Nach der verlorenen Wahl gibt sich der Rassemblement National weiter kämpferisch. Präsident Emmanuel Macron hat einen rechtsextremen Durchmarsch verhindert, dafür jedoch eine Regierungsbildung erschwert.
Es war ein Vabanque-Spiel: Emmanuel Macrons Schachzug, Wahlen vorzuziehen, um die Rechtsextremen auszubremsen, hat funktioniert. Die Brandmauer Frankreichs, die dort „arc républicain“ heißt, wirkte, weil liberale und linke Parteien Kandidaten im zweiten Wahlgang zurückzogen, um den jeweils anderen den Vortritt zu lassen, wenn sie besser positioniert waren. Am Ende steht eine starke Linke, allen voran Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, ein geschwächter Staatspräsident und Rechtsextremisten, die erst zur Präsidentschaftswahl 2027 einen neuen Anlauf zur Macht nehmen können. Frankreich muss nun lernen, Koalitionsregierungen zu bilden, um den Abstand des RN zum höchsten Staatsamt und zur Regierung weiterhin hochzuhalten – ein Vorgang, der in der politischen Tradition des Landes unbekannt ist. Es braucht etwa 250 Abgeordnete für eine stabile Mehrheit in der Nationalversammlung, 289 für eine absolute Mehrheit. Keine der Parteien hat jedoch 200 erreicht. Die Gespräche über eine neue Regierung werden also schwierig, denn die Positionen des linken Bündnisses „Nouveau Front Populaire“ und des liberalen Zentrums liegen denkbar weit auseinander. Die aus Kostengründen dringend notwendige Rente mit 64, die Macrons Regierung nur gegen massive Proteste durchgesetzt hat, will die Linke wieder auf 60 zurückdrehen, sie will den Mindestlohn anheben, um die Kaufkraft zu stärken, höhere Steuern für Reiche einführen.
Massiven Protesten zum Trotz
Dabei ist „die Linke“ jedoch keine geschlossene Partei, sondern ebenfalls ein Bündnis aus Kommunisten, Sozialisten, Grünen und Populisten. Erstaunlich schnell und geschlossen präsentierten sie in Windeseile ihr Bündnis dem Wähler, ganz anders als noch vor wenigen Jahren, als dieses noch am Wahlabend zerbrach. Nun ist Pragmatismus gefragt, etwas, wofür Jean-Luc Mélenchon nicht bekannt ist. Er hat bereits ausgeschlossen, mit den Liberalen eine Koalition bilden zu wollen, die wiederum ihrerseits eine Koalition mit dem Linksbündnis ausschlossen, sollte er daran beteiligt sein. Eine Rolle spielen auch hier antisemitische Äußerungen im Zuge des Gaza-Krieges, die Linke hat sich diesbezüglich positioniert und fordert eine Anerkennung des Staates Palästina sowie die Freilassung der jüdischen Geiseln. Doch nicht nur in der Sozial- und Außenpolitik gibt es genügend Friktionspunkte zwischen Links und der Mitte, auch die Finanzpolitik bietet reichlich Raum für Verwerfungen. In den kommenden Haushaltsdebatten wird sich zeigen, wieviel des „arc républicain“ die Parteien in den politischen Alltag der Nationalversammlung herüberretten können. Gelingt dies nicht, bringt sich der Rassemblement als einzige Alternative in Stellung.
Was bleibt, ist eine Art Moratorium für die Fünfte Republik: Wohin wendet sie sich? Als Schwergewicht europäischer Politik ist die Handlungsfähigkeit Frankreichs von höchstem Interesse. Ein linker Premier, der die schmerzhaften, aber dringend notwendigen Reformen des französischen Sozialstaates aus den vergangenen Jahren wieder zurückdrehen will, hängt nur weiter an nostalgischer Bequemlichkeit. Und diese ist nicht nur Teil der rechtsextremen DNA, sondern auch der der Linkpopulisten.