Gibt es das wirklich? Dass ein einziger Satz ein ganzes Leben verändert. Ja, behauptet die Autorin Amonte Schröder-Jürss in ihrem Buch „Sie stehen nicht auf der Liste“. Mit dieser Prämisse öffnet sie ein Fenster zu einem kurzen, aber meist tiefen Blick auf eine entscheidende Episode im Leben von prominenten und nicht prominenten Menschen. Die Autorin ist von Beruf Journalistin und hat die für sie unvergesslichen Sätze über Jahre zusammengetragen. Die 24 Geschichten, die dahinterstecken, sind schön und traurig, machen hoffnungsvoll und wütend. Da geht es um einen Polizisten, der den Reichstag verteidigt oder um ein mutiges Coming-out als Frau, das 60 Jahre warten musste. Am eindringlichsten ist vielleicht die titelgebende Geschichte; wiedererzählt von einer Krankenschwester und erlebt von einem Kriegsoffizier im sibirischen Winter. Sehr nachdenklich macht der Bericht einer Lehrerin von der letzten Whatsapp-Nachricht ihrer Mutter; fast poetisch ist die faszinierende Erzählung einer jungen Frau in Mexiko und ihrer Begegnung mit einem Krokodil. Ganz wichtig ist auch die Geschichte der Holocaust-Überlebenden Margot Friedländer– denn sie kann nicht oft genug erzählt werden. Das Buch inspiriert oft dazu, mehr erfahren zu wollen, von den Menschen, die hier Episoden aus ihrem Leben teilen. Manchmal möchte man auch etwas über den Hintergrund erfahren, vor dem die Geschichten passiert sind. Drei Sätze mit Backgroundinformationen würden hier subjektiv das Lese-Erlebnis verbessern. Das Buch ist kurzweilig und hat trotzdem Tiefgang. Doch die Auswahl der Geschichten verursacht zuweilen Kopfkratzen: Warum die belanglose Geschichte über einen Werbetexter, der wiederholt damit prahlt, wie viel Kohle er als Kreativer verdient? Und sich dann äußerst fantasiearm von seinem Geld einen Porsche kauft. Und: Dass die Autorin einer Journalisten-Kollegin mit einer simplen Story über einen Restaurantbesuch die Gelegenheit gibt, auf vier Buchseiten Werbung für ihr neues Online-Magazin zu machen, hinterlässt einen faden Beigeschmack. Hier wäre weniger mehr gewesen.
KULT[UR]
Foto: Goldmann Verlag
Buch-Tipp: Die macht eines Satzes
Amonte Schröder-Jürss: Sie stehen nicht auf der Liste. Goldmann Verlag. ISBN: 978-3-442-14307-8
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