Das Bürgergeld-Konzept der Ampel wird wieder halb zurückgedreht, Sanktionen kehren zurück. Diese seien jedoch eher kontraproduktiv, so eine Studie. Und auch Helena Steinhaus von der Initiative „Sanktionsfrei“ spricht sich deutlich dagegen aus. Dabei können Sanktionen hilfreich sein – in Maßen.
Die Überraschung hält sich in Grenzen: Das Bürgergeld wird künftig mit Sanktionen belegt, deutlich mehr als zuvor, aber in geringerem Maße als zu Zeiten von Hartz IV. Das haben die Koalitionspartner in Berlin in ihrer Wachstumsinitiative beschlossen. Nach Kritik seitens der Konservativen, allen voran der CDU/CSU und entsprechenden Umfragen schärft die Regierung nach und beendet das zuvor ausgerufene Sanktionsmoratorium. Konkret heißt es in dem Papier der Ampelparteien: „Um die Akzeptanz der Leistungen zu erhalten und um mehr Betroffene in Arbeit zu bringen, ist es erforderlich, das Prinzip der Gegenleistung wieder zu stärken.“
Diese Gegenleistungen beinhalten unter anderem, dass ein weiterer Fahrweg, bis zu drei Stunden bei einer Arbeit von mehr als sechs Stunden, zumutbar sei. „Wer eine zumutbare Arbeit, Ausbildung oder Eingliederungsmaßnahme ohne triftigen Grund ablehnt, wird mit erhöhten Kürzungen des Bürgergeldes rechnen müssen“, und zwar von 30 Prozent für drei Monate. Wer einen Termin versäumt, kann mit 30 Prozent Abzug für einen Monat sanktioniert werden, gleiches gilt für einen erwischten Schwarzarbeiter. Das Schonvermögen, also Ersparnisse, die der Staat im Falle von Bürgergeldbezug nicht antastet, wird um die Hälfte auf 15.000 Euro gesenkt, die Schonfrist auf sechs Monate.
Der Armutsforscher Christoph Butterwegge sieht den Kompromiss der Ampel-Regierung kritisch. Zuerst habe man, um Hartz IV zu „überwinden“, wie es bei der SPD und den Grünen vollmundig geheißen habe, Leistungsbezieher durch einen Bürgergeldbonus in Höhe von 75 Euro pro Monat zur beruflichen Weiterbildung motiviert. Dann habe man ihn aber wegen der Probleme beim Bundeshaushalt 2024 ein halbes Jahr nach Inkrafttreten schon wieder abgeschafft.
Möglichst viel Druck hilft nicht
Nun würden mit den neuen Haushaltsbeschlüssen auch die zunächst abgeschwächten Sanktionen wieder verschärft. So werde die ursprünglich verlängerte „Karenzzeit“, in der das Vermögen und die Größe der Wohnung vom Jobcenter nicht auf den Prüfstand gestellt würden, wieder verkürzt. „Die Sanktionen sind zum Teil Regelungen, die schärfer sind, als sie das bei Hartz IV waren.“ Deshalb müsse man sozialpolitisch von einer „Rückschrittskoalition“ sprechen.
Grundsätzlich geht es darum, Menschen wieder in Arbeit zu bringen, so die Ampel in ihrem Papier zur Wachstumsinitiative. Dass viel Druck dabei hilft, bestätigt die Forschung allerdings nicht in vollem Umfang, sagt eine Studie der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Nach Forschungen des Sozialwissenschaftlers Markus Wolff bringen Sanktionen kurzfristig etwas, wirken sich aber mittel-bis langfristig negativ auf die Einkommen und die Beschäftigungsstabilität aus.
Was heißt das? Wolff hat mehrere Hunderttausend Daten von Männern und Frauen ausgewertet, die in der Zeit von April 2012 bis März 2013 Hartz-IV erhalten haben. Deren Werdegang ist bis 2018 dokumentiert. Die weitaus meisten Sanktionen, etwa 85 Prozent, werden verhängt, weil Bürgergeldempfänger einen Termin mit der Arbeitsagentur verpassen. Deutlich weniger Personen erhielten Sanktionen, weil sie Arbeit verweigerten.
Wolff verglich nun den Werdegang sanktionierter und nicht sanktionierter Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern und fand heraus, dass Sanktionen kurzfristig die Wahrscheinlichkeit, einen Job zu finden, um bis zu 21 Prozent erhöhen. Nach vier Jahren aber lässt dieser Effekt nach und wechselt das Vorzeichen – sprich, die Wahrscheinlichkeit, als Sanktionierte einen Job zu finden, ist sogar negativ. Auch das Einkommen Sanktionierter ist im Vergleich mit der Kontrollgruppe der Nichtsanktionierten um mehr als sieben Prozent geringer. Der kurzfristige positive Effekt speist sich laut der Studie vor allem aus Arbeiten mit niedriger Qualifikation.
Die Chance, eine Arbeit mit einem Erwerbseinkommen oberhalb der Niedriglohnschwelle zu finden, ist nach einer Leistungskürzung von Anfang an geringer als bei den nicht sanktionierten Personen, heißt es. Frauen nehmen kurz nach einer Sanktion deutlich häufiger einen Minijob an. Hinzu kommt: Sanktionierte wechseln zwar häufiger von der Arbeitslosigkeit in eine Beschäftigung, aber auch in die Gegenrichtung. Im ersten Jahr ist das Risiko, wieder arbeitslos zu werden, bei den Männern um 16 Prozent, bei den Frauen um 28 Prozent erhöht. Der Einkommensverlust beträgt in Summe 1521 Euro bei den Männern und 845 Euro bei den Frauen.
Positive Anreize setzen
Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) hat ebenfalls eine Studie vorgelegt. Demnach haben Sanktionen durchaus einen Abschreckungseffekt im Vorhinein, heißt es darin – sind sie zu schwach, verlieren sie diesen Effekt. Wird der Druck zu groß, steigt die Chance, dass eher eine schlecht bezahlte Arbeit angenommen wird. Es brauche jedoch auch deutlichere positive Anreize, so zum Beispiel bessere Zuverdienstmöglichkeiten. Diese soll es nach dem Papier der Ampel nun auch geben: Eine „Anschubfinanzierung“ soll den Menschen helfen, aus dem Bürgergeld herauszukommen. Sie sollen mehr verdienen dürfen, ohne dass es beispielsweise auf die Kindergrundsicherung oder das Wohngeld angerechnet wird. Wie hoch diese Zuverdienste ausfallen dürfen, ist aber noch nicht klar.
Das Problem der Sanktionen: Sie führen dazu, dass jene Menschen eher schlecht bezahlte Arbeit annehmen müssen, sagt auch Helena Steinhaus. Die Aktivistin kämpft als Gesicht der Initiative „Sanktionsfrei“ seit Jahren gegen jegliche Hartz-IV- und nun Bürgergeld-Sanktionen. Für sie stigmatisieren Sanktionen, setzen die Empfängerinnen und Empfänger unter Druck und verhindern dabei eher die Aufnahme auskömmlicher Arbeit als dass sie dabei unterstützen, so Steinhaus im Interview mit FORUM.
Das Bürgergeld sei nach wie vor keine gute Lösung, jetzt nach den Verschärfungen noch weniger als zuvor. Der Grund: „Der Regelsatz ist zu niedrig, die Stromkosten müssen aus dem Regelsatz gezahlt werden und das Bürgergeld ist nun wieder 100-prozentig sanktionierbar. Menschen, die längere Zeit Bürgergeld beziehen, landen in Armut und verschulden sich häufig.“ Über kurz oder lang landeten die meisten ohnehin wieder beim Jobcenter, weil die Arbeit, die sie unter Androhung von Sanktionen annähmen, oftmals schlecht bezahlt sei oder nicht zu den jeweiligen Lebensumständen passe, etwa als Alleinerziehende. Mitunter müsse dann trotz Job weiter aufgestockt werden und zwar mit Bürgergeld. „Es geht hier vielmehr um die Symbolwirkung dieser Sanktionen in einer Debatte, die auf dem Rücken derjenigen ausgetragen wird, die sich nicht wehren können. Deshalb bin ich weiter gegen jede Sanktion.“
Für Steinhaus müssten die Aufgaben der Jobcenter geändert werden – und das Personal-Tableau. „Die Realität in den Jobcentern ist so: Zwar setzt die Ampelkoalition auf Qualifizierung, streicht den Jobcentern aber dafür das Geld.“ Jobcenter, deren Träger die kommunalen Spitzenverbände sind, werden aus Steuermitteln vom Bund finanziert. Sie sollen laut Haushaltsplanungen des Bundesarbeitsministeriums sparen, indem sie Aufgaben an die Arbeitsagentur abgeben – diese wird durch die Arbeitslosenversicherung finanziert.
„Das Problem der Jobcenter ist auch, dass sie nicht die notwendigen personellen Kapazitäten haben, um sich jeden Fall individuell mit genügend Zeit anzuschauen.“ Sachbearbeiter im Jobcenter berichten ihr, so Steinhaus, dass sie häufig mehr psychosozial unterstützen als dass sie tatsächlich Arbeit vermitteln. „Dies verlangt den Beratern viel mehr ab als viele glauben.“ Es brauche also mehr Berater und eine andere Art des Umgangs mit den Betroffenen. „Man muss den Menschen auf andere Weise helfen. Wir dürfen nicht pauschalisieren, was viele in der Debatte nun tun, indem sie Menschen gegeneinander ausspielen.“
„Menschen in Notsituation“
Schwarz-Weiß-Malerei sei nie ein guter Ratgeber. „Bürgergeld muss eine Existenzsicherung sein. Menschen, die Bürgergeld beziehen, befinden sich meist in einer Notsituation. Sie haben das Grundrecht dazu, dies zu erhalten. Und die Zahlen zeigen, dass nur die wenigsten die Arbeit verweigern. Die Frage derjenigen, die arbeiten und wenig verdienen, muss lauten: Warum bekomme ich so wenig? Und nicht, warum bekommen Bürgergeldempfänger so viel Geld? Denn es ist nicht viel Geld.“ Die Krise führe zu dieser Debatte. „Menschen haben derzeit Angst um ihren Job, ihre Existenz, stehen unter Druck. Die Inflation verteuert vieles. Jede fünfte Person in Deutschland gilt als arm, dies sind 14 Millionen Menschen, aber nur 5,5 Millionen beziehen Bürgergeld.“ Genau in jener Differenz liege das Potenzial derjenigen, die für eine Neiddebatte empfänglich seien. „Die Zahl der Millionäre aber ist gestiegen. Die Frage ist, befeuert man die Abstiegsangst oder versucht man die Probleme zu lösen?“
Mithilfe der Sanktionen wird an den grundsätzlichen Problemen erst einmal nicht gerüttelt: zu viele Arbeitsplätze mit Löhnen, die nicht zum Leben reichen, fehlende Qualifikation, unzureichend ausgestattete Jobcenter und eine in der Krise befeuerte Neiddebatte, die all jene Probleme überdeckt. Diese nutzt letztlich nur der politischen Radikalisierung. Helfen können Sanktionen dennoch, sagen Wissenschaftler – wenn sie mit Augenmaß eingesetzt werden. Ob dies dem Gesetzgeber gelingt, ist jedoch noch fraglich.