Die Bregenzer Festspiele präsentieren den „Freischütz“ als atmosphärisches Schauermärchen. Die Inszenierung des Opern-Klassikers beeindruckt mit starken Stimmen, einem grandiosen Bühnenbild sowie jeder Menge Spezialeffekten.
Eine meterhohe Seeschlange, die Feuer speit, eine alte Kutsche, die von einem Pferdeskelett gezogen wird, eine tote Mutter, die sich aus ihrem Sarg erhebt: Geübte Geisterbahn-Besucher verspüren bei diesen Szenarien wohligen Schauer. Den gibt es auch für Opern-Fans, die das diesjährige Spiel auf dem See der Bregenzer Festspiele besuchen. „Der Freischütz“ wird hier zum spektakulären Gruselmärchen, das nicht nur von Carl Maria von Webers eindringlicher Musik und starken Stimmen imposant in Szene gesetzt wird. Philipp Stölzl, verantwortlich für Inszenierung, Bühne, Licht, hat tief in die Trickkiste gegriffen, um eine Show der Extraklasse zu kreieren. Nebelmaschinen, Donnergrollen in der Ferne, ein brennender Kirchturm, eine Uhr, die – auf Befehl des Teufels – rückwärts läuft. Kein Wunder: Stölzl, 1967 in München geboren, hat sich als Regisseur nicht nur im Bereich von Theater und Oper einen Namen gemacht, sondern auch mit Spielfilmen wie „Der Medicus“ und mit Werbespots und Musikvideos Erfolge gefeiert.
Ein deutscher Opern-Klassiker als Bühnenspektakel? Ja, denn mit diesem „Freischütz“ werden die Bregenzer Festspiele ihrem Namen wieder einmal mehr als gerecht. Die umjubelte Premiere bei bestem Wetter und ausverkauften Rängen lässt zwei starke Spielzeiten erahnen. Nach einer berührenden „Madama Butterfly“ in den Jahren 2022 und 2023, in gespannter Erwartung auf „La Traviata“ 2026 und 2027 zieht nun „Der Freischütz“ alle Register einer zeitgemäßen Opernkunst für Jung und Alt.
Philipp Stölzl lotet in seiner Inszenierung die Höhen und Tiefen des Stücks mit Feingefühl aus. Die Bilder sind stark, in Kombination mit der Musik werden sie zu einer umfassenden Erfahrung. Die Wiener Symphoniker, traditionell bei den Bregenzer Festspielen zu Gast, unter der musikalischen Leitung von Enrique Mazzola, bilden den gewohnt perfekten Klangkörper, der sich in der Wolfsschluchtszene bis zum furchterregenden Furor steigert. In dieser Schlüsselszene werden die sieben Freikugeln gegossen, die durch dunkle Magie kein Ziel verfehlen.
Der Seelenfänger wird zum Erzähler
Nicht nur dabei hat Samiel (Moritz von Treuenfels), der Teufel, die Hand im Spiel. Auf der Seebühne wird der Seelenfänger zum Erzähler, der launig und reimend durch das Stück führt, während er auf Bäume klettert, vom Kirchturm herab sein Gift versprüht, die Seeschlange reitet und in nahezu jeder Szene mitmischt. Ein wenig mehr Ernsthaftigkeit hätte der „Verkörperung des Bösen“ gutgetan, will der Belzebub doch die siebte Freikugel auf Agathe (Nikola Hillebrand) lenken. Sie möchte den Amtsschreiber Max (Mauro Peter) heiraten, der sich dafür erst als treffsicherer Schütze beweisen muss. Das Ende wäre tragisch, wenn da nicht der Eremit ein Machtwort sprechen würde.
„Der Freischütz“ ist eine Geschichte von Gut und Böse, von seltsamen Bräuchen und magischen Ritualen, von „echten“ Männern und Frauen, die gottesfürchtig und tugendhaft sind. Philipp Stölzl bezeichnet das Stück als eine dunkle Faust-Geschichte: „Jemand verkauft seine Seele für ein irdisches Glück und bezahlt bitter dafür.“ Mutig hat sich Stölzl dem Werk angenommen, um es zu modernisieren: Es gibt mehr Dialoge, die Musik wurde gekürzt oder zu neuen Bezügen verbunden. Die wunderbare Arie von Max „Durch die Wälder, durch die Auen“ und das bekannte „Lied der Jäger“ werden dafür ausgiebig zelebriert.
Zur Persiflage hingegen gerät das Brautlied: „Wir winden Dir den Jungfernkranz“. Der Chor der Brautjungfern bedrängt Agathe, die nicht nur um das Schicksal von Max bangt, sondern auch um ihr eigenes: Das Hochzeitskleid will nicht passen – Ist sie etwa schwanger? – und ihrer besten Freundin ist sie mehr zugetan, als es sich Komponist Carl Maria von Weber vor 200 Jahren vermutlich je erträumen ließ. „Wie bei fast jeder älteren Kunst gibt es auch im ‚Freischütz‘ überkommene Rollenbilder, vor allem ein antiquierte Frauenbild, das der Entstehungszeit des Stücks im frühen 19. Jahrhundert entspricht. Wir haben versucht, die Figuren moderner zu gestalten, sodass sie unser heutiges Publikum etwas angehen“, erklärt Stölzl.
Beim Bühnenbild bleibt er hingegen in der Zeit: Ein unwirtliches Dorf in Deutschland kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg, windschiefe Häuser, tote Bäume. Aus dem See ragt halb versunken ein maroder Kirchturm, Schnee bedeckt die Hügelkuppen. Darüber ein überdimensionaler Mond, der im Verlauf des Abends mal leuchtet, mal zur Projektionsfläche wird. Manch einer im Publikum wundert sich anfangs über das düstere Szenario, das von Weitem wenig von dem verrät, was es bereithält. Lockten bei früheren Inszenierungen schon bei der Anreise mit dem Schiff oder Bahn eindrucksvolle Bühnenbilder, darunter das riesige Maskenball-Skelett und der ebenso große Rigoletto-Kopf, entwickelt sich beim „Freischütz“ erst im Lauf des Abends ein faszinierender Kosmos der Bühnenkunst. Anfangs ist das Geplänkel der Dorfbewohner, das Zielscheibenschießen, das Kräftemessen noch unübersichtlich, doch dann lenkt Teufel Samiel die Aufmerksamkeit auf die jeweils richtigen Stellen. Die ausgeklügelte Lichtchoreografie tut ihr Übriges dazu.
Das Wasser spielt ebenso eine wichtige Rolle. Nicht nur der Bodensee, der die Seebühne umgibt, sondern auch die große Wasserlandschaft, in die Sänger, Chor, Stuntmen sowie ein glitzerndes Wasserballett immer wieder ein- und meistens auch wieder auftauchen. Bis zu 2,5 Meter tief ist das 1.400 Quadratmeter große Becken, das 480.000 Liter Seewasser fasst. So spielt der „Freischütz“ auf, umgeben von und immer wieder auch im Wasser.
Zu viel des Guten? Nein, denn wo, wenn nicht auf der weltweit größten Seebühne, vor fast 7.000 Zuschauerinnen und Zuschauern, soll eine große Oper nicht als großes Kino inszeniert werden? Mit Philipp Stölzl wird der „Freischütz“ zum packenden Opern-Thriller, der das Publikum zwei Stunden lang in seinen Bann zieht.