Das Berliner Ensemble startet mit „Tod eines Handlungsreisenden“ und „Kleiner Mann – was nun?“ im September in die neue Spielzeit. Der Kartenverkauf hat begonnen.
Willy Loman und Johannes Pinneberg sind sich nie begegnet. Sie sind Gefangene der Weltliteratur. Jeder in seiner Geschichte. Der eine will nicht aus dem amerikanischen Traum aufwachen. Der andere schlittert in einen deutschen Albtraum hinein. Am Schiffbauerdamm kommen sich Willy Loman und Johannes Pinneberg dennoch bald sehr nahe. Das Berliner Ensemble (BE) schickt die beiden in der kommenden Spielzeit auf die Bühne. Der Handlungsreisende und der Buchhalter bleiben auch dabei allerdings Gefangene ihrer Geschichten. Alles andere wäre auch albern.
Die erste dieser Geschichten hat am 12. September Premiere: „Tod eines Handlungsreisenden“, das Drama von Arthur Miller aus dem Jahr 1949. Das Deutsche Theater hatte das Stück seit März 2017 auf dem Spielplan und war damit auch zu Gastspielen unterwegs. Bastian Kraft, der Regie führte, setzte dabei vor allem Ulrich Matthes in Szene. Nun gibt das BE den starken Stoff Max Lindemann in die Hände. Er ist im Ruhrgebiet aufgewachsen und studierte Schauspielregie. Nach seinem Debüt mit „Aufzeichnungen aus dem Kellerloch“ inszenierte er am Berliner Ensemble zuletzt die Uraufführung von Sibylle Bergs „Es kann doch nur noch besser werden“ und die szenische Lesung von Michel Friedmans „Fremd“ mit Sibel Kekilli.
Das BE fasst die Handlung so zusammen: „Willy Loman ist ein Selfmademan. Vor mittlerweile ein paar Jahrzehnten war er einer der Fleißigsten seiner Branche. Er war erfolgreich. Leider läuft das Geschäft heute nicht mehr so gut und während sich die Rechnungen stapeln, ändern sich die Zeiten – nur Willy nicht. Er kann nicht verstehen, warum harte Arbeit und der Glaube an sich selbst nicht mehr reichen sollen. Was ihm bleibt, sind seine Träume, der Stolz und die Nostalgie.“
Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ zeigt den Abstieg eines Mannes, so erklärt die Dramaturgie, „der bedingungslos an den ,American Dream‘ glaubt und dabei dessen Brutalität übersieht: all die Lügen, die wir uns erzählen, um unsere Sehnsucht nach Macht, nach Sicherheit und nach Anerkennung zu rechtfertigen; all die Menschen, die wir opfern für unsere Erwartungen; aber auch die Momente, in denen Gemeinschaft trotz allem doch möglich gewesen wäre“.
Willy Loman redet mit Menschen aus der Vergangenheit, die ihm so viel besser erscheint als die Gegenwart, in der er es nicht schafft, seine Rechnungen zu bezahlen und seiner Familie das Leben zu bieten, das er für angemessen hält. Gespräche mit seinem Sohn Biff fallen ihm wesentlich schwerer als die mit den nicht mehr existierenden Menschen aus den vermeintlich guten alten Zeiten. Biff selbst wiederum redet mit seinem toten Bruder, der ihm näher scheint als sein lebender Vater. Er verzeiht seinem Vater nicht, dass der seine Mutter während seiner Geschäftsreisen betrogen hat – was ihn, den Jungen, der das mitbekommen hat, aus der Bahn geworfen hat. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn eskaliert.
Die Premieren sind am 12. und 14. September
Der „Tod eines Handlungsreisenden“– sein Tod – ist in der Gedankenwelt von Willy Loman der einzige erkennbare Weg, seiner Familie noch einmal einen Dienst zu erweisen. Wenn er, der offenbar nutzlos gewordene Mann, einen Autounfall vortäuscht, dann bleibt seiner Frau und seinem Sohn wenigstens das Geld aus der Lebensversicherung. Zurück bleibt eine Frau, die nicht versteht, warum sich ihr Mann das Leben genommen hat.
Zwei Tage nach dieser ersten Premiere der BE-Spielzeit 2024/2025 betritt dann Johannes Pinneberg die Bühne des Theaters am Schiffbauerdamm. Ab dem 14. September inszeniert Frank Castorf Hans Falladas Roman „Kleiner Mann – was nun?“ aus dem Jahr 1932.
Während Willy Loman sich an den amerikanischen Traum klammert, hält das junge Berliner Paar Johannes Pinneberg und Emma „Lämmchen“ Mörschel an seiner Liebe und am Glauben an eine bürgerliche Moral fest – trotz Armut und Arbeitslosigkeit. Hans Fallada fasste den Inhalt selbst in einem Brief an seinen Verleger Ernst Rowohlt so zusammen: „Ehe und Wehe von Johannes Pinneberg, Angestellter, verliert seine Stellung, bekommt eine Stellung, wird endgültig arbeitslos. Einer von sechs Millionen, ein Garnichts, und was der Garnichts fühlt, denkt und erlebt.“ Der Roman wurde zum Bestseller und blieb relevant – er wurde in 45 Auflagen und 20 Auslandsausgaben gedruckt.
Der Kampf des jungen Paares, das ein Kind in die Welt der Wirtschaftskrise setzt, „um einen letzten Rest Würde endet am Rand des Molochs Berlin“, schreibt die BE-Dramaturgie und erklärt: „Die Frage ‚Was nun?‘ wurde historisch von der Machtergreifung der Nationalsozialisten beantwortet. Die Frage, wie wirkungsvoll individueller Zusammenhalt in einer Massengesellschaft sein kann, beantwortete Fallada mit einem utopischen Moment.“ Während Willy Loman den Gang der Dinge mit sich selbst ausmacht und eine verständnislose Frau zurücklässt, bleibt es für Falladas Paar am Ende dabei: „Es ist das alte Glück, es ist die alte Liebe.“ Er beendet seine Geschichte mit: „Und dann gehen sie beide ins Haus, in dem der Murkel schläft.“
Was und wie viel aus dem Roman es letztendlich auf die BE-Bühne schafft, ist noch offen. „Frank Castorf adaptiert die Ursprungsfassung des Romans und setzt sie in Bezug zu autofiktionalen Texten von Fallada, die er größtenteils im Gefängnis und in der Psychiatrie verfasste, wie etwa ,Die Kuh, der Schuh, dann du‘“, teilt das Theater mit.