Der Pharma-Dienstleister Vetter übernimmt einen Teil des Ford-Werksgeländes im Saarland. Peter Sölkner, einer der beiden Geschäftsführer, über das Unternehmen und die Gründe, sich in diesem Bundesland niederzulassen.
Herr Sölkner, Sie sind seit 2008 Geschäftsführer von Vetter Pharma. Was verbindet Sie mit Vetter, was ist es für ein Unternehmen aus Ihrer Sicht?

Ich habe im März mein 20-jähriges Firmenjubiläum gefeiert, ich war vorher bereits einige Jahre bei Vetter. Danach war ich in den USA, insgesamt 19 Jahre und bin vor vier Jahren, während der Pandemie, wieder mit meiner Familie von Kalifornien zurück nach Deutschland gezogen. Vetter hat sich eine hervorragende Marktposition erarbeitet. Wir arbeiten rein Business-to-Business, für die Top-Pharma-Unternehmen der Welt im Parenteral-Bereich – das heißt, wir füllen injizierbare Medikamente ab, mittlerweile über 100 unterschiedliche zugelassene Produkte. Wir begleiten Medikamente von der Produktentwicklung über die klinischen Phasen bis hin zur Zulassung und weltweiten Marktversorgung. Unternehmen suchen ja immer nach einem „Purpose“, dem Sinn und der Relevanz des Unternehmens, und ich glaube, den müssen wir nicht erfinden, der ist bei uns offensichtlich. Heute existieren Krebsmedikamente, die die Mortalität um die Hälfte senken, das ist ein enormer Schritt und kann vielen Patienten Hoffnung geben. Wir können die Lebensumstände für einen Rheumatiker deutlich zum Positiven verändern. Deshalb ist unser Markenkern mit der Aussage „rely on us“, „Auf uns ist Verlass“, bestens umschrieben. Daraus ergibt sich unser ökonomischer Erfolg. Ich kenne das Unternehmen, seit es 138 Millionen Euro Umsatz im Jahr gemacht hat. Im letzten Jahr haben wir die Milliarde geknackt, rein durch organisches Wachstum, ohne Zukauf anderer Unternehmen.
Welche Krankheitsbilder behandeln Ihre Produkte?
Ich kann da Kinderalzheimer nennen, das mittlerweile mit guten Erfolgen behandelt werden kann, wir füllen Wirkstoffe gegen Morbus Crohn, rheumatoide Arthritis oder Krebs ab, wir stellen führende Produkte her, die gegen Makula-Degeneration, eine Erkrankung der Netzhaut, eingesetzt werden. Diese Produkte sind von der Konsistenz her so zähflüssig wie Honig. Es muss auf den Tropfen genau dosiert sein. Es dürfen keine Partikel auftauchen und es muss steril sein, das versteht sich von selbst. Das sind die hochtechnisierten Anforderungen, und das ist Teil der sinnstiftenden Arbeit für Patienten, von der ich sprach. Wir sind integraler Teil der Versorgungskette in der Medizin, mit Technologien, die andere nicht so gut beherrschen. Wir wissen, wie wir mit Molekülen umgehen, wie wir genau dosieren und absolut steril herstellen. Als Vergleich: Im vergangenen Jahr wurden von der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA insgesamt 43 neue Medikamente zugelassen, acht davon mit Unterstützung von Vetter.
Wo befinden sich Ihre Kernmärkte?
Der Hauptmarkt für uns befindet sich in den USA. Dort finden wir die Unternehmen, die hochwertige Biopharmazeutika herstellen und die weltweit führend sind. Dort wird auch am meisten Geld für Pharmazeutika pro Kopf ausgegeben. Dieses Geschäft macht für uns zirka 50 Prozent des Umsatzes aus. Für 35 Prozent ist das europäische Geschäft verantwortlich, etwa 15 Prozent der asiatisch-pazifische Raum. Auch dort sind wir in den fortschrittlichen Märkten, in denen hochentwickelte Präparate verkauft werden: in Japan, Korea, einige wenige in Indien und China. Unternehmen aus Indien und China wollen ihre Produkte oftmals nach Europa oder in die USA vermarkten und brauchen ein entsprechend akkreditiertes Unternehmen, das die Zulassungsverfahren dort versteht, das heißt, hier gehen wir mit diesen Firmen einen umgekehrten Weg als sonst.
Sie gelten deswegen als ein deutsches Unternehmen, das in seinem Marktsegment zu den weltweit führenden gehört. Ein „Hidden Champion“. Was hat sie dorthin gebracht?
Unser hochmotiviertes und engagiertes Team. 43.000 Menschen in Deutschland produzieren laut dem Institut der Deutschen Wirtschaft direkt Pharmazeutika, das heißt, etwa zehn Prozent dieser Menschen arbeiten in unserer Produktion. Viele unserer Mitarbeitenden haben bei uns schon ihr 20-, 30- oder 40-jähriges Firmenjubiläum gefeiert. Die Mannschaft beherrscht unsere hochkomplexen Prozesse. Weil wir wachsen, ergeben sich für diese natürlich gute Chancen, nicht nur für Akademiker, sondern auch für die wichtigen sogenannten Blue-Collar-Mitarbeiter im Werk. Wir sind die letzten Jahre betrachtet in der Regel zweistellig gewachsen, mit weiter guten Aussichten. Daher wissen wir: Wir sind im richtigen Marktsegment unterwegs, beherrschen unsere Technologien auf einem sehr hohen Niveau. Das ist der Grund, warum Kunden, vom Großunternehmen bis hin zum Startup, immer wieder mit Folgeaufträgen auf uns zukommen. Daher bauen wir vorausschauend weitere Kapazitäten auf, um diese Aufträge bedienen zu können, und wollen auch einen Standort im Saarland entwickeln.
Das neue Werk soll ab 2030 laufen – was gibt es bis dahin noch zu tun?

Im Saarland sind wir auf einem guten Weg, ein paar Details sind noch auszuhandeln. Dazu gehört beispielsweise die Übergangszeit, Unterstützung bei der Transformation von Arbeitsplätzen, Qualifizierung von Arbeitskräften. Aber ich bin mir sicher, wir werden uns dahingehend mit dem Land einigen. Es braucht von da an ungefähr fünf bis sechs Jahre, bis das Werk anläuft. Wir sprechen hier von den Gebäuden, den Anlagen, hochreinem Wasser, Klimaanlagen, Druckluftanlagen. Dann müssen die Anlagen validiert werden. In einem nächsten Schritt wird das erste Medikament produziert und der Kunde schaut, dass es stabil ist und keine Wechselwirkungen zwischen Wirkstoff und Verpackung auftreten. Auch weltweite Zulassungsbehörden müssen den Standort mit den Anlagen noch abnehmen. Alles soll mit dem Spatenstich irgendwann im Spätsommer oder Frühherbst 2025 beginnen, aber bis wir richtig loslegen können, gehen dann noch gut fünf Jahre ins Land.
Warum gerade das Saarland, warum gerade dieses Gelände des Fordwerks?
Der ursprüngliche Plan war ein anderer. Wir hatten uns überlegt, in den USA auf einem unserer Grundstücke in Illinois eine pharmazeutische Produktion aufzubauen. Unsere Pläne schauen zehn Jahre in die Zukunft, prognostizieren, was wir an Kapazitäten brauchen werden, denn wir haben auch entsprechend langjährige Verträge mit Kunden. 2023 haben wir also Generalunternehmer in den USA angesprochen, die uns ein Angebot machen sollten. Diese waren extrem teuer und lagen deutlich über dem, was wir investieren konnten. Das liegt an der Inflation, an teureren Rohstoffen, am Inflation Reduction Act von Präsident Biden. US-Produktionen sollen wieder zurück ins Heimatland geholt werden, auch das verteuert natürlich das Bauen. Wir hätten es trotzdem machen können, aber es wäre nicht nachhaltig und nicht der richtige Schritt für uns gewesen. Wir wussten, wir brauchen 2030 neue Kapazitäten. Wo also können wir diese finden? Hier in unserer Region um Ravensburg arbeiten viele Menschen schon für Vetter, sprich dort eine Vielzahl neuer Fachkräfte zu finden wird immer schwieriger. Wir bauen auch hier noch 1500 Fachkräfte auf, teilweise zusätzlich und teilweise nach und nach als altersbedingter Ersatz. Nochmals ein neues Werk mit der gleichen Kapazität zu bauen macht also die Sache nicht einfacher. Auch die Suche nach entsprechend großen Industrieflächen ist hier nahezu unmöglich. Schon jetzt investieren wir in der Region Bodensee-Oberschwaben rund 800 Millionen Euro in fünf neue Reinräume mit Lagerkapazitäten und Laboren. Um die Kosten beherrschbar zu halten, haben wir im Umfeld von sechs Lkw-Fahrstunden rund um Ravensburg geschaut. Das ist die Zeit, die man einplanen kann, um in einer Lkw-Fahrschicht mit Be- und Entladen vom Produktionswerk zum Zentrallager zu fahren.

Aber Sie haben bereits eine Erweiterung vor Augen?
Ja, unsere Überlegung ist, dass wir im ersten Schritt im Saarland ein Produktionsgebäude mit mehreren Produktionslinien bauen; kein großes Lager, keine großen Laboratorien, die Kontrolle der Produktion erfolgt also erstmal großteils weiterhin hier in unserer Stammregion. Fahren die Linien im Saarland an und bauen sich die Schichtmodelle auf, können wir uns etwas später überlegen, auch ein neues Lager mit optischer Endkontrolle aufzubauen. Also all die Services, die wir derzeit rund um Ravensburg vorhalten. Nur brauchen wir nicht alles von Tag eins an. Aber ein großer Vorteil ist: Wir haben das erste Mal in der Firmengeschichte die Möglichkeit, alles für unsere Prozesse notwendige an einem Standort, auf einem Campus zusammenzufassen.
Welche Rolle spielen die Arbeitskräfte?
Wir haben kaum eine Region gefunden, die entsprechendes Potenzial an Fachkräften bietet und gleichzeitig genügend Fläche für unser Vorhaben. Nicht in Österreich, nicht in Baden-Württemberg oder Bayern. Außer im Saarland. Die Landesregierung hat das von Stunde eins an ernst genommen und sich sehr intensiv und professionell darum gekümmert. Das hat uns überzeugt.
Es floss jedoch kein Geld vom Land für diese Ansiedlung?
Nein. Was wir möglicherweise bekommen werden, sind Landeszuschüsse für Umschulungen und Weiterqualifizierungen von ehemaligen Ford-Mitarbeitern oder Zulieferern. Aber: Was wir an Subventionen bekommen würden, wäre ohnehin nur im einstelligen Prozent-Bereich verglichen mit dem Geld, das Vetter benötigt, um den Standort zu etablieren. Das ist für uns kein treibender Faktor. Wenn es aber darum geht, qualifizierte Arbeitskräfte zu bekommen, bevor die Menschen in die Arbeitslosigkeit fallen, ist es für alle Beteiligten wertvoller, wenn eine Umschulung unterstützt wird.
Wie hoch ist das Investment von Vetter insgesamt?

Die Planungsphase läuft noch, aber wir sprechen hier von mehreren hundert Millionen Euro. Unterhalb dieser Größenordnung lohnt es sich nicht anzufangen. Es kommt natürlich dabei auch darauf an, welche Linien in dem Werk schlussendlich produzieren, sprich auf Kundenaufträge, die diese Linien auslasten. Daher sind die Angaben in diesem frühen Stadium noch etwas vage.
Wir sehen in der Pharmabranche derzeit massive Konsolidierungsbewegungen und Aufkäufe. Wohin bewegt sich Vetter, um in einem solchen Marktumfeld seine Unabhängigkeit zu behaupten?
Unser Markt ist erfreulicherweise noch positiver für uns geworden. Der dänische Hersteller Novo Nordisk, der die mittlerweile berühmte Abnehmspritze entwickelt hat, kauft beispielsweise unseren Konkurrenten Catalent auf. Viele Milliarden Dollar fließen dabei ins „Fill-Finish“, also in das Abfüllen, was auch unser Kerngeschäft ist. Das heißt, diese Kapazität fällt für den Markt weg und schon jetzt erhalten wir Anfragen von Catalent-Kunden. Geopolitische Spannungen führen dazu, dass beispielsweise die USA verhindern wollen, dass Daten aus ihrer pharmazeutischen Produktion nach China abfließen. Wir erleben also, dass der Markt für die Medikamentenherstellung eher enger wird. Es ist also für uns eine kontrollierte Offensive, ohne uns zu übernehmen. Es gibt die Chance im Saarland einen neuen Standort zu bauen, der modular erweiterbar ist. Daher sehe ich der Zukunft von Vetter voller Tatendrang und sehr positiv entgegen.