Transporter und Pkw kann ja jeder! Harald Kreutzer zieht um. Er und seine Helfer setzen dabei aber ausschließlich auf Lastenräder und Anhänger. Damit will der Saarbrücker auch ein Zeichen setzen.
Auf dem Thermometer stehen 35 Grad Celsius. Schatten gibt es auf dem großen Vorhof wenig. „Ich habe nicht damit gerechnet, dass heute der heißeste Tag des Jahres ist“, sagt Harald Kreutzer mit einem Lachen. Das hat er aber noch nicht verloren, im Gegenteil. „Es ist für mich ein kleiner Traum gewesen, einmal einen kompletten Umzug mit dem Lastenfahrrad zu machen.“ Ein sehr spezieller Traum – oder? „Ich bin ja schon seit vielen Jahren im Nachhaltigkeitsbereich aktiv“, erklärt Kreutzer, der beim Verein Weltveränderer beschäftigt und im Saarbrücker Haus der globalen Nachhaltigkeit ehrenamtlich engagiert ist. „Dort machen wir auch viele Aktionen zum Thema Mobilität.“ Nicht zuletzt auch, weil er als leidenschaftlicher Radfahrer und Vater schnell selbst merken musste, dass das Radfahren gerade für die Kleinen teilweise sehr gefährlich sein kann. „Als mein Sohn mit dem Radfahren anfing“, erinnert er sich, „war da schon dieses Verlangen, etwas für ihn und seine Generation zu erreichen“.
Aus Fahrraddemos und anderen Veranstaltungen rund ums Rad wuchs aber auch die Experimentierfreude in ihm. „Ich habe dann irgendwann angefangen, ein paar Sachen auszuprobieren und somit auch nachhaltiger zu gestalten“, erzählt der Saarbrücker. Transporte mit dem Lastenfahrrad sind ihm also durchaus nicht neu. „Wir“, sagt er und meint damit das Team vom Haus der Nachhaltigkeit, „haben zum Beispiel auch unsere Büroschränke auf dem Rad transportiert. Die hatten durchaus ihr Gewicht und haben auf dem Anhänger ganz schön gerumpelt, gerade auch, wenn man über ein Schlagloch fährt.“
Schon lange ein Traum von ihm
Ein ganzer Umzug ist aber auch für ihn erst einmal Neuland. „Ich wollte das bereits bei meinem letzten Umzug gerne machen, aber da hat die Zeit ziemlich gedrängt“, sagt er. Das ist dieses Mal anders. Zwar habe er nun einen Monat lang doppelte Mietkosten, muss sich aber dafür nicht hetzen. „Das ist für mich sehr angenehm, weil ich mir Zeit lassen kann.“ Rund 20 Touren ist er bereits gefahren und hat Hausrat und Kisten von A nach B gebracht. Die meisten dieser Touren hat er mit seinem Arbeitsweg verbunden.
Ein bisschen hektisch soll es am Ende dann aber dennoch werden. Denn die großen Gerätschaften und sperrigen Möbel, die sind heute dran. Allein ist er dabei nicht. Acht weitere Fahrradfreunde haben sich trotz praller Julihitze zusammengefunden. Nicht einer hat ein Auto dabei. Lastenräder, Fahrradanhänger, sogar eine Rikscha, auf der eigentlich zwei Personen auf einer gemütlichen Bank mit Sonnensegel kutschiert werden können, parken vor dem Haus, zu dem Harald Kreutzer diesen Monat die Schlüssel abgeben wird. Drei der Helfer tragen gerade eine große Waschmaschine die Treppe runter und stellen sie auf das Lastenrad, das Kreutzer gehört. „Waschmaschine und Kühltruhe?“, fragt er, im ersten Moment etwas entgeistert und blickt auf die große Gefrierkombi, die bereits auf dem Anhänger hinter seinem Rad festgezurrt ist. Einmal tief durchatmen. „Ok“, sagt er und der kurze Anflug von Zweifel scheint sofort wieder im Keim erstickt. „Ich hab da schon Respekt vor“, sagt er. „Wenn die Waschmaschine ins Kippen kommt, dann wäre das nicht so schön.“
Auch die anderen Räder werden bis ans Limit beladen. Auf einem Anhänger liegt ein Schrank, um den Platz auszufüllen, ist die offene Seite mit Kisten und Kissen befüllt. Das Sofa – glücklicherweise in drei Teilen – liegt mit einer Seite noch über dem Regal. Die beiden anderen Teile sind auf einem der anderen Räder untergekommen. Auch auf der Sitzfläche der Rikscha haben nun hoch gestapelte Kisten Platz genommen. Auf dem Podest, das eigentlich für Füße gedacht ist, steht ein weiterer vollgepackter Schrank. Einer der Helfer schwingt sich kurz auf den Sattel seines bepackten Drahtesels und fährt ein Stück vor. „Erst mal schauen, ob ich so noch lenken kann“, sagt er. Scheint zu klappen. Zufrieden steigt er ab. Die ersten vorbeiziehenden Passanten werfen bereits neugierige Blicke auf die teils abenteuerlich-tetrisartig bepackten Gefährte.
So langsam sind die größten Teile verpackt. „Das ist immer das Nervigste an einem Umzug“, sagt Kreutzer, eine letzte Kiste in den Händen. „Jetzt kommt der für mich angenehme Teil.“ Die Freude ist ihm anzusehen und auch seine fleißigen Helfer scheinen bereits auf das Abenteuer Fahrrad-Umzug hinzufiebern. Geplant ist heute nur diese eine Fahrt, für alles andere ist es auch einfach zu heiß. „Es ist zwar von der Strecke her gar nicht so weit, aber wir müssen teilweise Umwege fahren“, sagt Kreutzer. Denn zu steile Berge oder Engstellen können sie mit den vollbepackten Lastenrädern nicht befahren. Das alles ist Teil der Vorplanung. „Ich würde nicht sagen, dass ein Umzug mit dem Lastenrad schwieriger zu planen ist“, sagt er, „aber es ist eben anders zu planen. Nicht alle Stellen können befahren werden, man muss planen, was man auf das Rad packen kann. Ich habe da schon Vorerfahrung, aber ich kann mir vorstellen, dass da bei einem Anfänger gewisse Berührungsängste herrschen.“ Genau diesen will Kreutzer mit der Aktion aber auch entgegenwirken: „Ich will den Leuten zeigen, was möglich ist und sie auch ein Stück weit inspirieren.“
„Der für mich angenehme Teil“
Doch dafür müssen auch die geeigneten Rahmenbedingungen geschaffen werden, bemängelt er. „Ich habe einen Lastenfahrradanhänger, aber es gibt zum Beispiel keinen, den man sich bei der Stadt leihen könnte“, sagt er. Etwa 1.000 Euro koste ein solcher Anhänger. „Das ist dann am Ende einfach teurer, als wenn ich einen Transporter miete. Da wägen die Leute dann ab.“ Aber ist das auch wirklich etwas für jedermann? „Es kommt ein bisschen darauf an, wie viel Ausstattung jemand hat“, sagt Kreutzer. „Da spielt auch ein wenig dieser Nachhaltigkeitsgedanke mit. Ich hatte früher auch große Kleiderschränke. Die hatten mich bei meinem letzten Umzug mit dem Auto schon wegen ihrer Sperrigkeit genervt. Aber das ist die Entwicklung: Alles muss größer sein. Die Schränke, die Autos, alles. Ich habe alles, was ich habe, stark reduziert.“ Zudem müsse man mehr Zeit einplanen, doch am Ende sei es „nicht so schwer“: „Die meisten Möbel kann man ja klein genug auseinanderschrauben, damit sie auf einen Anhänger passen. Wenn man erst mal mit kleinen Sachen anfängt, kann man langsam ein Gefühl für das Rad entwickeln und sich so an die größeren Gegenstände rantasten, um sich am Ende nicht stressen zu müssen.“
Apropos stressen: Der Fahrrad-Korso hat sich langsam in einer Reihe eingefunden und ist abfahrbereit. Hinter ihnen stehen bereits zwei Pkws, die in der engen Straße keine Chance haben, an den Rädern vorbeizufahren. In der Stadt selbst werden es noch mehr Autos werden, die hinter der Umzugsgesellschaft langsam machen müssen. „Natürlich ist das teilweise ein bisschen unangenehm, wenn man den Verkehr hinter sich hat“, weiß auch Kreutzer. „Aber da muss man einfach drüber stehen. Man darf sich da echt nicht verrückt machen lassen. Dann müssen die Leute halt einfach mal warten.“
Harald Kreutzer fährt voran. Er selbst bekommt nur wenig von den Verkehrsteilnehmern hinter sich mit. Sehr wohl aber von den Passanten, die teils begeistert die Smartphones zum Fotografieren heben. Hier und da reckt einer den Daumen nach oben. Irgendwo verständlich für Kreutzer: „Das ist ja auch ein ungewöhnlicher Aufzug“, sagt er. „Ich weiß nicht, ob es das so schon mal gegeben hat.“
Postives Feedback auf der Straße
Alles in allem sei die Reaktion, auch von den anderen Verkehrsteilnehmern, wie die Helfer am Ende der Fahrradkette berichten, durchweg positiv gewesen. Als sie vor der neuen Heimat Kreutzers ankommen, wirkt die Gruppe zufrieden. Er sogar noch ein bisschen mehr als seine Freunde, die selbst die drückende Hitze nicht abgeschreckt hat. „Alles hat reibungslos funktioniert“, sagt er, auch wenn ihm ein bisschen die Lunge brenne. „Das kommt aber denke ich nicht vom Radfahren, sondern ich habe die Autoabgase in Verdacht. Wir sind teilweise durch echt stark befahrene Verkehrsknotenpunkte gefahren.“ Sogar die Kombi aus Waschmaschine und Gefriertruhe hielt: „Gerade die Waschmaschine hat zwar ordentlich Gewicht, aber der Schwerpunkt ist ziemlich tief, dann passiert da in der Regel nichts“, erklärt er.
Die alles entscheidende Frage: Würde er es nochmal tun? „Ja“, sagt er entschlossen. „Das hängt natürlich auch immer etwas mit den Rahmenbedingungen zusammen. Ich würde jetzt nicht mit dem Lastenfahrrad von Saarbrücken nach Hamburg ziehen. Aber ich finde, solche Aktionen bieten sich auch immer dazu an, zu schauen, welche Dinge man wirklich braucht und welche man einfach nur mit sich mitschleppt. Das fällt auf dem Rad nochmal mehr ins Gewicht als in einem Auto.“
Nun geht es für Kreutzer ans Abladen und Auspacken. Auch sein neuer Nachbar hat sich in die Runde gesellt und greift fleißig mit an. Herzlicher kann man kaum willkommen geheißen werden. Und Eindruck hat der Fahrrad-Möbelpacker ganz bestimmt hinterlassen. Nicht nur bei den Nachbarn.