin metabolisch zu verwerten.
Da die Arbeitsgruppe um Christoph Wittmann und Michael Kohlstedt seit Jahren an Wegen und Möglichkeiten forscht, Lignin nutzbar zu machen und als einen wertvollen Rohstoff zu verankern, sah sie sich durch das Ergebnis ermutigt, in ihren Anstrengungen nicht nachzulassen. Lignin fällt unter anderem als Abfallstoff in der Papierindustrie an. Schätzungsweise macht es dort 30 bis 40 Prozent der Abfallstoffe aus. „Wir sind allerdings noch nicht so weit, das Lignin großtechnisch stofflich zu verwerten“, räumt Michael Kohlstedt ein. Größtenteils werde das Lignin verbrannt, abgesehen von einigen Nischen-Anwendungen, wo der Pflanzenstoff schon jetzt zum Einsatz komme. Ein mögliches Zukunftsszenario ist, dass das Lignin als Erdölersatz an Bedeutung gewinnt. „Das Lignin enthält jene aromatischen Verbindungen, aus denen auch Erdöl zusammengesetzt ist. Unsere Hoffnung ist, dass eines Tages das Lignin weltweit zur Reduktion von fossilem Erdöl einen wichtigen Beitrag leisten kann“, erläutert Michael Kohlstedt.
Lignin zum Beispiel als Erdölersatz möglich
Daneben sind viele weitere Anwendungsbereiche für das Lignin denkbar, nicht nur in der chemischen Industrie, sondern auch im Food-Sektor und in der Pharmaindustrie. Es gebe etliche Produkte, die anstatt aus fossilen aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden können, ist Michael Kohlstedt überzeugt. „Wenn ich Biomasse verwerte und in den Kreislauf bringe, gleichzeitig an anderer Stelle wieder neuer Rohstoff nachwächst, setze ich zumindest an der Stelle auf eine biobasierte Produktion“, erklärt der Saarbrücker Wissenschaftler. Auf einer nächsthöheren Stufe könne man versuchen, die Produkte so zu designen, dass sie wieder in den Kreislauf zurückgelangen und ihrerseits zu Rohstoff werden (Cradle-to-cradle), zum Beispiel eine Einwegverpackung, die von Mikroorganismen zerlegt wird. Denkbar sei es zudem, deutlich langlebigere und nachhaltigere Materialien zu entwickeln, um so von Einwegartikeln wegzukommen. „Unsere Idee ist nicht, Bäume zu pflanzen, um sie später wieder zu fällen, sondern das Lignin aus Stoffen zu gewinnen, die heute schon in der Land- und Forstwirtschaft abfallen und bisher leider nur thermisch verwertet werden“, sagt Michael Kohlstedt. Vor allem könne man Waldrestholz, Biomasse-Reststoffe und Agrarabfälle auch stofflich verwerten. „Wir würden damit auf etwas zurückgreifen, was nicht in Konkurrenz tritt mit der Nahrungsmittelherstellung und erst auf Plantagen angebaut werden müsste.“
Unterdessen entwickeln die Mitarbeiter des Instituts für Systembiotechnologie an der Universität des Saarlandes weitere Wertschöpfungsketten und zeigen, dass sie im Labor und mitunter auch im Pilotmaßstab funktionieren. So beispielsweise der Nylonfaden der Zukunft, der sich aus Lignin herstellen lässt. Aktuell versuchen sie zu demonstrieren, dass Papier- und Kartonageabfall in Zucker zerlegt werden kann. Wenn dann noch Mikroorganismen ins Spiel kommen, kann man daraus alle denkbaren Chemikalien herstellen.