Wenn Ärzte zu Patienten werden
Haben Sie vor alt zu werden, und sind Sie an altersgerechter medizinischer Versorgung interessiert? Falls diese Frage Ihr Interesse weckt, habe ich zunächst die kleine Geschichte eines älteren Arztes (nennen wir ihn abgekürzt A.), die nicht hochdramatisch, aber exemplarisch ein drohendes Dilemma illustriert. Zwei Vorbemerkungen. Erstens: Naturgegeben braucht man im Alter sehr viel mehr medizinische Hilfe von „außen“ und gleichzeitig wird man selbst von „innen“ oft zunehmend hilfloser und einsamer. Zweitens: Noch nie in der Menschheitsgeschichte waren die Chancen, sehr alt zu werden, so hoch – aber leider auch die damit einhergehenden Risiken.
Besagter A. kam im Rentenalter erstmals in seinem Leben als Patient etwas zaghaft und leicht angespannt ins Krankenhaus. Nach etwas umständlich „organisierten“ ambulanten Routinechecks sollte er am nächsten Morgen um halb sieben auf Station sein. Erstmal auf dem Gang eine halbe Stunde gewartet. Dann, weil kein Bett frei, in einem morgendlich kühlen Dreibettzimmer wenigstens noch ein freier Stuhl. Dort konnte A. Koffer abstellen, sich ausziehen, Kleider aufhängen, ins luftige OP-Hemdchen schlüpfen, um dann weitere 45 Minuten etwas verfroren auszuharren, bis er in den „OP“ geschoben wurde.
Ärztlich und pflegerisch lief dann alles sehr gut. Nach zwei Tagen war Entlassung angesagt. Nach dem zwar nicht gefährlichen, aber postoperativ immer sehr unkomfortablen und eindrucksvoll schmerzhaften Eingriff hatte A. morgens erhöhte Temperatur, das sei aber kein Problem. Zudem stand der nächste Patient mit Koffer schon wartend vor dem Bett.
Schon das Abholen durch die gute Ehefrau und die Fahrt nach Hause waren mit unschönen Begleiterscheinungen garniert. Am Abend konnte A. in diesen relativ kalten Frühlingstagen das Schlafzimmer CO2-neutral mitheizen – er glühte, Fieber über 41 Grad, für ihn mit großem Abstand Lebensrekord. A. konnte sich als Arzt Notfallmedikation verordnen und sie über seine Frau schnell in der Notapotheke besorgen und die Situation so in den Folgetagen beherrschen.
In den geplagten Nächten und Tagen ging mir ein zweiter Rollenwechsel durch den Kopf: der vom „Arzt-Patienten“ zum „Laien-Patienten“. Also was macht der nicht oder nur eingeschränkt von Angehörigen betreute „normale“ Patient“? Bereitschaftspraxen weit weg, überlastet, immer weniger Standorte und Personal, immer längere Wartezeiten, Haus- und Fachärztemangel …!
Da wir uns zum Glück von einem sehr hohen Versorgungsniveau abwärts bewegen, wird das vorerst noch verkraftbar sein. Aber der sich verschärfende Personal-Engpass bei einer auf mehr Versorgung angewiesenen „alternden“ Gesellschaft – das schreit nach intelligentem Handeln. Es geht weniger um die medizinische Qualität als um die quantitative Verfügbarkeit in der Breite durch mehr Effizienz.
Anstatt die Protagonisten bei ihrem harten Job zu entlasten und bei Laune zu halten, werden sie von einer gewaltigen Heerschar aus Politbürokratie, Versicherungen, Verwaltungen, Behörden, gewinnorientierten Geschäftsführungen und ähnlichem zusätzlich belastet.
Mir graut’s, wenn medizinische Institutionen von fachlich geleiteten sozialen Einrichtungen zu wirtschaftlich getrimmten Firmen degenerieren. Wenn dann noch von Fachexpertise unbeleckte Polit-Akteure – sei es in Krankenhäusern oder auch in Heizungskellern – „herumdoktern“, kann es sehr frostig werden. Im Fieber träumte A. von weniger politischem „Doppelwumms-Geschwurbel“ und mehr strukturellem Umbau auf der Basis zielgerichteter, von fachlicher Evidenz geleiteter Strategie. Und von weniger Bürokratie und mehr Anpacken!
Jeder medizinisch ausgebildete „Handwerker“ vom Fach hätte da sofort viele gute Ideen. Aber solange die Staatskrankheit „Bürokratie“ von den eckigen Bürokraten selbst „therapiert“ wird, bleibt es unrund. Und die politischen Führungskräfte sind oft weit weg von der Lebensrealität und können sich bei Bedarf mit einem Telefonanruf aus ihrem Vorzimmer die eigene heile Welt auf Knopfdruck herbeizaubern.