Zwei große Leidenschaften prägen das Leben von Dr. Jan Holger Holtschmit: Orthopädie und Pferdesport. Beide vereint er unter anderem für den Weltreiterverband bei den Olympischen und Paralympischen Spielen.
Allein die Auflistung seiner Funktionen, Fachgebiete und Ehrenämter würde gefühlt schon eine halbe Seite füllen. In den kommenden Wochen konzentriert sich Dr. Jan Holger Holtschmit, der aus Völklingen stammt und in Saarbrücken lebt, vor allem auf eines: seine Aufgabe im Rahmen der Olympischen Spiele in Paris, die am 25. Juli beginnen. Der 57-jährige Chefarzt für Konservative Orthopädie im Marienhaus Klinikum St. Wendel wird diese nämlich in verantwortlicher Funktion begleiten, als Chief Medical Officer des Weltreitverbandes FEI. Schon drei Wochen nach den Olympischen Spielen fungiert er bei den Paralympics als Technischer Delegierter bei der Para-Dressur.
Als Facharzt für Orthopädie und Rheumatologie, Notfall-, Sport-, Manuelle- und Sozialmedizin ist er seit 2002 Chefarzt der Abteilung für Konservative Orthopädie, die bis April 2020 an den Marienhauskliniken St. Josef in Losheim am See ansässig war und in Folge der Corona-Pandemie in das Marienhaus Klinikum St. Wendel umgezogen ist. Schon als Schüler hatte Holtschmit mit dem Reiten angefangen. Und dies gleich mit Hindernissen, die es zu überwinden galt: „Meine Mutter war zuerst gar nicht davon begeistert, weil ihr die vermeintliche Verletzungsgefahr Angst machte“, erinnert sich Holtschmit, der allerdings in seinem drei Jahre jüngeren Bruder einen Mitstreiter an seiner Seite wusste: „Wir mussten schon relativ lange dafür kämpfen, mit dem Reiten anfangen zu dürfen. Ehrlich gesagt bin ich mir auch nicht sicher, ob ich so intensiv dabeigeblieben wäre, wenn der Einstieg leichter gewesen wäre und wir es gleich gedurft hätten.“
Der langwierige Prozess hat die ohnehin schon große Lust auf diese Sportart weiter vergrößert und der Leidenschaft, die sich insbesondere bei Jan Holger im Laufe der Jahre dafür entwickelte, den Boden bereitet – oder eher: beritten … Kontinuierlich entwickelte er sich sportlich weiter, war als jugendlicher Springreiter sehr aktiv. Seit dieser Zeit ist er dem Reitsport treu geblieben, mittlerweile aber überwiegend im Dressur-Bereich. Unter anderem war er Teilnehmer an deutschen Amateur-Meisterschaften und ist seit 33 Jahren zudem Turnierrichter – seit einigen Jahren auch mit der höchstmöglichen nationalen Qualifikation für Springreiten und Dressurreiten. Als Vorsitzender des Akademischen Reitclubs an der Universität des Saarlandes war er mehrfach Ausrichter internationaler Para-Dressurturniere im Saarland.
„Es geht hier ja nicht um das Reiten an sich“, schwärmt Holtschmit: „Es ist eine der wenigen Sportarten, bei der ein Mensch und ein Tier gemeinsam Sport betreiben. Wenn man die Pferde dann über viele Jahre begleitet, ausbildet und einfach viel Zeit mit ihnen verbringt, entsteht natürlich auch ein intensives Verhältnis zu diesen fantastischen Lebewesen.“ Auch sei es eine der wenigen Sportarten, die man sein ganzes Leben lang, auch bis ins hohe Alter betreiben könne. Von diesen Eigenschaften profitieren eben auch Menschen mit Behinderungen, denen das therapeutische Reiten in vielerlei Hinsicht hilft, mit ihren Einschränkungen umgehen zu können. „Gerade Kinder verbinden mit Pferden eigentlich immer nur positive Assoziationen.“

Vor diesem Hintergrund und seiner beruflichen Ausbildung entstand eine Verbindung von der orthopädischen Sportmedizin zum Reitsport, genauer gesagt zum therapeutischen Reiten. Seit 20 Jahren gehört er dem Vorstand des Deutschen Kuratoriums für Therapeutisches Reiten (DKThR) an – zunächst als stellvertretender Vorsitzender, seit 2011 als Vorstandsvorsitzender. Es handelt sich dabei um den größten Verband der Welt, der sich mit den unterschiedlichen Sparten des therapeutischen Reitens befasst. Über sein Engagement in diesem speziellen Bereich erlangte Holtschmit auch die Qualifikation zum Turnierrichter für internationale Reitturniere für Menschen mit Behinderungen. „Über diese Schiene ist der Weltreiter-Verband FEI auf mich aufmerksam geworden“, berichtet Holtschmit, der in der Folge vier Jahre lang dem medizinischen Komitee des FEI angehörte. „So entwickelte sich der Kontakt in den internationalen Reitsport. Sowohl was den Para-Reitsport angeht, aber auch, was die medizinische Komponente angeht“, erklärt er. Nach und nach übernahm der Saarländer immer mehr Verantwortung auf nationaler und internationaler Ebene.
Bei den Olympischen Spielen in Paris ist er für den Weltreiterverband als „Chief Medical Officer“ unter anderem für die Koordinierung der medizinischen Versorgung und die Einhaltung der medizinischen Regeln, beispielsweise beim Thema Anti-Doping der Reiterinnen und Reiter verantwortlich – für die Tiere sind Veterinäre zuständig. Insbesondere bei den Spielen von Tokio 2021, die voll und ganz im Zeichen der Corona-Pandemie standen, ein überaus vielseitiger und herausfordernder Aufgabenbereich. Bei den Paralympischen Spielen ist er als technischer Delegierter des Weltverbandes sogar noch ranghöher eingestuft. Die Spiele in Paris sind bereits die fünften Spiele, an denen der saarländische Orthopäde in nationaler oder internationaler Funktion mitmischt, trotzdem herrscht auch bei dem 57-Jährigen seit Wochen eine ansteigende „positive Spannung und Vorfreude“ auf die Spiele in unmittelbarer Nähe zur Heimat.
Während sich manche Berufstätige mit ihrem Hobby vom Arbeitsalltag ablenken wollen, sind die Grenzen zwischen Arbeit und Hobby bei Dr. Holtschmit fließend: „Das finde ich sogar sehr schön“, stellt er klar: „Wenn ich abends zum Pferd fahre und selbst reite, kann ich supergut abschalten. Trotzdem bleibt natürlich die Verbindung aus beruflicher Expertise und Freizeitgestaltung bestehen.“ Darüber hinaus setzte auch das Schicksal noch einen drauf, als es ihm ermöglichte, einen Loft in der restaurierten Historischen Reithalle auf dem Gelände der „Alten Artilleriekaserne“ in St. Arnual zu beziehen. „Das ist aber nun wirklich dem Zufall geschuldet“, merkt der gebürtige Völklinger lachend an: „Ich selbst bin noch als Jugendlicher in der Halle geritten und habe dort an Turnieren teilgenommen. Als ich erfahren habe, dass die dort entstandenen Wohnungen zum Verkauf stehen, habe ich mich erfolgreich darum beworben.“
Nicht nur wegen der verantwortlichen Tätigkeiten freut sich Holtschmit auf die Spiele in Paris, sondern auch als leidenschaftlicher Reitsport-Fan. Mit den deutschen Athletinnen und Athleten fiebert er nach eigenen Angaben „intensivst“ mit, „vor allem bei den Paralympics, wo ich ja durch meine Beschäftigung als technischer Delegierter den tiefsten Einblick habe“, sagt er. Dass er bei all den Einblicken durch die unzähligen Aufgaben auch den Durchblick behält, nötigt Respekt ab. Vor allem mit Blick auf seinen nicht gerade mit viel Freizeit gesegneten Hauptberuf. Doch: „Es ist schon herausfordernd, klappt aber organisatorisch ganz gut“, sagt er und hebt die Unterstützung seiner Frau hervor. Auch sie ist Reiterin. Ob das noch Zufall ist?!