Der irische Schauspieler Colin Farrell war in den letzten 25 Jahren schon oft in den Schlagzeilen. Und das nicht nur, weil er als begnadeter Schauspieler vielen Filmen seinen Stempel aufdrückte, sondern auch wegen seines wilden Privatlebens – das sich mittlerweile aber beruhigt hat.
Yucatán, Mexiko. Der weiße Sandstrand in Cancún strahlt im Sonnenlicht. Das karibische Meer ist türkisblau. Aus den Wellen taucht Colin Farrell auf und schüttelt sich das Wasser aus den Haaren. Er ist braungebrannt und schlank. Auf seiner rechten Schulter prangt ein Stammes-Tattoo, das er sich in Tahiti stechen ließ. Auf der Innenseite seines linken Unterarms steht „Carpe diem“. „Nutze den Tag – das ist immer noch mein Lebensmotto“, wird er später im Gespräch in einem Luxushotel sagen. Colin Farrell ist ein sehr lebhafter Gesprächspartner, unterstreicht seine Sätze gern mit Gesten und spielt oft gedankenverloren mit einem seiner beiden Ohrringe. Er wirkt ausgeglichener und viel entspannter als früher.
Betrunken bei „Minority Report“
Früher, als er noch ständig unter Strom stand, konnte er einem Journalisten, der ihm nicht passte, schon mal Prügel androhen. Oder bei Dreharbeiten ausrasten und betrunken ans Set kommen. Einmal sei Farrell derart verkatert gewesen, dass er 56 Versuche benötigte, um einen einzigen Satz richtig zu sagen, wie der „Daily Mirror“ kolportierte. Das war bei den Dreharbeiten zu „Minority Report“, wo er mit Tom Cruise vor der Kamera stand. 2005 machte Colin Farrell erstmals einen Entzug, nachdem er öffentlich zugegeben hatte, dass er seit seinem 14. Lebensjahr „grundsätzlich betrunken oder high“ war. Ein Wunder, dass er es mit 20 Jahren trotzdem schaffte, im Filmbusiness Fuß zu fassen. Allerdings krebste er damals eher in TV-Serien und B-Pictures herum. Bis ihn der Regisseur Joel Schumacher („Falling Down“, „Batman forever“) in seinem Kriegsfilm „Tigerland“ (2000) als aufsässigen Soldaten besetzte. „Ich verdanke Joel sehr viel“, erinnert sich Colin Farrell. „Er hat trotz meiner vielen Unzulänglichkeiten etwas gesehen, das er aus mir herausholen wollte, das es wert war, es nicht verkommen zu lassen.“ Die beiden haben danach noch zwei Filme gemacht. Durch die Rolle in „Tigerland“ galt Colin Farrell in Hollywood als einer der talentiertesten Nachwuchsschauspieler. Vor allem berühmte Regisseure hatten ein Auge auf ihn geworfen. So holten ihn Steven Spielberg für „Minority Report“ (2002), Oliver Stone für sein gigantisches Historienepos „Alexander“ (2004), in dem Farrell mit blond gefärbten Haaren die Titelrolle spielte, Terrence Malick für seine Pocahontas-Sage „The New World“ (2005), Michael Mann für seinen Spielfilm „Miami Vice“ (2006) und Woody Allen für „Cassandras Traum“.
Doch zurück nach Cancún. Da gab ein neu erstarkter Colin Farrell 2012 Interviews zu dem Science-Fiction-Remake von „Total Recall“ und machte in der Nachfolge von Arnold Schwarzenegger eine ziemlich gute Figur. Da hatte er den Burn-out bereits überwunden, der ihn zeitweise heftig aus der Bahn geworfen hatte. Langsam hatte er sein Selbstvertrauen mit kleineren Filmen wieder aufgebaut. „Wie gesagt, Drogen und Alkohol funktionierten einfach als willkommene Stimulanzien. Und als ich dann als Schauspieler plötzlich diesen Erfolg hatte, halfen sie mir auch eine Zeit lang, den Hollywood-Wahnsinn auszuhalten. Ständig im Scheinwerferlicht zu stehen, ständig von Leuten umgeben zu sein, die mir Tag und Nacht versicherten, der Größte zu sein – das hat mich auf Dauer ziemlich krank gemacht. Mein Psychiater hat mir damals eine tiefe Depression attestiert und mich davor gewarnt, mich weiterhin mit Drogen zu vergiften, wenn ich nicht emotional total verkümmern wollte. Irgendwann hatte ich dann den Mut, das Steuer herumzureißen. Ich bin jetzt schon sehr lange clean. Und kann das Leben – und auch meine Arbeit – viel intensiver genießen als je zuvor.“ Freunde und Fans waren allerdings ziemlich beunruhigt, als er sich 2018 wieder in eine Einzugsklinik hatte einweisen lassen. Aber er gab Entwarnung: „Das war nur ein Check-up. Ich habe das nur zur Sicherheit gemacht. Ich will nämlich auch weiterhin ohne Drogen und Alkohol leben.“
Colin James Farrell wurde 1976 als jüngstes von vier Kindern in Castleknock, Irland, geboren. Sein Bruder Eamon leitete dort eine Schauspielschule, die auch Colin besuchte. Aber als Teenager hatte er eigentlich ganz andere Pläne. „Mein größter Traum war, Profi-Fußballer zu werden – wie mein Vater, der bei den Shamrock Rovers in Dublin gespielt hat. Die waren 1994 sogar irischer Meister. Ich war als Fußballspieler ziemlich talentiert und habe sogar eine Zeit lang als Profi gespielt. Aber dann habe ich doch lieber Mädchen den Kopf verdreht, statt mich auf dem Fußballplatz abzuquälen. Dann kam der erste Whisky-Rausch, der erste Joint – und es dauerte nicht lange, bis ich beim Training nicht mehr mithalten konnte. Mit dem Fußballspielen aufzuhören war also keine bewusste Entscheidung, sondern lag eher an meiner mangelnden Kondition.“
Stattdessen ging er mit halbem Herzen auf die Gaiety School of Acting in Dublin und gab 1996 als Statist in dem Low-Budget-Film „Auf der Suche nach Finbar“ sein Leinwand-Debüt. Langsam fand er dann aber doch Gefallen an der Schauspielerei und trat in verschiedenen Theaterstücken auf. In einer der Vorführungen saß damals der Hollywoodstar Kevin Spacey im Publikum und war von Colin Farrell dermaßen beeindruckt, dass er ihn für seinen Film „Ein ganz gewöhnlicher Dieb“ (2000) holte. „Ich hatte oft Glück, dass ich Menschen getroffen habe, die mich als Schauspieler gefördert haben. Kevin Spacey war so jemand, und später auch noch mein großes Idol Al Pacino, mit dem ich im Film ‚Der Einsatz‘ gemeinsam vor der Kamera stand. Al war eine Zeit lang sogar ein Mentor für mich.“
Söhne sind seine Inspiration
Damals war Colin Farrell 27 Jahre jung und wurde in den Medien nicht nur als „aufregend neues Schauspieltalent“ gefeiert, sondern hatte auch schon längst den Ruf als „Enfant terrible“ und „Irischer Herzensbrecher“ weg. Im Jahr 2003 war er bereits einmal geschieden, hatte diverse Liebesaffären hinter sich und mit dem amerikanischen Model Kim Bordenave seinen ersten Sohn, James. Im selben Jahr geriet er aber vor allem durch ein privates Sex-Video in die Schlagzeilen, das er mit seiner Ex-Freundin Nicole Narain gemacht hatte. Vergeblich hatte Farrell versucht, die Verbreitung juristisch zu verhindern. In einem Interview, das er Jahre später gab, meinte er dazu: „Ich habe das Image des Frauenaufreißers wirklich gehasst. Denn das war und bin ich nun mal überhaupt nicht! Ich kann Ihnen versichern, dass das von den Medien oft sehr aufgebauscht wurde. Diese ganzen Sex-Affären ... Wirklich schlimm wurde es immer dann, wenn ich mich in die Falsche verliebte oder sie gar heiratete. Liebe ist oft kompliziert – Sex ist viel einfacher.“
Im Jahr 2009 kam sein zweiter Sohn Henry zur Welt. Er stammt aus einer (inzwischen längst beendeten) Beziehung mit der polnischen Schauspielerin Alicja Bachleda-Curus. Obwohl Farrell damals immer noch sehr viele Monate im Jahr für Dreharbeiten in aller Welt unterwegs war, wurde es für ihn immer wichtiger, Zeit mit seinen Söhnen zu verbringen. „James (er leidet am Angelman-Syndrom, einer seltenen genetischen Erkrankung, die zu kognitiven und körperlichen Einschränkungen sowie Entwicklungsverzögerungen führt; Anm. d. Red.) und Henry sind eine große, nie versiegende Inspirationsquelle in meinem Leben“, meint Colin Farrell heute und seine schwarzbraunen Augen beginnen zu glänzen. „Es geht ihnen beiden prächtig. Für mich war es ein großes Privileg, endlich die volle Verantwortung für meine beiden Söhne übernehmen zu können. Das ist nicht immer einfach. Aber wenn die Prioritäten stimmen, ist das für alle Beteiligten von großem Vorteil. Und im Laufe der Jahre hat sich auch mein Frauenbild verändert. Natürlich spielt das Aussehen immer noch eine gewisse Rolle, aber ich finde es zum Beispiel total sexy, wenn eine Frau zärtlich ist und bereit, sich in ihr Gegenüber einzufühlen. Da entsteht dann oft eine tiefe Vertrautheit, die ich sehr zu schätzen gelernt habe.“
Und dann outet sich Colin Farrell auch noch als echter Romantiker: „Jedes Mal, wenn ich mir den Sternenhimmel anschaue, fühle ich etwas Magisches. Oder wenn ich mich in der freien Natur bewege. Ich habe das Glück, in den Hügeln von Los Angeles zu wohnen. Von meinem Haus aus, in der Nähe des Griffith Parks, bin ich mit dem Rad sehr schnell in einer wunderbar wilden Gegend, wo ich stundenlang allein sein kann. Da gibt es nur Kolibris, Falken und Wühlmäuse. Und ab und zu begegne ich mal einem Kojoten.“
Man sieht es Colin Farrell an, wie froh er ist, nicht mehr das Bad-Boy-Image bedienen zu müssen. Im Lauf der Zeit ist er ruhiger geworden und hat es sogar mit Yoga versucht. Und diese neue Art von Innerlichkeit hat ihn ganz sicher auch zu einem besseren Schauspieler gemacht. Seit ein paar Jahren wählt er seine Rollen mit mehr Bedacht aus, spielt auch schon mal eine Nebenrolle, wie in dem Walt Disney-Porträt „Saving Mr. Banks“ (2013). Oder einen an Leib und Seele verletzten Soldaten in Sofia Coppolas Bürgerkriegsdrama „Die Verführten“ (2017). Und die beiden Filme, die er mit dem griechischen Regie-Exzentriker Yorgos Lanthimos gemacht hat, „The Lobster“ (2015) und „The Killing of a Sacred Deer“ (2017), zählt er selbst zu seinen besten. Wie auch „The Banshees of Inisherin“ (2022) unter der Regie seines Landsmanns Martin McDonagh, wo er wieder mit seinem Freund, dem Schauspieler Brendan Gleeson, gemeinsam vor der Kamera stand (wie schon im fantastischen Krimi „Brügge sehen … und sterben?“ aus dem Jahr 2008). Für die Rolle des einfältigen, aber auch sehr sensiblen Mannes, mit dem sein langjähriger Freund (Gleeson) nichts mehr zu tun haben will, wurde Farrell letztes Jahr für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert.
Ein echter Glücksfall ist auch, dass Colin Farrell – nach der zweiten Staffel der TV-Krimi-Serie „True Detective“ (2015) – jetzt wieder in einer Serie zu sehen ist: in der Neo-Noir-Miniserie „John Sugar“ (auf Apple TV+), in der er einen mysteriösen Detektiv spielt, der in Los Angeles einen komplizierten Fall lösen muss (siehe Filmtipp Seite 88). Diese Serie hat er vor allem auch deshalb angenommen, weil sie in Los Angeles gedreht wurde und er deshalb nicht wieder von seinen Söhnen getrennt war. „Wissen Sie“, sagt er während eines TV-Interviews mit Vox mit einem sanften Lächeln, „es ist ja nicht so, dass ich meine wilde Zeit nicht genossen hätte. Aber ich bin froh, dass dieses selbstzerstörerische Leben längst hinter mir liegt. Heute sind meine Kinder mein Lebensmittelpunkt. Und das Wichtigste für mich ist, dass sie gesund und glücklich sind. Und dass ich ihnen dabei helfen kann, sich gut in die Gesellschaft zu integrieren, damit sie ihre Träume auch leben können.“