Der VfB Stuttgart hat nach seiner Fabelsaison einen Aderlass an Topspielern zu beklagen. Deshalb geht auch niemand beim VfB davon aus, den Erfolg der vergangenen Saison zu wiederholen.
Mit dem Wissen um den drohenden Verlust mehrerer Leistungsträger gibt sich Fußball-Vizemeister VfB Stuttgart bei seinem Saisonziel für die kommende Bundesliga-Runde logischerweise bescheiden. „Wünschen dürfen wir uns einiges. Aber davon auszugehen, dass wir wieder Zweiter werden, wäre bestenfalls naiv“, sagte Sportdirektor Fabian Wohlgemuth der Deutschen Presse-Agentur. „Das, was wir für das kommende Jahr tabellarisch anstreben, ist eine Platzierung zwischen zwölf und neun.“ Gegen ein besseres Abschneiden werde man sich aber natürlich nicht wehren.
Nachdem sich der VfB in der Saison 2022/23 nur knapp vor dem Abstieg gerettet hatte, wurde er in der zurückliegenden Zeit völlig überraschend Vizemeister und qualifizierte sich für die Champions League. Nun aber droht den Stuttgartern auch aufgrund ihrer begrenzten finanziellen Mittel ein personeller Aderlass. Verteidiger Hiroki Ito ist bereits zu Rekordmeister Bayern München gewechselt, weitere Topspieler wie Torjäger Serhou Guirassy oder Abwehrchef und EM-Teilnehmer Waldemar Anton verlassen den Verein ebenfalls, Anton sicher und Guirassy wahrscheinlich nach Dortmund. Daher sieht der VfB den jüngsten Erfolg zunächst eher als Ausreißer an. „Wie sehr die vergangene Saison des VfB Stuttgart von den normalen Maßstäben abgewichen ist, wird mit der Zeit immer deutlicher. Vom kranken Mann zum ‚Vize‘ und Champions-League-Teilnehmer – im Grunde unbeschreiblich, was Mannschaft und Trainer in kürzester Zeit erreicht haben“, sagte Wohlgemuth. Der Weg des Clubs „zurück in die G5 der Bundesliga“, also die oberen fünf Tabellenplätze, sei jedoch weit.
Aderlass nach Spitzen-Saison
Dass es beim VfB Stuttgart nach der sensationellen Vize-Meisterschaft zum Aderlass kommen würde, war wohl selbst den optimistischsten VfB-Fans klar. Die Stuttgarter Bosse waren darauf vorbereitet, einige der Leistungsträger der vergangenen Spielzeit ersetzen zu müssen, der Umbruch wird nun aber größer ausfallen als angenommen. Der Grund: der Abgang von Kapitän Waldemar Anton, mit dem niemand gerechnet hat. „Ich spüre jeden Tag das Vertrauen des VfB. Wir sind auf einer Wellenlänge, es stimmt für mich hier einfach sehr vieles, ich fühle mich wohl und bin deshalb sehr glücklich über die Vertragsverlängerung. Ich freue mich auf die weiteren Jahre im Trikot mit dem Brustring“, hatte Anton noch im Januar nach seiner Vertragsverlängerung verlauten lassen. Antons neues Arbeitspapier inkludierte zwar eine Ausstiegsklausel über 22,5 Millionen Euro, davon, dass der deutsche Nationalspieler von der Klausel Gebrauch machen würde, gingen die Fans nach den warmen Worten jedoch nicht aus. Und auch die Verantwortlichen nicht. Anton war ein fester Bestandteil der Stuttgarter Planungen und sollte den VfB als Kapitän in die neue Spielzeit und die ersten Champions League-Auftritte seit 2010 führen. Dass es nicht so kommen wird, ärgert die VfB-Bosse wohl vor allem wegen der Art und Weise. Anton habe nicht kommuniziert, dass es bei ihm einen Sinneswandel gab und er überlegt, den Verein Richtung Dortmund zu verlassen.
„Alternativlose“ Reaktion
Der Verlust von drei wichtigen Spielern hat auch den sonst so positiven VfB-Trainer Sebastian Hoeneß getroffen. Zu den Kollegen von BW24 sagte der Coach: „Ich bin auch ein Mensch, natürlich habe ich mich nicht gefreut und war sauer darüber, dass sich das so entwickelt. Das ist doch klar, ich will eine gute Mannschaft haben und will, dass wir wieder wettbewerbsfähig sind.“ Trotz der Abgänge von Ito, Anton und Guirassy wollte Hoeneß nicht lange hadern. Er erklärte, dass es seinem „Naturell“ entspricht, „relativ schnell zu sagen: Okay, was bedeutet das jetzt, wie können wir das Beste aus der Situation machen?“ Er betrachtet diese Reaktion als „alternativlos“, da Zweifel oder längeres Hadern nicht hilfreich seien. Jetzt freut sich Hoeneß auf die Vorbereitung der neuen Saison. Er plant keine radikalen Änderungen im Spielstil, sondern möchte sich zunächst auf die Grundlagen konzentrieren, insbesondere angesichts der vielen neuen Spieler im Team. In den kommenden Wochen wird der Fokus auf der Gruppe liegen, um einen besonderen Teamgeist zu fördern. Dabei spielt es natürlich eine Rolle, dass mit Guirassy und Anton zwei Führungsspieler fehlen. Insbesondere der Verlust von Kapitän Anton ist spürbar. Wer das Amt von Anton übernehmen wird, darüber hat Hoeneß noch nicht nachgedacht.
Aufgrund der Fluktuation innerhalb des Kaders muss Wohlgemuth jetzt liefern. Besonders im Fokus steht die Stürmerposition, da neben Guirassy auch der Verbleib von Deniz Undav unsicher ist. Obwohl der VfB den bisher nur ausgeliehenen Undav gern behalten würde, pokert sein Heimatverein Brighton & Hove Albion um den Stürmer. Für Stuttgart könnte dies bedeuten, dass sie mindestens 50 Millionen Euro aufbringen müssen. Dies würde eine erhebliche finanzielle Belastung für die Schwaben darstellen, aber die Vereinsführung scheint bereit, dieses Risiko einzugehen. Unklar ist jedoch, welche Auswirkungen dieser Deal auf die zukünftige Planung haben könnte. Laut mehreren Medienberichten wird Ermedin Demirovic als möglicher Ersatz für Guirassy in Betracht gezogen. Wohlgemuth bestätigte das. Allerdings fordert der FC Augsburg laut „Bild“ etwa 25 Millionen Euro für den Stürmer, was für den VfB zu teuer ist. Daher gestalten sich die Verhandlungen schwierig und Stuttgart sucht bereits nach Alternativen. Erkundigt hat man sich, so weit ist man bei Leipzigs André Silva jedoch noch gar nicht gegangen. Man hat sich vonseiten der Schwaben erst mal nach dem Portugiesen erkundigt, der von RB zuletzt an Real Sociedad San Sebastian ausgeliehen war. Als Ablöse stehen rund zwölf Millionen Euro im Raum. Doch das Gehalt des Angreifers wird mit rund sechs Millionen taxiert und sprengt den vorgegebenen Rahmen des Vizemeisters. Entsprechend wartet man die Entwicklung bei Demirovic ab, der seinerseits den VfB favorisiert, und hält auch anderweitig die Augen offen. Weniger dringend ist die Situation auf dem linken Flügel. Zwar könnte Chris Führich per Ausstiegsklausel den VfB für rund 22 Millionen Euro verlassen. Doch bisher gibt es keine konkreten Signale diesbezüglich. Was die Hoffnung nährt, dass der EM-Fahrer vielleicht doch bleibt. Falls sich die Faktenlage ändert, hätte Hoeneß jedoch einen Kandidaten im Auge: Jacob Bruun Larsen. Den dänischen EM-Teilnehmer und den aktuellen VfB-Coach verbindet die gemeinsame Zeit zwischen 2020 und 2022 bei der TSG Hoffenheim. Doch die Konkurrenz ist groß. Der 25-Jährige war von der TSG zuletzt an den FC Burnley verliehen und hat die Aufmerksamkeit einer Reihe von Premier-League-Clubs geweckt wie Fulham, West Ham und Crystal Palace.
Demirovic als möglicher Ersatz
Hoeneß scheint für diese neue Situation der richtige Mann auf der Kommandobrücke zu sein. So sei es seiner Meinung nach wichtig, „jetzt einen Schritt zurückzugehen und die Basics wieder auf den Platz zu bringen.“ Zudem stellte er klar, dass dies zumindest nicht nur wegen des personellen Umbruchs nötig sei, denn es gehe generell darum, zunächst Sicherheit ins eigene Spiel zu bekommen. Dann werden auch neue Elemente einfließen, was beispielsweise die „Boxverteidigung“ oder die Viererkette betrifft, so Hoeneß weiter. Eine Revolution hinsichtlich seines Spielstils werde es allerdings nicht geben, höchstens eine „kleine Evolution.“ Unterm Strich nimmt sich Hoeneß vor, erneut „Spieler zu entwickeln, eine Einheit zu bilden und Fußball zu spielen, der einerseits erfolgreich ist und andererseits attraktiv.“ „Das sind die Dinge, die ich mir jetzt als Ziel setze“, machte er deutlich. Und was ist mit der Königsklasse? Auch hinsichtlich des größten europäischen Wettbewerbs geht es dem VfB-Trainer nicht nur um eine Teilnehmerurkunde. „Wir wollen versuchen, in der Champions League zu überraschen“, sagte Hoeneß, dem jedoch bewusst ist: „Das wird aber nicht nur mit guter Laune klappen, denn am Ende brauchst du auch individuelle Qualität. Aber dafür ist ja noch Zeit, um diese erstens selbst zu entwickeln und zweitens dazuzuholen.“