Das gescheiterte Attentat wird dem Republikaner im US-Wahlkampf nutzen
Es ist ein Foto, das in die Geschichtsbücher eingehen wird. Donald Trump reckt die rechte Faust hoch, sein Gesicht ist blutverschmiert. Der Präsidentschaftskandidat der US-Republikaner ist von Geheimdienstleuten umringt, die ihn von der offenen Wahlkampfbühne in den gepanzerten Wagen ziehen wollen. Über den Köpfen flattert die amerikanische Flagge im blauen Himmel. Es sind nicht einmal 90 Sekunden seit dem versuchten Attentat auf Trump vergangen. Doch der 78-Jährige ist nicht im Flucht-, sondern im Angriffsmodus. „Kämpft, kämpft, kämpft“, ruft er seinen Anhängern zu. „USA, USA“, skandiert die Menge im Chor. nutzen.
Evan Vucci von der Nachrichtenagentur Associated Press (AP) hat die Szene in der Kleinstadt Butler im Bundesstaat Pennsylvania mit der Kamera festgehalten. Eines lässt sich bereits heute sagen: Das Attentat und seine ikonografische Deutung werden Trump im Wahlkampf nutzen.
Vuccis Bilder stecken voller symbolischer Bezüge. Zunächst verbreiten sie das Narrativ: Ein Mann, den die Kugel aus einem halbautomatischen Gewehr fast getötet hätte, wechselt im Moment der Gefahr blitzschnell in die Wahlkampf-Logik. Die Aufnahmen spiegeln Todesverachtung, Kraft und Patriotismus wider. Für den Anwärter auf das Weiße Haus sind dies wertvolle Trümpfe des politischen Marketings. Nur wenige Minuten nach dem Attentatsversuch wurden online bereits die ersten T-Shirts mit der hochgereckten Faust angeboten.
Trump spielte bewusst auch die religiöse Karte. „Durch Glück oder Gott – viele Menschen sagen, es ist durch Gott, dass ich noch hier bin“, betonte er in einem Interview mit der „New York Post“. Derlei Worte elektrisieren evangelikale Christen, eine wichtige Wählergruppe. Sie machen rund 25 Prozent der amerikanischen Bevölkerung aus.
Darüber hinaus verstärkt das gescheiterte Attentat den von Trump sorgsam gepflegten Opfer-Mythos. Seit Jahren sieht er sich verfolgt von der Linken, den Medien oder dem „deep state“. Für Verschwörungstheoretiker wie etwa die rechtsextreme Bewegung QAnon ist das eine Chiffre für eine kriminelle Elite, die das Land beherrscht – die Regierung von Präsident Joe Biden gehört ebenso dazu wie dessen Partei der Demokraten, die Gerichte, die Bundespolizei FBI oder der Auslandsgeheimdienst CIA. Wie der Attentäter von Pennsylvania will auch der „deep state“ einen Präsidenten Trump verhindern, lautet die Propaganda-Botschaft. Trumps Nahtod-Erfahrung verschafft ihn bei seiner Klientel einen Märtyrer-Status.
Das befördert die Legendenbildung. Seit Jahren ist Trump für seine Anhänger die Lichtgestalt, die gegen das verhasste Polit-Establishment kämpft. Regeln des Anstandes und der politischen Korrektheit tritt er mit Füßen. Seine Basis findet das gut. Wie bei vielen Volkshelden, die Gefangennahme, Strafe oder Tötung umgehen oder überleben, strahlt Trumps Nimbus bei seinen Verehrern immer heller.
Trump ist kein Typ, der auf viele Wähler auf Anhieb sympathisch wirkt. Er emotionalisiert, polarisiert und spaltet. Dennoch überrascht es nicht, wenn ein fast tödlich endender Anschlag bei Menschen Gefühle der Empathie hervorruft, selbst wenn sie nicht mit den politischen Positionen des Republikaners übereinstimmen. Einige US-Bürger dürften ihre starken Vorbehalte gegen eine zweite Amtszeit Trumps zumindest eine Zeit lang beiseiteschieben.
Nach den Schüssen von Pennsylvania gab sich Trump überraschend gemäßigt. „Ich will versuchen, das Land zu einen“, kündigte er an. Er habe deshalb seine Rede für den Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee umgeschrieben und ihr einen sanften Sound verpasst. Es hörte sich an wie ein Echo auf Präsident Biden, der nach dem Attentatsversuch zur Versöhnung aufgerufen hatte.
Es wäre zu wünschen, dass Trumps Worten Taten folgen. Wahrscheinlicher ist aber, dass dahinter taktische Überlegungen stecken, um moderate Wähler zu umwerben. Trumps Wahl seines Vizepräsidenten-Kandidaten spricht nämlich eine andere Sprache: J. D. Vance, der 39-jährige Senator aus Ohio, ist eine verbale Feuerkeule. Vance wiederholt nicht nur die Lügengeschichte von Bidens „gestohlenem Wahlsieg“ 2020. Er übte auch scharfe Kritik an Bidens Wortwahl gegen seinen Herausforderer: „Diese Rhetorik hat direkt zu dem versuchten Mordanschlag auf Präsident Trump geführt.“