Das Saarland will Ernst machen mit Klimaschutz. Per Gesetz sind die Ziele festgelegt. In einem Klimaschutzkonzept sind nun umfangreich und detailliert konkrete Maßnahmen beschrieben. Und das bewusst als „Erster Entwurf“ bezeichnete Konzept löst die erwarteten Kontroversen aus.
Knapp 400 Seiten stark ist das „Klimaschutzkonzept für das Saarland“. Drei Viertel davon sind Tabellen und Erläuterungen. Im Kern steht also auf rund 100 Seiten, wie sich das Saarland die konkrete Umsetzung dessen vorstellt, was als Ziel im Klimaschutzgesetz bereits verabschiedet worden ist.
„Das Saarland kann bei Umsetzung aller Maßnahmen das erste Zwischenziel bis 2030 realistisch erreichen“, steht als Fazit am Schluss des Konzepts. Die Ziele: Bis 2030 die Treibhausgasemissionen um 55 Prozent (im Vergleich zu 1990) zu senken und bis 2045 dann eine CO2-Neutralität zu erreichen.
400 potentielle Einzelmaßnahmen sind in dem Konzept aufgelistet, Grundlagen dafür wurden vom Institut für ZukunftsEnergie- und Stoffstromsysteme (IZES gGmbH) erarbeitet.
In den letzten Wochen hat vor allem ein Satz aus diesem umfangreichen Konzept für eine lebhafte Diskussion gesorgt. Im Kapitel Mobilität ist dort nachzulesen: „Ziel ist es, den Anteil der Wege, die mit dem motorisierten Individualverkehr zurückgelegt werden, auf 40 Prozent zu reduzieren“.
Aus der Formulierung „auf 40 Prozent reduzieren“ wurde flugs eine Debatte nach dem Motto „um 40 Prozent reduzieren“, und kaum war die Schlagzeile in der Welt, hagelte es, wie nicht anders im Autoland Saarland zu erwarten war, heftigste Kritik.
Oliver Luksic, Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium und FDP-Landeschef an der Saar nennt das Konzept „eher ideenarm“. Statt einfach mehr Geld vom Bund zu fordern, müsste das Saarland selbst endlich mehr in den ÖPNV investieren und bereitgestellte Bundesmittel auch abrufen. Damit spielt er offenbar darauf an, dass seit Jahren Fördermittel des Bundes für Fahrradwegeausbau nicht ausgeschöpft wurden.
Die CDU befürwortet zwar im Grundsatz eine Verkehrswende, kritisiert aber, dass es kein ausreichendes Angebot zum Umsteigen gibt. Es gebe keine solide Finanzierungsbasis für den Ausbau etwa von ÖPNV, Radwegen oder On-Demand-Angeboten. Menschen bräuchten aber Angebote und Anreize und keine Verbote. Besonders auf Kritik stößt bei CDU und FDP, was im Klimaschutzkonzept als „Push-Maßnahme“ auftaucht, nämlich „Parkraummanagement und -bewirtschaftung“, was in der Praxis wohl Parkraum-Verknappung und -verteuerung in Städten (und Gemeinden) bedeuten würde.
Die Industrie- und Handelskammer fordert „mehr Realismus“ und warnt vor „ideologiegetriebenem Zwang“. Verkehrswende gelinge sicher nicht, wenn man mit mehr Gebühren und Abgaben droht, sondern nur mit besseren Angeboten. Im Übrigen zweifelt die IHK daran, dass es gelinge, die Nutzerzahlen im ÖPNV zu verdoppeln, alleine weil jetzt schon ein enormer Fachkräftemangel (Busfahrer) besteht, und der lasse sich „auch nicht mit höheren Zuschüssen beseitigen“. Den Fachkräftemangel sehen auch die für den Busverkehr zuständigen Landkreise als eines der großen Hemmnisse, ÖPNV-Angebote auszuweiten.
Zugleich gab es aber auch Zustimmung. Dass es neben einer Förderung des ÖPNV und des Rad- und Fußverkehrs auch Einschränkungen für den Autoverkehr geben müsse, sei eine Selbstverständlichkeit, betont der ADFC im Saarland: „Genau das ist seit mindestens dreißig Jahren Stand der verkehrswissenschaftlichen Diskussion.“
Fridays for Future Saarland betonen: „Diese Ziele wurden in dieser Form von verschiedenen Initiativen lange Zeit eingefordert – dass sie nun im Klimaschutzkonzept stehen, sehen wir auch als einen Erfolg dieses Engagements“. Allerdings handele es sich dabei „keineswegs um zu ambitionierte Ziele, sondern auch um Minimalziele für eine ernstzunehmende Mobilitätswende“. Lebenswerte Städte sind, wie Studien zeigten, nicht durch einen guten Zugang für den Autoverkehr definiert, sondern durch Fußgänger- und Fahrradfreundlichkeit, nahräumliche Erreichbarkeit von Bildungs- und Kultureinrichtungen sowie Daseinsvorsorge, einen guten und günstigen ÖPNV und Zugang zu Grünflächen. „Das wünschen wir uns auch für das Saarland“, sagt Florina Kempf von Fridays for Future Saarland.
2030 als Zwischenetappe
Die Grünen verweisen darauf, dass der Verkehr immer noch ein Hauptverursacher der CO2-Emissionen ist. Die Grünen im Stadtrat der Landeshauptstadt Saarbrücken empfehlen in diesem Zusammenhang, sich ein Beispiel an der Stadt Frankfurt zu nehmen: „Zur Förderung umweltfreundlicher Mobilität und Reduzierung von Luftverschmutzung hat die Stadt Frankfurt ein innovatives Projekt auf den Weg gebracht“. Wer sein Fahrzeug mit Verbrennungs- oder Hybrid-Motor vor maximal drei Monaten veräußert, verschenkt oder verschrottet hat, erhält eine „Umweltprämie“ von 588 Euro, das entspricht ein Jahr Deutschlandticket (12 mal 49 Euro). „Wir sind der Auffassung, dass eine solche Initiative Anreize zur Nutzung des öffentlichen Nahverkehrs setzt und dabei zur Verbesserung des Klimas und damit der Lebensqualität beiträgt. Daher setzen wir uns dafür ein, dass im Saarland und insbesondere im Oberzentrum Saarbrücken eine Umweltprämie nach dem Vorbild Frankfurts eingeführt wird”, erklären der verkehrspolitische Sprecher, José Ignacio Rodriguez Maicas und der Stadtverordnete Roland Fecht.
Das zuständige Umwelt- und Verkehrsministerium ordnete die Zahlen zur saarländischen Verkehrswende später nochmal neu ein, verweist darauf, dass es sich nicht um eine Reduzierung „um 40 Prozent“, sondern das Ziel „auf 40 Prozent“ handele. Als Bezugsgröße sieht das Ministerium nicht die in einer Studie festgestellten gut 70 Prozent (am Gesamtverkehrsaufkommen), die Verkehrsteilnehmende mit Auto oder Motorrad unterwegs sind, was im Übrigen der höchste Wert im Vergleich der Bundesländer ist. Berücksichtigt man nämlich die Zahl der Mitfahrer, ergibt sich am Schluss ein Anteil von 55 Prozent Autoverkehr am Verkehrsaufkommen.
Und der soll nun durch bessere ÖPNV-Angebote, mit zusätzlichen zielgruppenspezifischen Angeboten und Förderung von Car-Sharing einerseits, sowie „selbstaktive Mobilitätsformen, sprich zu Fuß gehen oder Fahrrad nutzen, reduziert werden. Bundesweite Studien zeigen, dass etwa die Hälfte der mit dem PKW zurückgelegten Strecken nicht weiter als fünf Kilometer sind. Das legt ein Potential für Fußgänger und Fahrradfahren nahe, sofern auch dort die Bedingungen (beispielsweise Sicherheit) verbessert werden. Nach dem IZES-Konzept könnte der Anteil von 22 Prozent (im Jahr 2017) auf 35 Prozent im Zieljahr 2030 gesteigert werden.
Im ÖPNV sind markante Punkte eine deutliche Verbesserung der Umsteigeverbindungen, der Ausbau eines integrierten S-Bahn-Systems und On-Demand-Verkehre, die in den ÖPNV integriert sind.
So sehr diese Verkehrsfragen die Diskussion belebt haben, machen sie allerdings nur einen überschaubaren Teil im gesamten Klimaschutzkonzept aus. Großen Raum nehmen auch die Themen Energie, Industrie, Gebäude, Landwirtschaft, Abfall- und Kreislaufwirtschaft ein.
Dieser „Erste Entwurf“, der zunächst vor allem auf der Fachebene ausgearbeitet wurde, soll nun (ab Ende August) in öffentlichen Veranstaltungen in allen Landkreisen vorgestellt und diskutiert werden. Zudem gibt es die Möglichkeit, online Anregungen, Kritik und Vorschläge (bis Mitte September) in die weitere Entwicklung einzubringen.