Der Präsidentschaftswahlkampf bleibt trotz frischem Wind durch Kamala Harris denkbar knapp. Florian Böller, Transatlantik-Experte und Professor für Politik, sieht die politische Polarisierung in den USA mittlerweile größtenteils gefestigt. Das lässt kaum Spielraum, neue Wähler zu überzeugen.
Herr Prof. Böller, in den USA kristallisiert sich eine neue Wahlkampf-Erzählung heraus: die ehemalige Staatsanwältin gegen einen verurteilten Straftäter. Ist dies die Erzählung, die frischen Wind in den Wahlkampf bringt?
Ich glaube nicht, dass es dabei bleiben wird. Es ist noch sehr früh, aber es wird nicht die letzte Wendung im Wahlkampf bleiben. Warten wir noch die „October surprises“ ab, die überraschende Wendung, die letztlich die Wahl entscheiden kann. Auf jeden Fall ist der Fokus nun ein anderer: zuerst lag er auf Joe Biden, dessen Alter und der schlechten Performance während der ersten Debatte. Dann auf dem Attentat auf Trump und nun hat sich das gesamte Narrativ des Wahlkampfes erneut gedreht.
Dreht sich jetzt der Wahlkampf zugunsten der Demokraten oder wäre dies nur europäisches Wunschdenken?
Ich vermute, das Rennen bleibt bis November knapp. Noch ist es schwer zu bestimmen. Kamala Harris ist noch keine offizielle Präsidentschaftskandidatin, es gibt kaum belastbare Umfragen zu dem Duell zwischen ihr und Trump. Genauer werden wir es erst in einigen Wochen sehen, aber ich denke, es wird sich in der Tendenz nicht viel ändern. Es wird natürlich weiterhin auf die wenigen Swing-States ankommen, und wie die Wählerinnen und Wähler dort abstimmen. Wenn sie einige davon gewinnen können plus jene, die ohnehin klar demokratisch wählen, gibt es Chancen, die demokratische Präsidentschaft zu verteidigen. Bislang sah es so aus, dass Trump in den Swing-States leicht vorne liegt, aber nicht klar, und dies wird weiterhin so sein. Denn die tiefe Polarisierung pro Republikaner oder pro Demokraten hat sich mittlerweile sehr gefestigt. Für beide kommt es jetzt darauf an, die eigene Wählerschaft zu mobilisieren.
Welche Rolle spielen die noch unentschiedenen Wählerinnen und Wähler?
Ja, diese gibt es zwar, aber ihr Impact ist relativ klein. Mittlerweile ist das Land größtenteils in zwei Lager gespalten. Daher sind diese zwar auch wichtig, aber in erster Linie geht es beiden Parteien erst einmal um ihre eigene angestammte Wählerbasis.
Die Kandidatur von Harris scheint die Demokraten wiederzubeleben. Ihr Ruf aber ist auch in der eigenen Partei nicht
sonderlich gut. Welchen Einfluss hat dies?
In der Tat: Als ehemalige Generalstaatsanwältin in Kalifornien, die auch so etwas wie eine Justizministerin des Bundesstaates ist, hat sie sich den Ruf einer harten Hand, einer „Law-and-Order“-Politikerin erarbeitet. Das kam innerhalb der demokratischen Stammwählerschaft nicht gut an. Das könnte ihre größte Bürde sein, denn unter den People of Color in den USA war Biden deshalb etwas beliebter als sie, weil er davon unbelastet war. Das hat ihm letztlich zur Nominierung verholfen, Harris musste ihre Präsidentschaftskampagne 2020 aufgeben. Aber nun geht es um einen völlig anderen Kon-trast, den zwischen Trump und Harris. Und da kann ich mir nicht vorstellen, dass ihr diese Geschichte noch groß schaden wird, aber genau wissen wir das nicht. Die Frage bleibt, ob sie die Menschen an die Urne bringen kann. Und dass sie möglichst viele Demokraten überzeugt, sie trotz dieser Vergangenheit zu wählen.
Dann kommt es in einigen Bundesstaaten auf die Hispanics an, die zwischen Demokraten und Republikanern mittlerweile gespalten sind. Wie wichtig ist diese Wählergruppe?
Es ist keine homogene Gruppe. Wir sehen gerade in Florida, dass sich diese Gruppe konservativer orientiert. Dort hat es zum einen mit Migrationspolitik zu tun, zum anderen mit der US-Politik gegenüber Kuba. Obama hatte sich während seiner Präsidentschaft um eine Wiederannäherung an das kubanische Regime bemüht. Das hat vielen Exilkubanern in Florida nicht gefallen. In Arizona und Nevada sehen wir jedoch, dass viele Hispanics eher demokratisch wählen.
Nun dauert es bis zur Wahl noch etwa drei Monate, viel Zeit im Vergleich mit europäischen Wahlkämpfen. Reichen Harris die verbleibenden Wochen, um eine Chance herauszuarbeiten?
Ich glaube schon. Aber besser wäre es gewesen, sie langfristig als mögliche Präsidentschaftskandidatin aufzubauen. Für einen ordentlichen Übergang wäre ein solcher Prozess vor einem Jahr sinnvoll gewesen. Man hätte sich die schwache Debattenleistung von Joe Biden erspart und viele andere Probleme auch. Man hätte dann auch über andere Kandidaten nachdenken können. Im Moment sieht es so aus, als würde sich Harris die Kandidatur leicht sichern können. Und dies ist in der aktuellen Situation für die Demokraten die strategisch beste Lösung, ihre Vizepräsidentin zu nominieren.
Sie hat gute Chancen, sich bekannt zu machen. Manche sagen, sie hätte als Vizepräsidentin etwas mehr Zeit als der Präsident, um Wahlkampf zu machen. Die heiße Phase beginnt ja auch erst nach dem Nominierungsparteitag der Demokraten und der ist Ende August. Dann starten auch die Präsidentschaftsdebatten. Die erste war nun relativ früh, ausgehend von einem Wunsch der Demokraten, aber es wird vielleicht noch eine zweite zwischen Harris und Trump geben.
Die Partei-Granden Barrack Obama, Nancy Pelosi und Chuck Schumer haben sich ja doch etwas zurückgehalten und Harris nicht sofort uneingeschränkt unterstützt. Wollten sie den ordentlichen Parteiprozess nicht untergraben?
Es sind ja nicht wirklich viele Tage dazwischen vergangen. Gleich anfangs stellten sich Bill Clinton und auch Nancy Pelosi hinter sie, und viel wichtiger war, dass Joe Biden sich öffentlich positiv dazu äußert. Ich sehe keinen ernsthaften Gegenkandidaten. Es gäbe zwei, Gavin Newsom, der Gouverneur von Kalifornien, und Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan, aber beide haben sich relativ schnell hinter Harris gestellt. Daher kann sie mit dem Ergebnis, nach nur knapp drei Tagen den Großteil der Partei hinter sich zu versammeln, sehr zufrieden sein.
Das ging in der Tat schnell, und auch aus der Ecke der linken Progressiven, der Ecke von Bernie Sanders, kam wenig
Gegenwind. Liegt das an der Gefahr, die Trump in den Augen vieler darstellt?
Ich glaube schon, dass das Horrorszenario der Demokraten ein offener Parteitag wie 1968 wäre. Damals hat sich die Partei in Grabenkämpfen zerfleischt, nachdem Lyndon B. Johnson nicht mehr antrat und am Ende der Republikaner Richard Nixon gewählt wurde. Eine große Debatte um die Kandidatur würde den Wahlkampf noch schwieriger machen.
Gibt es irgendetwas, was ihre Kandidatur noch verhindern könnte? Die Republikaner drohen ja schon mit Klagen und wollen verhindern, dass sie an Joe Bidens Wahlkampfkasse gelangt.
Was die Republikaner tun, ist Nebelkerzen zu werfen. Das ist Nonsens. Ein Kandidat wird erst auf dem Parteitag offiziell nominiert, und der demokratische Parteitag hat ja noch nicht stattgefunden. Biden ist als möglicher Kandidat zurückgetreten, damit werden seine Delegiertenstimmen wieder frei. Harris hat mittlerweile genug von diesen Delegiertenstimmen eingesammelt, dass sie sich über den Wahlprozess keine Sorgen machen muss. Eventuell wird sie ja noch schneller zur Kandidatin gekürt, weil es vorher bereits einen virtuellen Parteitag geben wird.
Es gibt Berichte, wonach sich die Republikaner und Trump mit ihrem Vizepräsidentschaftskandidaten J.D. Vance verkalkuliert haben, angesichts dieser neuen Situation. Glauben Sie, Vance ist nun die falsche Wahl als Ergänzung zu Trump?
Schwierig zu sagen: Vance ist eine ungewöhnliche Wahl. Trump hat sich für jemanden entschieden, der mehr wie er auch radikale Ansichten vertritt. Es kann sein, dass dies zum Problem wird. Auf der anderen Seite sagte ich ja bereits, dass beide Parteien ihre Basis mobilisieren müssen. Hierbei sind die Republikaner auf einem guten Weg, dabei hat natürlich auch das Attentat auf Trump geholfen. Anfangs dachte man, dieses Ereignis würde seinen Ton mäßigen und die Botschaft der nationalen Einheit vertreten, und Vance würde die Abteilung Attacke übernehmen. Aber wie wir heute wissen, kann Trump nicht aus seiner Haut. Politisch liegt Vance auf einer Linie mit dem extremen MAGA-Flügel, aber wie dies bei der Wählerschaft ankommt, vermag ich jetzt noch nicht zu sagen. Es geht ihnen dabei aber nicht darum, unentschlossene oder demokratische Wähler zu überzeugen, sondern die eigene Wählerschaft zu mobilisieren.
Viel diskutiert wird das sogenannte „Project 2025“, in der ein politischer Thinktank Handlungsempfehlungen zum
„Durchregieren“ eines republikanischen Präsidenten gegeben hat, ohne dass er viel Opposition im Regierungsapparat befürchten muss. Wie realistisch ist es, dass dies in die Tat umgesetzt wird?
Ob sich alles so durchsetzen lässt, ist fraglich. Es zeigt sich aber, dass sich die Republikaner akribisch auf eine neue Machtübernahme in Washington vorbereitet haben. 2017, zu Beginn der Amtszeit Trumps, gab es ziemlich viel Chaos, es hat nicht viel funktioniert. Den Fehler versucht man nicht mehr zu wiederholen. Aus demokratischer Sicht liegt darin eine Gefahr. Es kommt dabei aber auch darauf an, ob die Republikaner auch Senat und Repräsentantenhaus gewinnen. Gewinnen sie beide, plus Präsidentschaft und den ohnehin mehrheitlich konservativ besetzten Supreme Court, sind diese Ideen in Teilen schon durchsetzbar.
Auch das Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats stehen zur Wahl. Wie steht es dort um die Mehrheiten?
Beim Repräsentantenhaus ist es schwierig Vorhersagen zu treffen. Wir sprechen hier vom sogenannten „Down-ballot“-Effekt. Wenn die Präsidentschaftswahlen in Richtung einer bestimmten Partei tendieren, tendieren auch die Stimmen unter der jeweiligen Kandidaten oder dem Kandidaten für das Präsidentschaftsamt in Richtung der jeweiligen Partei. Wer demokratisch wählt, wählt häufig auch demokratische Kongressmitglieder. Deshalb wird es darauf ankommen, wie das Rennen insgesamt ausgeht. Gewinnen die Republikaner das Rennen um die Präsidentschaft, werden sie wohl auch das Repräsentantenhaus halten. Im Senat werden die Demokraten ohnehin einen schweren Stand haben, da sie mehr Sitze verteidigen müssen als die Republikaner.
Auf welche Bundesstaaten, auf welche Swing-States kommt es nun für die beiden Kampagnen an?
Es kommt vor allem auf Pennsylvania, Michigan und Wisconsin an. Wenn die Demokraten diese drei Staaten gewinnen, vereinen sie zusammen mit anderen Staaten, in denen sie deutlicher in den Umfragen führen, 270 Wahlmännerstimmen auf sich und können damit das Weiße Haus verteidigen. Arizona und Nevada sind eher zweitrangig. Auf diese Staaten wird sich also der Wahlkampf in den kommenden Wochen konzentrieren.