Hansi Flick ist Trainer des FC Barcelona. Das kam überraschend und sieht immer noch befremdlich aus. Die Hoffnungen ruhen auf einem Teenager.
Am 10. Juli setzte Hansi Flick seinen ersten Schritt als Trainer auf den Platz des FC Barcelona. Seitdem ist viel passiert. „Es ist unglaublich, was wir hier erleben. Jeder zeigt uns Respekt“, sagte er. Er sei begeistert vom Verein, von der Qualität der Spieler und der Nachwuchsförderung, sagte der Ex-Bundestrainer. Trotz der zweifellos hohen Qualität im Kader hofft Flick, der monatelang auf Ronald Araujo verzichten muss, aber noch auf den ein oder anderen Neuzugang. „Wir müssen einen Spieler holen, der Spiele gewinnen kann“, stellt Flick Forderungen an seinen bekanntlich klammen Klub. Gemeinsam mit Sportdirektor und Vereinslegende Deco wolle Flick „die Qualität der Mannschaft steigern – und das ist das Wichtigste“. Dafür wären aber millionenschwere Transfers nötig; Dani Olmo von RB Leipzig sowie der bei der EM überragende Nico Williams sind im Gespräch. Wie Barça diese Verpflichtungen stemmen will, ist bisher nicht überliefert. Doch auch ohne Neuzugänge ist Flick fürs Erste begeistert von seinem neuen Verein: „Ich spüre vom ersten Tag an die Leidenschaft der Menschen. Der Fans. Von allen“, so Flick, der bei allen Mitarbeitern der Katalanen die „Leidenschaft und Hingabe“ spürt. Genau diese Tugenden will auch er mit seinem Trainerteam vorleben: „Wir wollen alles geben, was wir haben, um diesen Verein auf die nächste Stufe zu heben. Wir werden unser Bestes geben“, versprach Flick.
„Wir werden unser Bestes geben“
Für den gescheiterten Bundestrainer und vormaligen Sextuple-Sieger des FC Bayern ist der Posten bei den Katalanen eine große Auszeichnung. Flick träumte schon vor vielen Jahren davon, auf der Bank zu sitzen, wo einst Johan Cruyff oder Pep Guardiola Platz genommen haben. Flick erzählt dazu in einem ersten großen Interview gegenüber Klubmedien von Barça eine Anekdote. „Ich hatte mehr als 20 Jahre ein Sportgeschäft, und weil ich die besten Verkaufszahlen für Teamsportprodukte in Deutschland hatte, wurde ich von Nike immer wieder eingeladen. Wir wurden auch mal für ein Spiel hier in Barcelona eingeladen. Ich saß auf der Tribüne und sagte mir: Eines Tages möchte ich hier Trainer sein. Es war unglaublich.“ Nach Angaben des Klubs handelte es sich um eine Partie zwischen Barça und dem FC Getafe am 21. März 2006, die die Katalanen im heimischen Camp Nou mit 3:1 für sich entschieden. Samuel Eto‘o erzielte einen Doppelpack, zudem profitierten die Blaugrana von einem Eigentor der Mannschaft des deutschen Trainers Bernd Schuster.
Flicks Traum wurde wahr
„Ich habe gesagt: Eines Tages will ich hier trainieren. Und das habe ich geschafft“, sagt Hansi Flick mit Stolz. Er war bei seinem Besuch in Barcelona 41 Jahre alt, konnte sich nach dem Abschied vom Trainerposten bei der TSG Hoffenheim auf sein Sportgeschäft in Bammental konzentrieren. Im Sommer 2006 sollte Flick bei RB Salzburg anheuern, um Co-Trainer von Giovanni Trapattoni zu werden, allerdings folgte schon nach wenigen Wochen der Ruf des DFB, wo Flick wichtigster Assistent des späteren Weltmeistertrainers Joachim Löw wurde. Im Hinterkopf blieb aber stets der Traum vom FC Barcelona, wie Flick erklärt: „Als ich mich für eine Trainerkarriere entschieden habe, habe ich immer an Barça gedacht. Barça hat immer fantastischen Fußball gespielt, immer die Spieler weiterentwickelt. Aber es ist auch die Leidenschaft, die man hier spüren kann.“
Um seinen Ruf wieder aufzupolieren, stehen ihm im Kader des FC Barcelona einige herausragende Spieler zur Verfügung. Neben alten Hasen wie İlkay Gündoğan oder Robert Lewandowski kann Flick im Hinblick auf junge Supertalente aus dem Vollen schöpfen: Gavi, Pedri, Yamal – um nur drei zu nennen – sind ein Segen für jeden Trainer. Im Interview mit „Barca TV“ zeigte Flick seine Begeisterung und versprach ein Offensivspektakel. „Wir wollen immer aktiv sein. Es ist sehr wichtig zu agieren. Egal, ob wir den Ball haben oder nicht.“ Das schönste Versprechen an die Spieler: Flick will seine Ausnahmekönner nicht in ein Korsett zwängen. „Wenn wir den Ball haben, muss sich jeder Spieler frei fühlen, sein Bestes zu geben.“ Das hört man in Barcelona ebenso gerne wie die Lobeshymnen auf die katalonischen Fans. „Die Leidenschaft, die die Menschen hier haben. Die Fans, der Präsident, jeder, der hier für den Klub arbeitet. Wir wollen alles geben, um diesen Verein auf die nächste Stufe zu bringen.“ Der frühere Bayern-Coach versprach zudem, noch mehr Talente aus Barças Jugendakademie in den Profikader zu integrieren. „Was ich in den ersten Einheiten gesehen habe, ist unglaublich“, schwärmte er. „Ich muss La Masia danken. Die Art und Weise, wie dort Spieler entwickelt werden, ist unglaublich.“ In der Regel sinke die Qualität, wenn Stammspieler durch junge Talente ersetzt werden, in Barcelona sei das nicht der Fall.
Das beste Beispiel und die wahrscheinlich größte Waffe Flicks ist Lamine Yamal. Yamal ist erst 16 Jahre alt. Das muss man immer wieder betonen bei diesem Jungen, der gerade die Fußballwelt verzückt. So jung, dass er zu Beginn der Europameisterschaft nebenbei noch Online-Schulunterricht besuchen musste und Debatten lostrat, ob der deutsche Arbeitsschutz einen Einsatz so spät noch zulässt. So jung, dass Reporter aus Barcelona fragten, ob solche Partien nicht zu groß für ihn seien und man ihn nicht ein wenig schützen solle. Schließlich hat der FC Barcelona mit dem verletzten Pedri und Gavi, der das Turnier mit einem Kreuzbandriss verpasste, aktuell zwei Wunderkinder, die für ihre Körper womöglich etwas zu früh in das Haifischbecken Profifußball geschmissen wurden. In der Heimat wird das Jahrhunderttalent der Spanier als „Geschenk Gottes mit Zahnspange“ gefeiert.
Wie lange bleibt Yamal?
Nur logisch, dass die Berater weltweit frühzeitig das große Geschäft mit dem Offensivspieler witterten. Das Rennen machte am Ende der portugiesische Star-Agent Jorge Mendes, der unter anderem Weltstar Cristiano Ronaldo berät, mit einem unmoralischen Angebot. Obwohl Lamine Yamal erst 15 Jahre alt war und zu diesem Zeitpunkt erst ein Spiel bei den Profis absolviert hatte, bot er den Eltern des Supertalents im April 2023 eine Wechsel-Prämie von 2,5 Millionen Euro. Denn bis dahin hatte Ex-Barça-Profi Iván de la Peña den Teenager beraten und gefördert. Der Familie von Lamine Yamal war es egal, sie übergab Mendes das Mandat – und der will aus dem jungen Spanier einen zweiten Ronaldo machen. Der Plan scheint aufzugehen. Lamine Yamal ist der jüngste Torschütze der EM-Geschichte und steht vor einer ganz großen Zukunft. Darum ließ Barça bei der Verlängerung im Herbst 2023 aus Schutz vor Abwerbungsversuchen eine Ausstiegsklausel in Höhe von einer Milliarde Euro in den Vertrag schreiben. Yamals Arbeitspapier läuft bis 2026, doch die Katalanen wollen den Kontrakt nach seiner überragenden Europameisterschaft so schnell wie möglich vorzeitig verlängern. Zum einen, um Lamine Yamals Top-Leistungen mit einem deutlich höheren Gehalt zu honorieren. Bisher bekommt er 1,6 Millionen Euro im Jahr. Zum anderen haben die Verantwortlichen Angst, Lamine Yamal an den Erzrivalen Real Madrid zu verlieren. Denn Mendes hat glänzende Kontakte zum Champions-League-Sieger, vor allem zu Klub-Boss Florentino Pérez. In zwei Jahren wäre Lamine Yamal – wie in diesem Sommer Frankreichs Weltstar Kylian Mbappé – ablösefrei zu bekommen. Darum ist Barcelonas Präsident Joan Laporta nicht erfreut darüber, dass nun Lamine Yamal zu Mendes’ Klienten zählt. Auch dass dessen Eltern auch noch Fans von Real sein sollen, dürfte Laporta Sorge bereiten.
In diesem Jahr wird Hansi Flick jedoch in jedem Fall auf den Ausnahmespieler zurückgreifen können. Flick hat es nun selbst in der Hand, ob er weiterhin mit Graugänsen oder wieder mit Titeln in Verbindung gebracht wird – die Möglichkeiten seinen Ruf zu retten sind gegeben.