Es hat im Gegensatz zu 2006 viel geregnet, Deutschland ist im Viertelfinale ausgeschieden. Dennoch war die Fußball-EM ein Erfolg.
Haben Sie das schon mal erlebt? Sie wurden zu einer Party eingeladen und wussten nicht genau, ob sie gut werden würde. Es gab einiges, was vielversprechend war, aber auch manches, was Sie zweifeln ließ. Doch nach kurzer Zeit auf der Feier wurde klar: Das wird eine der besten Partys Ihres Lebens. Alle haben Spaß, sind beseelt und gut gelaunt, es entsteht eine ganz seltsame, vibrierende Stimmung, und niemand wird ausfallend. Wenn Sie in der Folge mit Leuten zusammensitzen, die ebenfalls auf dieser Party waren, wird immer geschwärmt, dass dies „einer der besten Abende überhaupt“ war.
Irgendwann nimmt es einer in die Hand und startet ein Revival. Wochen vorher sind alle schon voller Vorfreude. Die Party beginnt, und nach einer Stunde sitzen alle ratlos im Raum. Es sind dieselben Leute, dieselbe Location, dieselbe Musik, aber es kommt einfach nicht mehr diese magische Stimmung auf wie damals. Und weil die Legende so heilig und die Vorfreude so groß war, ist die Enttäuschung umso bitterer.
So ähnlich hätte es mit der Fußball-EM in diesem Sommer in Deutschland kommen können. Die WM 2006 vor 18 Jahren hatte sich entgegen vieler Erwartungen zum „Sommermärchen“ entwickelt. Und nun sprachen viele automatisch vom „Sommermärchen 2.0“. Doch man kann eine solch magische Stimmung nicht auf Knopfdruck vermitteln. Vor 18 Jahren herrschte Königswetter während des gesamten Turniers, diesmal regnete es mehrfach so stark, dass Tribünenteile geräumt, Fanzonen aus Sicherheitsgründen gesperrt wurden, und das Achtelfinale Deutschland gegen Dänemark wurde sogar für lange Zeit unterbrochen. Natürlich war es kein „Sommermärchen 2.0“. Und das ist gut so.
Denn eine Kopie kann niemals so gut werden wie das Original. Im Ganzen war dieses Turnier vielleicht auch nicht so einzigartig wie die WM 2006, weil sich damals eben auch erst unerwartet etwas entwickelte. Dennoch war auch diese Europameisterschaft in Deutschland eine sehr erfolgreiche Veranstaltung. In den Stadien, auf den Fanmeilen und in den Städten herrschte tolle Stimmung, es bliebt meistens friedlich, sportlich gab es Tiefen, aber auch Höhen. Wir fassen die Erkenntnisse dieser EM einmal zusammen.
Spanien wurde maximal gefordert
Die beste Mannschaft hat den Titel geholt: Auch wenn Deutschland sich beim 1:2 nach Verlängerung im Viertelfinale knapp dran wähnte und sich auch noch ein wenig verpfiffen fühlte: Über das Turnier hinweg war Spanien der verdienteste Europameister, den man sich vorstellen kann. Die Spanier mussten vom Anfang weg den schwersten Weg gehen, hatten schon in der Gruppe Italien und den WM-Dritten Kroatien als Gegner und trafen nach dem Achtelfinale gegen aufmüpfige Georgier nacheinander auf Gastgeber Deutschland, Vize-Weltmeister Frankreich und Vize-Europameister England. Und dennoch gewannen die Spanier alle sieben Spiele. Mit eben einer Verlängerung, aber ohne Elfmeterschießen. Mit meist begeisterndem Fußball. Und mit neuen Stars. Dazu gleich mehr.
Es wird zu viel taktiert: Man glaubte, die Zeit des großen Sicherheits-Fußballs sei vorbei. Doch dann wurde man immer mal wieder eines Besseren belehrt. Das Bittere dabei: Vor allem große Teams wie England oder Frankreich, von denen man sich aufgrund ihrer Besetzung in der Offensive Spektakel-Fußball erhofft hatte, setzten vor allem auf Kompaktheit. Das lag natürlich auch an den Umständen, weil Englands Torjäger Harry Kane nicht ganz fit ins Turnier ging und sich Frankreich Superstar Kylian Mbappé gleich im ersten Spiel die Nase brach. Was beide offensiv zeigten, war dennoch enttäuschend. Englands Trainer Gareth Southgate wurde aufgrund der Darbietung seines Teams in der Gruppenphase sogar mit Bier beworfen. Und die Franzosen schossen im ganzen Turnier ein einziges Tor aus dem Spiel heraus, der Rest ihrer ohnehin wenigen Treffer resultierte aus Eigentoren und Elfmetern.
Deutschland hat wieder eine Mannschaft zum Identifizieren: Wir haben uns in der vergangenen Woche ausführlich dem deutschen Team gewidmet, deshalb hier etwas kürzer. Ja, Deutschland ist bei der Heim-EM schon im Viertelfinale ausgeschieden. Doch das Team von Bundestrainer Julian Nagelsmann scheiterte am besten Team mit Pech, zeigte vorher mutigen und größtenteils guten Fußball und vor allem das Herz, das die verloren gegangene Nähe zu den Fans wieder herstellte. Wenn man bedenkt, welche Untergangsstimmung noch im März herrschte, ist das Wort „Wiederauferstehung“ nicht zu hoch gegriffen.
Die Deutschen waren gute Gastgeber– die meisten: Die WM 2006 blieb auch deshalb in so guter Erinnerung, weil Deutschland sein Bild in der Welt nachhaltig aufpolierte. Sich als feierfreudig und gastfreundlich zeigte. Das gelang auch diesmal über weite Strecken. Die schottischen Fans wollten gar nicht mehr abreisen, vor allem in Köln kam es zu regelrechten Verbrüderungen. Auch Fans, Volunteers und Sicherheitskräfte gaben ein gutes Bild ab. Umso ärgerlicher, dass der Spanier Marc Cucurella im Halbfinale und im Endspiel bei jedem Ballkontakt ausgepfiffen wurde. Bloß, weil ihm der Ball im Viertelfinale gegen die Hand geschossen wurde und es keinen Elfmeter gab. Wohl auch, weil viele Fans die Einlassungen Cucurellas danach als flapsig empfanden. Peinlich oder beschämend waren sie aber nicht. Ganz im Gegensatz zu den Pfiffen. Die ausgerechnet die beiden Spiele überlagerten, in denen ganz Europa hinschaute.
Chaos bei der Deutschen Bahn
Unsere Missstände wurden schonungslos aufgezeigt: In manchen Dingen wurde uns in Deutschland bei dieser EM durch den Blick von außen der Spiegel vorgehalten. Wurde das Klagen in der Vergangenheit mancherorts als typische deutsche Meckerei abgetan, so wurden uns die Mängel in manchen öffentlichen Bereichen diesmal gnadenlos von den ausländischen Gästen vorgehalten. Viele waren fassungslos, wie schlecht das deutsche Netz mancherorts ist. Und auch der Bahnverkehr sorgte vielerorts für richtig Ärger. Wegen eines Zugausfalls mussten die Niederländer die obligatorische Pressekonferenz vor dem Halbfinale gegen England absagen.
Die Jungen werden immer jünger: Deutschland dachte, es hätte mit den beiden 21-jährigen Jamal Musiala und Florian Wirtz eine junge Flügelzange – und dann kam Lamine Yamal. Der Spanier war ganze 16, beim Finale nach dem Geburtstag tags zuvor dann immerhin 17. Er spielte jedes Spiel von Anfang an, war in jedem Spiel gut, über das Turnier gesehen einer der Besten überhaupt. Jüngster EM-Spieler, jüngster Torschütze bei einer Endrunde, jüngster Spieler im Finale, jüngster Europameister – all das ist Yamal nun. Und er war beim Titelgewinn sogar einige Monate jünger als der legendäre Pelé 1958 beim WM-Triumph als bis heute jüngster Spieler.
Die Handregel ist eine Katastrophe: So richtig kann bis heute keiner sagen, ob Deutschland im Viertelfinale Unrecht widerfahren ist. Die meisten Schiedsrichter-Experten sahen im Handspiel von Cucurella beim Stand von 1:1 eine auslegbare Situation mit Tendenz zur richtigen Entscheidung, keinen Strafstoß zu geben. Aus Fußballer-Sicht mag man auch dazu zu tendieren. Warum sich dennoch so viele Deutsche inklusive Nagelsmann verpfiffen fühlten, lag einfach daran, dass eine solche Situation schon vielfach gepfiffen wurde – und der Strafstoß danach dann als berechtigt eingestuft wurde. Die Handregel lässt einfach zu viel Interpretations-Spielraum. Sie muss zwingend und schleunigst vereinfacht werden. Sonst werden solche Diskussionen an der Tagesordnung sein.
Das Turnier könnte größer werden
Geht rauf auf 32 – denn die Kleinen beleben das Turnier: Der Aufschrei im Jahr 2016 war groß: Schon wieder wurde die EM-Endrunde aufgestockt. Von damals 16 auf nun 24 Mannschaften. Nachdem es bei der letzten EM in Deutschland 1988 noch ganze acht Teilnehmer gegeben hatte. Das Ganze wurde vielerorts als Aufblähung moniert, als reine Geldbeschaffungs-Maßnahme. Doch nach drei Turnieren muss man feststellen: Gerade die vermeintlich kleinen Teams, die erstmals oder nur selten bei einer EM dabei sein dürfen, sorgten für große Belebung: Die Isländer und Waliser 2016, die Finnen 2021, nun die Georgier, Albaner und Slowenen, dazu die längst nicht immer qualifizierten Schotten oder Rumänen. Bedenkt man, dass der Modus mit den vier besten Gruppendritten seltsam und unschön bleibt – Ungarn sicherte sich am Sonntag Gruppen-Rang drei, blieb in Deutschland und erfuhr drei Tage später, dass es ausgeschieden war – bleibt nur eine Feststellung: Geht doch einfach hoch auf 32 Teilnehmer. Das würde bei nur 55 Qualifikations-Startern die Qualifikation zwar vollkommen zur Farce werden lassen. Doch die Endrunde könnte nur davon profitieren. Es gäbe zwölf Spiele mehr, aber die Maximal-Zahl für jedes Team bleibt bei sieben. Es gäbe eine klare Weiterkommens-Regel, die ersten beiden stehen in der K.-o.-Runde. Und das Turnier als solches wird noch ein bisschen bunter. Hätte man diese „EURO“ auf 32 Starter ausgebaut, hätten zum Beispiel noch Norwegen, Schweden, Island, Wales, Irland, Nordirland, Finnland oder Griechenland dabei sein können. Alles Teams mit wunderbaren Fans, die das Turnier feiern und beleben würden. Die Qualitäts-Unterschiede in Europa sind nicht so groß, dass die Qualität vollends verwässern würde. Und dann wäre es noch mehr ein großes europäisches Fußball-Fest.