In dieser Neo-Noir-Serie sucht Colin Farrell als Privatdetektiv in Los Angeles nach der verschwundenen Enkelin eines Hollywood-Filmmoguls. Dabei gerät er immer tiefer in einen Sumpf aus Lügen und Gewalt. Gespickt mit Filmzitaten und Genre-Versatzstücken ist „John Sugar“ eine Hommage an die Krimi-Klassiker der 1940er-Jahre.
John Sugar (Colin Farrell) ist irgendwie anders, mysteriös. Schon zu Beginn der Serie kann man ihn nicht richtig fassen. Klar, er ist als Privatdetektiv auf den Spuren von Philip Marlowe und Sam Spade, die durch Humphrey Bogart in den Verfilmungen von Raymond-Chandler- und Dashiell-Hammett-Romanen unsterblich gemacht wurden. Aber wenn John Sugar mit seinem himmelblauen Corvette-Stingray-Cabrio durch das sonnenüberflutete Los Angeles fährt, erinnert er eher an einen Filmstar oder Playboy. Er trägt Maßanzüge, hat die Filmfachzeitschrift „Cahiers du Cinema“ abonniert, spricht vier Sprachen, kann mit Essstäbchen Fliegen fangen und trinkt 100-Dollar-Whisky-Shots, ohne mit der Wimper zu zucken oder jemals betrunken zu werden.
John Sugar wird vom Hollywood-Filmmogul Jonathan Siegel (James Cromwell) beauftragt, seine unter rätselhaften Umständen verschwundene Enkelin Olivia (Sydney Chandler) zu finden. Johns Kollegin Ruby (Kirby Howell-Baptiste) rät ihm allerdings eindringlich davon ab, den Fall zu über-nehmen. Aber er schlägt ihre Warnung in den Wind. Bei seinen Ermittlungen gerät er immer tiefer ins Dickicht anstößiger Geheimnisse des Siegel-Clans. Zu diesem gehört, neben Siegels Sohn Bernie (Dennis Boutsikaris), der sich als Produzent von B-Movies einen Namen gemacht hat, auch dessen Sohn David (Nate Corddry), den seine Mutter (Anna Gunn) vor den Abgründen der Filmindustrie zu schützen versucht. Richtig vertrackt wird es dann aber, als John Sugar auch noch Bernies Ex kennenlernt, die Rocklegende und Alkoholikerin Melanie Mickie (Amy Ryan). Sie gibt zwar vor, ihm bei der Suche nach Olivia zu helfen, spielt aber alles andere als mit offenen Karten.
Ein dramatischer Clou belohnt den Zuschauer
Etwas befremdlich ist die geradezu buddhistische Gelassenheit, die John Sugar bei seinen Nachforschungen an den Tag legt. Dabei sinniert er oft aus dem Off darüber, wieviel sinnlose Gewalt es doch in der Welt gibt. Und dass er Gewalt verabscheut und deshalb keine Waffen mag. Außerdem sehen wir, wie sich John Sugar ab und an eine geheimnisvolle Flüssigkeit spritzt – vielleicht um sein Händezittern unter Kontrolle zu kriegen und Panikattacken zu vermeiden? Wer weiß das schon so genau. Im Laufe der Serie werden auch immer wieder Original-Filmzitate aus Schwarz-Weiß-Klassikern eingespielt, darunter „Tote schlafen fest“ mit Humphrey Bogart, „Frau ohne Gewissen“ mit Barbara Stanwyck und „Die Nacht des Jägers“ mit Robert Mitchum. Sehr seltsam das alles.
„Was mir an der Serie besonders gefällt“, meint Colin Farrell, „ist, dass John Sugar zwar die Sensibilität der Noir-Krimi-Serien bedient, aber dabei nicht hard-boiled ist wie die meisten Privatdetektive oder gar zynisch. Mein John Sugar ist mysteriös, ein bisschen erschöpft und überhaupt nicht abgebrüht.“
Warum das so ist, wird in der sechsten Episode offenbart. Ohne zu viel zu verraten, explodiert da die Serie geradezu in einer brutalen Gewaltsequenz, die der Geschichte eine überraschende und ziemlich schockierende Wendung gibt. Dieser dramatische Clou hebt „John Sugar“ (auf Apple TV+) endgültig auf eine Metaebene, wo plötzlich alle Puzzlestücke zusammenpassen. Regie bei diesem kleinen Meisterwerk führt der brasilianische Regisseur Fernando Meirelles („City of God“), dem es gelungen ist, die Geschichte bis zum fantastischen Ende in der Schwebe zu halten. Und der Los Angeles, durch seine frische und unverbrauchte Sicht, zu einem weiteren Hauptdarsteller macht. Ganz besonders hervorzuheben ist auch das sensible Spiel zwischen Colin Farrell und Amy Ryan. Oder, um mit Colin Farrell zu sprechen: „Sie ist die Beste. Ich bewundere Amy. Sie ist so ehrlich und unverstellt. Wenn man ihr in einer Szene gegenübersitzt, bringt sie einen ganz und gar ins Hier und Jetzt. Ich liebe es, mit ihr zu arbeiten.“ „John Sugar“ ist eine der Serien, bei der die Geduld des Zuschauers reich belohnt wird. Und wer ein Fan von Chandler, Hammett oder James M. Cain ist oder Filme wie „L.A. Confidential“ und „Mulholland Drive“ schätzt, dem sei diese Serie ganz besonders ans Herz gelegt.