Seit 100 Jahren leistet die Caritas in Saarbrücken wertvolle Hilfe für Menschen in Not. Die Vorstandsvorsitzende Gisela Rink und Caritasdirektor Michael Schley sprechen über Prinzipien, seelische Armut und die aktuelle Relevanz ihrer Arbeit.
Was ist die Caritas und welche Rolle spielt sie in der Gesellschaft?
Rink: Die Caritas hat eine lange Geschichte und hat dabei nicht an Bedeutung verloren, sondern im Gegenteil: Sie ist heute notwendiger denn je. Es ist wichtig, die Menschen in ihrer Not zu sehen und ihnen zu helfen. Dabei betone ich das „Sehen“ besonders, denn nur wenn man wirklich mit offenen Augen durch die Welt geht, kann man die Not erkennen. Die Caritas bietet vielfältige Hilfe an und unterstützt viele Menschen.
Mein Engagement bei der Caritas hat auch mit meiner Lebensgeschichte zu tun. Bevor ich über 20 Jahre Abgeordnete im saarländischen Landtag war, habe ich in einem sozialen Brennpunkt gearbeitet. Hier habe ich die Schattenseiten des Lebens kennengelernt und Menschen, die nicht mit ihrem Leben zurechtkamen. Diese neuen Erfahrungen haben meine Sichtweise auf die Welt verändert.
Nach meiner langen Zeit im Landtag wollte ich mich weiterhin engagieren. Die Erfahrungen sowohl im sozialen Brennpunkt als auch in der politischen Arbeit haben mich dazu motiviert, bei der Caritas mitzuarbeiten.
Schley: Unsere Aufgabe als Caritas ist „Not sehen und handeln“. Und daran orientieren wir uns. Wir haben die unterschiedlichsten Hilfsangebote, um den Menschen zu helfen. Die Caritas ist die Wohlfahrts- und Hilfsorganisation der katholischen Kirche.
Welche Werte und Prinzipien leiten die Arbeit der Caritas?
Schley: Wir orientieren uns natürlich an der Bibel. Das heißt, die christliche Nächstenliebe ist für uns Anspruch und Aufgabe. Und wir wollen dem Menschen so wie er in seiner Not ist, helfen. Not ist natürlich ganz vielfältig. Das kann bedeuten, dass jemand eine Beratung braucht, finanzielle Unterstützung benötigt, dass wir Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung unterstützen und älteren Menschen durch unsere Sozialstationen pflegen. Wir unterstützen Menschen und Familien in ihrem individuellen Hilfebedarf.
Wir übernehmen auch Wohlfahrtsfunktionen für den Staat und kooperieren mit dem Regionalverband, der Stadt Saarbrücken, Land und Bund. Wir haben auch eigene Projekte, die wir aus Kirchensteuern finanzieren.
Welche Programme gibt es zur Unterstützung der Familien?
Rink: Gerade Familien sind für mich ein Schwerpunkt, da ich auch beim Familienbund der Katholiken, dem Familienverband der katholischen Kirche, engagiert bin. Familienpolitik ist oft Bundespolitik, daher diskutieren wir Themen wie zum Beispiel die geplante Kindergrundsicherung, die aktuell in den Medien ist. Die Kindergrundsicherung soll alles bündeln, was den Kindern zusteht und in ein Paket packen. Die Caritas hat Familienbüros, in denen wir, unter anderem, Familien zeigen, welche finanziellen Hilfen sie abrufen und beantragen können. Wir helfen ihnen, diese zu erhalten. Unsere Familienbüros helfen den Familien und könnten bei größerer finanzieller Unterstützung viele dieser Aufgaben flächendeckend übernehmen.
Schley: Unsere Aufgaben umfassen die Beratung, damit Menschen ihre gesetzlichen Ansprüche bekommen, sowie Angebote wie unter anderem Babyclubs, Hausaufgabenbetreuung und Nachmittagsangebote für Kinder. Wir leisten direkte finanzielle Unterstützung.
Welche Rolle spielt die Caritas in der Gesundheits- und Altenpflege?
Schley: Wir trennen stationäre und ambulante Pflege. Die stationären Einrichtungen sind in der Verantwortung der Caritas Trägergesellschaft Saarbrücken (CTS), wir verantworten die ambulante Pflege. Wir haben eine eigene Sozialstation in Püttlingen und arbeiten bei der Trägergesellschaft kirchlicher Sozialstationen (TKD) und der Ökumenischen Gesellschaft für ambulante Pflege im Saarland (ÖGAP) mit der Diakonie zusammen.
Was bietet die Caritas in den Bereichen Bildung und Integration an?
Rink: Ein wichtiges Thema ist die Sprachförderung, besonders in meiner Heimatstadt Völklingen. Wir vermitteln Kindern die deutsche Sprache und bieten Projekte wie „Mama lernt Deutsch“ an. Wir betreuen auch Kinder in Brückenprojekten, die keinen Kindergartenplatz haben, um ihnen den Übergang in die Schule zu erleichtern.
Schley: Mit Babybegrüßungsbesuchen, Frühförderung und unterstützenden Angeboten in Sprache und Integration ermöglichen wir Kindern und Erwachsenen, ihren Platz in der Gesellschaft zu finden. Wir arbeiten auch mit Migranten jeder Altersgruppe zusammen, bieten zum Beispiel Beratung, Sprachkurse und Lernförderung an.
Rink: Als ich in Malstatt arbeitete, war es mein Ziel, Schulkinder erfolgreich durch die Grundschule zu begleiten, damit sie lesen, schreiben und rechnen lernen. Kinder und Jugendliche müssen zur Selbstverantwortung erzogen werden, wir bieten auch hierbei Unterstützung an. Das Angebot der Caritas richtet sich nicht nur an Katholiken, sondern ist religionsübergreifend für alle Menschen.
Schley: Wir merken, dass die Nachfrage nach Hilfe steigt, auch durch die Preisentwicklung. Menschen, die früher einigermaßen leben konnten, haben jetzt finanzielle Schwierigkeiten und nutzen unsere Angebote. Wir haben viele Migranten, die Unterstützung brauchen. Corona hat die Einsamkeit, besonders bei älteren Menschen, verstärkt. Projekte wie das mobile Beratungsangebot in Kooperation mit dem Regionalverband Saarbrücken „Caritas Schwätzje Mobil“ bringen Menschen zusammen und bieten Gesprächsmöglichkeiten.
Wie kann man sich bei der Caritas engagieren?
Schley: Es gibt viele Möglichkeiten, sich ehrenamtlich zu engagieren, wie zum Beispiel als Ämterlotsen, in der Schulbrotaktion oder in Kleiderkammern. Interessierte können sich direkt bei uns melden.
Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Caritas entwickeln?
Schley: Die Caritas gibt es seit 2.000 Jahren, und wir stehen in der Tradition, den Armen zu helfen. Die Aufgaben werden uns nicht ausgehen, der Bedarf wird eher größer. Materielle und seelische Armut sind wichtige Themen. Wir wollen mehr Miteinander in der Gesellschaft fördern und uns weiterhin um die Menschen kümmern.
Rink: Die Caritas Saarbrücken ist nach 100 Jahren notwendiger denn je und in vielen Bereichen aktiv. Als ich 2018 als Vorstandsvorsitzende angetreten bin, habe ich gesagt, dass ich Zeit brauche, um mir einen Überblick zu verschaffen. Ich besuche immer noch regelmäßig Projekte, um im Dialog mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie unseren Klienten zu bleiben.
Es wäre schön, wenn wir die Caritas nicht bräuchten, aber aktuell erleben wir immer mehr Menschen, die unsere Hilfe brauchen. Wir müssen die Not sehen und handeln. Jeder Mensch hat eine persönliche Würde und es ist unser Auftrag, uns um den Nächsten zu kümmern, unabhängig von Herkunft und Religion.