Trotz des Einzugs in die Champions League schauen die Füchse Berlin bei der Kaderplanung zuerst in den eigenen Regionen. Ein prominenter Neuzugang hat ebenfalls einen Berlin-Bezug.
Meistertitel sind für die Füchse Berlin fast schon Routine – allerdings nur im Nachwuchsbereich. In der männlichen A-Jugend kann der Handball-Club aus der Hauptstadt auf eine beeindruckende Dominanz verweisen: Seit 2011 haben die Füchse achtmal in der nationalen Topliga triumphiert, auch in der abgelaufenen Saison setzten sie sich im Finale mit zwei Siegen im Hin- und Rückspiel gegen den Nachwuchs der Rhein-Neckar Löwen durch. Doch es kam noch besser: Am selben Wochenende sicherte sich auch die jüngere B-Jugend gegen Leipzig den Titel, sodass der Club nach 2013, 2021 und 2023 zum insgesamt vierten Mal in beiden Altersklassen eine Doppelmeisterschaft feiern konnte. Berlin ist ohne Zweifel das Maß der Dinge im deutschen Nachwuchs-Handball – und das soll sich demnächst noch stärker auf das Profiteam auswirken.
Starker Nachwuchs als große Chance
Die Füchse treiben die „Berlinalisierung“ ihres Kaders auch für die anstehende Champions-League-Saison weiter voran. Den Begriff hatte einst Geschäftsführer Bob Hanning geprägt, als er 2005 zum damaligen Zweitligisten gewechselt war. Er wusste schon damals: Ein starker Nachwuchs ist die große Chance des Clubs für langfristigen Erfolg. Nun ist die Zeit gekommen, für die Bemühungen und auch finanziellen Investitionen noch stärker die Früchte zu ernten. „Wir bringen Profisport auf Augenhöhe mit Jugendsport, das ist einzigartig in Deutschland. Bei uns spielen einfach ganz viele Eigengewächse und das auf hohem Niveau. Das schafft von den absoluten Spitzenclubs sonst keiner“, sagte Hanning dem „Neuen Deutschland“. Das sei auch seine persönliche Motivation, nach so vielen Jahren in der Verantwortung weiter mit voller Leidenschaft an dem Herzensprojekt zu arbeiten: „Wir kaufen uns den Champions-League-Startplatz nicht, sondern wir erarbeiten ihn uns.“
In der abgelaufenen Saison war es endlich so weit, dank des zweiten Platzes in der Bundesliga-Abschlusstabelle haben sich die Füchse nach elf Jahren wieder für die Königsklasse qualifiziert. Die Auslosung Ende Juni hat die Vorfreude noch mal verstärkt. Wisla Plock (Polen), Veszprem (Ungarn), Paris St. Germain (Frankreich), Fredericia (Dänemark), Sporting (Portugal), Bukarest (Rumänien) und Pelister (Nordmazedonien) wurden den Berlinern in der Gruppe zugelost. „Wir haben eine Gruppe erwischt, die genau das verspricht, was Champions League ausmacht. Viele Emotionen und viel Atmosphäre – besonders wenn ich an Spiele in Plock, Veszprem, Paris oder Lissabon denke“, reagierte Trainer Jaron Siewert: „Von Platz zwei im Idealfall bis Platz sieben oder acht im schlechtesten Fall ist alles möglich.“
Allein die Teilnahme im Konzert der Großen sei für den gesamten Verein noch mal ein Riesenschritt nach vorne, erklärte Hanning. Man stoße „einfach noch einmal in eine neue Dimension“ vor, sagte er: „Von daher ist es wirklich das Größte!“ Der 56-Jährige wollte dem verpassten ersten Meistertitel daher nicht lange nachtrauern, zumal der SC Magdeburg verdientermaßen vor den Füchsen und allen anderen Teams gestanden habe. „Die spielen in einer anderen Liga und sind einfach besser als der Rest“, meinte Hanning, der mit Stolz auf die Spielzeit 2023/24 bilanzierte: „Das ist die beste Saison, die wir je gespielt haben. Das hört sich ein bisschen schizophren an, weil wir ja letztes Jahr noch einen Europapokaltitel gefeiert haben.“
Der Titel in der European League blieb den Füchsen in diesem Jahr aufgrund eines schwachen Finalauftritts gegen Ligakonkurrent SG Flensburg Handewitt verwehrt, und auch im nationalen Pokal gab es für das Team von Trainer Siewert im enttäuschenden Final Four nichts Silbernes zu holen. Doch das soll die Freude über die insgesamt starke Saison nicht schmälern. Auch Sportvorstand Stefan Kretzschmar sprach von einer „fast optimalen Saison“, einen Angriff auf den SCM wagte der frühere Weltklasse-Handballer aber nicht zu formulieren. „Es wäre vermessen, das Ziel auszugeben, Deutscher Meister werden zu wollen“, sagte der 51-Jährige: „Wir wollen sie gerne ärgern, wir versuchen das mit allen Mitteln.“ Einfach werde dies nicht. „Es ist zu befürchten, dass die Dominanz der Magdeburger die nächsten Jahre anhält. Alle anderen müssen sich überlegen, wie man diesen SC Magdeburg schlagen kann.“ Die Füchse hätten es aufgrund der großen Sport-Konkurrenz in der Hauptstadt zwar nicht leicht. Doch Kretzschmar bemerkte nicht ohne Stolz, „dass die Füchse Berlin so attraktiv sind wie nie zuvor“.
Spielpraxis beim VfL Potsdam gesammelt
Vor allem natürlich für talentierte Nachwuchsspieler. Die sollen bei den Füchsen in der kommenden Saison noch mehr Verantwortung übernehmen. So will der Club nach dem Abgang des Russen Wiktor Kirejew keinen externen Ersatz verpflichten, sondern Youngster Lasse Ludwig im Gespann mit Stammkeeper Dejan Milosavljev mehr Einsatzzeiten geben. „Lasse Ludwig gibt mit seiner unaufgeregten und ruhigen Art dem Spiel und der Abwehr die nötige Sicherheit“, schwärmte Hanning: „Er ist ein absoluter Crunchtime-Spieler.“ Das bedeutet: In den besonderes engen und wichtigen Situationen ist auf den deutschen U21-Weltmeister Verlass. Auch Kretzschmar hat keinerlei Bedenken, den jungen Torwart, der bislang vor allem bei Kooperationspartner VfL Potsdam in der Zweiten Liga Spielpraxis gesammelt hat, in der Bundesliga und Champions League aufs Feld zu schicken: „Wozu er in der Lage ist, hat er schon mehrfach bewiesen.“
Gleiches trifft auf Max Beneke zu. Der 21-Jährige rückt nun komplett in den Profikader der Berliner auf und soll im rechten Rückraum vom gesetzten Welthandballer Mathias Gidsel lernen und sich möglichst Stück für Stück an dessen Niveau herantasten. Beneke sei die „ideale Ergänzung“ zum Dänen Gidsel, meinte Kretzschmar: „Ich bin mir sicher, dass er sich noch mal steigern wird, wenn er vollwertiges Mitglied dieser Mannschaft wird.“ Beneke und Ludwig sind Paradebeispiele für die bislang hervorragende Vernetzung mit Kooperationspartner VfL Potsdam, die sich nach dem Aufstieg der Landeshauptstädter aber etwas schwieriger gestaltet. Denn ein Zweitspielrecht für dieselbe Liga lassen die Statuten nicht zu. Während der Saison punktuell Potsdamer Spieler bei den Pflichtspielen der Füchse einzusetzen, ist nun nicht mehr möglich. Doch Hanning sieht auch einen positiven Effekt: „Wir können jetzt viele unserer Talente auf noch höherem Niveau spielen sehen, was ich als großen Vorteil ansehe.“ Die Kooperation wird in jedem Fall fortgesetzt.
Der bislang namhafteste Neuzugang kommt auch aus Berlin – wurde dort aber nicht ausgebildet: Tobias Reichmann. Vor 36 Jahren in Berlin geboren, kann sich der Ex-Nationalspieler mit seiner neuen Aufgabe komplett identifizieren. „Ich freue mich auf Berlin, die Mannschaft und den Verein. Ich bin gespannt, wo die Reise in der nächsten Saison hingeht“, sagte Reichmann: „Zudem habe ich gehört, dass ich der Älteste in der Mannschaft bin. Ich will meine Erfahrung auf jeden Fall mit den jungen Spielern teilen und so etwas Positives bewirken.“ Der Rechtsaußen soll den Weggang von Hans Lindberg kompensieren, zumal auf dieser Position Valter Chrintz noch länger verletzt ausfällt. In der Rückrunde der Vorsaison hatten die Rhein-Neckar Löwen den vertragslosen Reichmann als Ersatz für den verletzten Kapitän Patrick Groetzki nachverpflichtet und damit einen Glücksgriff gelandet. Auch deshalb schlugen die Füchse nun zu. „Tobias ist ein Junge aus Berlin. Aber in den 16 Jahren, in denen ich hier bin, hat es nie geklappt, ihn zu uns zu holen. Ich freue mich sehr, dass es jetzt passt“, sagte Hanning.