Die HomBuch findet unter dem Motto „Besondere Begegnungen“ vom 2. bis zum 8. September statt. Weltstar Ute Lemper tritt demnächst im Homburger Kulturzentrum Saalbau auf.

Frau Lemper, Sie traten in New York am Broadway auf und sollten auch einmal ein Bond-Girl spielen. Wieso haben Sie diese spektakuläre Rolle abgelehnt?
Das war Mitte der 1990er in Paris, als ich mit meiner Tochter schwanger war und bereits einen kleinen Sohn hatte. Diese Rolle wäre für mich nicht möglich gewesen, da sie eine tierische körperliche Aufgabe bedeutete. Ich habe es zwar bedauert, aber ich habe damals ein viel schöneres Geschenk bekommen, das ist meine Tochter. Ich leide immer sehr unter den Trennungen von meinen Kindern, auch jetzt wieder. Furchtbar! Aber es sind zum Glück immer nur kurze Zeiten.
Sie erzählen in Ihrer Autobiografie „Die Zeitreisende“ von Tourneen, die Sie unter Schmerzen absolvieren mussten. Sind seelisches und körperliches Leid ein Nebeneffekt Ihres Berufes?
Sie meinen die Trennung von den Kindern. Viele Künstler haben ja keine Kinder und sind freie Vögel. Die kennen diese Leiden nicht. Ich kann mir gar nicht vorstellen, durch die Welt zu wandern ohne Familie und alle Jobs anzunehmen, die an mich herangetragen werden. Das Zentrum meines Lebens aber ist für mich die Innigkeit, die ich mit meinen Kindern und meiner Familie fühle. Der Ruhepol und die unendliche Quelle an Liebe. Das hat mich wachsen lassen.
Sie wurden 1990 von Roger Waters als einzige deutsche Künstlerin zu seinem legendären „The Wall“-Konzert am Potsdamer Platz eingeladen. Wie kam es dazu?
Im Sommer 1990 nach dem Fall der Mauer war ich in Amerika und England schon sehr bekannt, hatte mit Michael Nyman und Peter Greenaway gearbeitet. Roger Waters hat mich ausgewählt als in der Welt bekannte deutsche Künstlerin.
Bei Ihrem Duett mit Waters fiel der Strom aus, dann wären Sie beinahe von einem Gerüst gestürzt. Wie oft erleben Sie solch gefährliche Situationen?
Sehr, sehr selten. Das war wirklich unglaublich. Man muss es selbst lesen, um da hineinzusteigen. Ich kann es nicht in Worten ausdrücken, da ich es sehr poetisch geschrieben habe. Darüber zu reden würde es nur platt machen.
Sie beschreiben auch ein ausführliches Telefonat, das Sie als junge Künstlerin mit der 87-jährigen Marlene Dietrich führten. Die Dietrich war ja eine aktive Hitlergegnerin.
Marlene war eine sehr gebildete, hoch emanzipierte Frau, die überall mitgeredet hat. Sie wurde von Staatsmännern, Philosophen und Schriftstellern respektiert. Sie entschied sich während des Zweiten Weltkriegs sehr mutig dazu, die US-Soldaten an der Front über 18 Monate zu unterhalten. Das muss ein Künstler erst einmal nachmachen! Dass sie dafür in der Nachkriegszeit für immer und ewig ihre Heimat in Deutschland verloren hatte, war tragisch. Diese große Geschichte muss immer wieder erzählt werden. Und das tue ich mit meinem Programm „Rendezvous mit Marlene“. Dieses Telefongespräch war hoch inspirierend. Ich habe damals wirklich einen Hauch von ihrer Seele mitbekommen. Das ist mir Dekaden später so richtig bewusst geworden, als ich mich da noch einmal hineinkatapultiert habe, um die Tragik zu begreifen, die in ihrer Stimme und ihrer Einsamkeit lag.
Wie kommt es, dass Sie sich noch so genau an dieses Gespräch erinnern?
Viele Details habe ich recherchiert und zu einer Geschichte zusammengesetzt. Hilfreich war auch, dass ich in den 1980er Jahren den Regisseur Billie Wilder in Los Angeles kennenlernen durfte. Ich habe Bücher über Marlene gelesen. Aber die Stimmung des Gesprächs war noch ganz klar in meiner Erinnerung. Kleben geblieben sind auch einzelne Wörter, Rilke-Zitate und immer wieder der Satz „Die wollen mich doch nicht zurück“. Diese Melancholie und Bitterkeit. So hat sie wirklich gesprochen.
Sie schreiben, dass Sie seit Beginn Ihrer Karriere als „deutsche Botschafterin“ quasi gezwungen seien zum Dialog über das Thema Nazi-Deutschland. Welche Fragen werden Ihnen diesbezüglich immer wieder gestellt?
Durch meine Kurt-Weill-Platten, die in den 1980er Jahren weltweit sehr erfolgreich waren, wurde ich zu einer Botschafterin für die Musik, die vor den Nationalsozialisten kreiert wurde und von ihnen schließlich zerstört wurde. Die meisten der Komponisten waren jüdisch, und somit stand ich als Kalte-Kriegs-Deutsche in Hunderten von Interviews auf der ganzen Welt Rede und Antwort – über diese furchtbare Vergangenheit und vor allen Dingen den Holocaust. Ich bin da zu gar nichts gezwungen worden, sondern es ist eine Mission, die sich durch das Kurt-Weill-Projekt entwickelt hat. Das habe ich gerne angenommen, denn ich fand, dass es da viel zu diskutieren gibt. Dieses große Thema hat mich tief beschäftigt und mir gleichzeitig viele Tränen und viel Verzweiflung abgefordert.
Verspüren Sie als deutsche Künstlerin die Aufgabe, irgendwie mit dem Holocaust-Erbe umzugehen?

Schon immer. Durch diese frühen Plattenaufnahmen ist das Thema zu einem roten Faden in meiner Laufbahn geworden. Ich habe es auch durch andere Projekte aufgegriffen wie die Lieder von jüdischen Gefangenen aus dem Ghetto, die ich singe. Auch das Thema Marlene Dietrich hat viel damit zu tun, da sie gegen Nazi-Deutschland gekämpft hat.
Ihre Liebe zu Israel begann 1991, wo Sie mit Liedern von jüdischen Künstlern mit offenen Armen aufgenommen wurden. Was faszinierte Sie an dem Land?
Die Farben, die goldenen Töne, das Lebensgefühl. Aber am allerwichtigsten war mir die Geschichte. Das Land, das aufgrund des Holocaust entstand und ein Zuhause für jüdische Menschen bedeutete. Die Staatspolitik Israels ist aber im Moment absolut nicht akzeptabel bezüglich des Krieges. Man kann das Land lieben, aber nicht die Staatspolitik. Die Situation ist furchtbar auf beiden Seiten. Im Moment gibt es viele Israelis, die in den Straßen protestieren gegen die Kriegspolitik von Regierungschef Netanjahu. Dass diese weltweit einen Antisemitismus hervorgerufen hat, ist katastrophal. Das zeigt aber auch, wie die Menschen wieder mal polarisieren und verschüttete Vorurteile hervorkramen.
Selbst der Kulturbetrieb ist gezeichnet von dem starken Zerwürfnis wegen des Nahostkonflikts. Warum ist die Polarisierung bei dem Thema so extrem?
Die Menschen sind über Jahrhunderte von verschiedenen religiösen Gemeinden dazu aufgefordert worden, ihre Identität durch diese Exklusivität zu bestimmen. Und das bedeutet gleichzeitig Intoleranz gegenüber den anderen religiösen Gruppen. Dass Antisemitismus in Deutschland nach dem Holocaustverbrechen überhaupt wieder aufkommen kann, ist mir unbegreiflich. In den 1950er, 1960er und 1970er Jahren gab es ja kaum jüdische Menschen in unserem Lande. Woher kommen da diese alten Parolen?
Haben Sie dafür eine Erklärung?
Es ist alles zurückzuführen auf Populismus, Nationalismus, Ungebildetheit. Das dürfte doch bei unserer Bildungsstruktur gar nicht mehr möglich sein. Es ist sehr schwierig, mich dazu zu äußern. Aber Sie wissen sicherlich, dass ich auch in der neuen Fernsehserie „Die Zweiflers“ mitspiele, die im Mai herauskommt.
Die in Cannes preisgekrönte ARD-Serie „Die Zweiflers“ dreht sich um den Holocaust-Überlebenden Symcha Zweifler. Er lebt mit seiner Familie in Frankfurt. Welche Rolle spielen Sie in dem Sechsteiler?
Ich komme nur in den letzten zwei Episoden vor. Ich spiele die Schwester, die nach Amerika ausgewandert ist, weil sie es nicht ausgehalten hat in dieser von der Außenwelt abgeschlossenen jüdischen Gemeinschaft. Es ist praktisch ein Ghetto inmitten der Stadt Frankfurt. Das hat sie traumatisiert. Sie kommt dann zurück für die religiöse Feier Bar Mizwa, wo das Kind beschnitten wird und hat viele verrückte Gespräche. Sie schürt da ein Chaos gegen ihre Schwester.
Sie spielen noch bis Ende des Jahres Konzerte in Deutschland. Wann empfinden Sie Sympathie für Ihr Heimatland?
Immer! Die Menschen hier sind wunderbar, das Publikum auch. Ich glaube, viele finden es sehr gut, dass ich Dinge, die ich empfinde, in Interviews und in meinem Buch sehr direkt ausdrücke. Ich bin fast ein Sprachrohr für meine Generation. Bei der laufenden Tour stelle ich gleichzeitig meine Autobiografie „Die Zeitreisende“ und mein aktuelles Album „Time Traveler“ vor. Meine eigenen Lieder eingebunden in eine Retrospektive meines Lebens. Dieser intensive Abend geht unter die Haut. Und anschließend gehe ich mit dem WDR Funkhaus Orchester auf Tour: Die „Weimar Suite“ und die Eisler-Lieder arrangiert für Sinfonieorchester.
Beobachten Sie ein neues Interesse an diesem geschichtsträchtigen deutschen Kulturgut?
Das ist ein Programm, das der WDR sich überlegt hat, und dem ich zugestimmt habe. Ich persönlich hätte es etwas leichter gestaltet, aber Orchesterprogramme sind immer sehr spezifisch und konzeptionell und oft an großes klassisches Gut angelehnt. Die Eisler-Stücke sind große Lieder der Geschichte, die auch heute noch sehr viel Aussagekraft besitzen. Die von mir zusammengestellte „Weimar-Suite“ singe ich sogar weltweit. Die Kunst der Weimarer Republik ist ja vor 100 Jahren entstanden. Es ist interessant, wie progressiv diese Lieder damals waren. Ich habe gerade in der Carnegie Hall in New York ein Konzert gegeben, das auch Weimar gewidmet war. Da war übrigens auch Max Raabe eingeladen.
Kommen zu Ihren US-Konzerten viele deutschstämmige Amerikaner?
Die meisten sind schon New Yorker, ein sehr gebildetes Publikum bezüglich dieses Liedgutes. New York ist ein Meer an Menschen, die von überall herkommen. Viele sind europäischer Herkunft. Unter anderem singe ich Friedrich Hollaenders „Raus mit den Männern aus dem Reichstag!“ in Englisch. Ich gestalte diese Lieder sehr aktuell, indem ich die zeitgenössische Politik satirisch mit hineinnehme, zum Beispiel hinsichtlich Trump.

Gehören Sie als Musikerin in den USA automatisch zur künstlerischen Opposition von Donald Trump?
Ja natürlich. Künstler sind prädestiniert Demokraten zu sein. Da sie eine progressive, gemeinnützige und weltoffene Politik vertreten, die nicht nur auf privaten opportunistischen wirtschaftlichen Schachzügen basiert. Die Rechte der Frauen und der marginalen Gruppen sowie Bildung als Allgemeinrecht ist wichtig. Eine Ablehnung von Religion in der politischen Struktur, einhergehend mit einer kritischen Beurteilung von nationalistischen Positionen, vom Besitz von Waffen, von Rassismus und Antisemitismus ist kategorisch. Sie vertreten ebenfalls eine humane Immigrationspolitik. Die Demokraten sponsern zusätzlich besser die Kultur. Die Großstädte in Amerika sind ganz klar demokratisch, die abgelegenen Ortschaften und der Bibelgürtel hingegen republikanisch. Es ist eine zweigeteilte Welt. Trump unterstützt die ganze Privatwirtschaft, obwohl er aus der liberalen New Yorker Szene hervorgegangen ist. Ich glaube, er lügt sich selbst an, indem er ständig Hände schüttelt mit den Evangelikalen. Aber es geht ihm vor allem ums Geld.
Barack Obama beschreiben Sie in Ihrem Buch als einen Mann voller Integrität und vernünftigen Wertmaßstäben, der als Präsident für ein progressives, liberales Amerika stand. War er letztendlich ein Irrtum der Geschichte, wird es einen wie ihn nie wieder geben?
Das glaube ich nicht, Obama ist ein Zeugnis der Geschichte. Er hätte so viel mehr machen können, wenn ihm vom Senat nicht die Hände gebunden gewesen wären. Er hatte auf jeden Fall das Herz am rechten Fleck, ist aber in seinem Fortschritt stecken geblieben. Die Bewegung „Black Lives Matter“ hat mehr bewirkt als die Obama-Politik.
Haben Sie beim Nachrichtenschauen manchmal das Gefühl, in einem schlechten Film zu sein?
Ich habe es fast aufgegeben, Fernsehen zu schauen. Das US-TV ist so unwahr, ich kann mir eigentlich nur die BBC News ansehen oder auf Tour ab und zu das deutsche Fernsehen. Ich lehne es ab, wie das US-TV in die Themen oberflächlich hineinsteigt und dadurch gleich wieder polarisiert Politik macht.