Der US-Wahlkampf ist auch eine Show, die mit einer Fülle neuer Wendungen das Ergebnis im November beeinflussen kann. Die vergangene Woche brachte neue Überraschungen wie einen Gefangenenaustausch und ein denkwürdiges Interview.
In Wahlkämpfen können kleine Gesten schon einen Unterschied machen. Niemand weiß das so genau wie Armin Laschet, dem ein Lachen im Ahrtal an unpassender Stelle zum Verhängnis wurde. Das Gleiche gilt für den US-Wahlkampf, der noch vor zwei Wochen für die Republikaner Grund für eine stolzgeschwellte Brust war und für die Demokraten eher aus Händeringen, Achselzucken und Hoffen bestand. Mit der politisch klugen Geste, von der Kandidatur zurückzutreten, schuf Joe Biden gerade noch eben einen Abgang mit Würde und für die designierte Kandidatin einen geradezu explosiven Start. Kamala Harris nahm den Staffelstab im Sprint: 310 Millionen US-Dollar hat die demokratische Kampagne an Spenden alleine im Juli eingenommen, 150 Millionen Dollar der demokratische Super-PAC Future Forward. Diese „political action commitees“ sind indirekt mit den Kampagnen verbunden, Spenden an diese können jedoch im Gegensatz zur Kampagne der einzelnen Kandidaten in unbegrenzter Höhe geleistet werden. Unter den Spendern: 100 Investoren wie Marc Cuban und LinkedIn-Gründer Reid Hoffman. Nun ist Geld in den USA kein Garant fürs Gewinnen, doch im Augenblick ein guter Indikator für die gelöste Aufbruchstimmung unter demokratischen Wählern. Kamala Harris spricht Wählergruppen an, die sich unsicher waren, ob Biden eine zweite Amtszeit gesundheitlich durchhält. Und sie spricht Wählergruppen an, die ob des Wahlkampfes zweier älterer Herrschaften weder einen Bezug zu Biden noch zu Trump hatten. Sie spricht so viele Wählergruppen an, dass mancher Swing-State wieder von „wählt wahrscheinlich republikanisch“ gerade auf „50-50-Chance“ zurückpendelt. Das Rennen ist also wieder auf null zurückgesetzt.
Rekord-Spendensumme für Demokraten
Und es kommen weitere Gesten, weitere Ereignisse hinzu, die Harris helfen könnten. Da wäre der Gefangenenaustausch mit Russland, von dem Sicherheitsberater Jake Sullivan betont, die Vizepräsidentin habe entscheidend dazu beigetragen. Der „Wall-Street-Journal“-Korrespondent Evan Gershkovich, seine Kollegin Alsu Kurmasheva, der US-Bürger Paul Whelan, der in Belarus inhaftierte Deutsche Rico K. sowie die Regimekritiker Ilja Jaschin, Wladimir Kara-Mursa und Oleg Orlow und viele mehr kamen auf Initiative der US-Regierung, auch mit Unterstützung der deutschen Regierung, frei. Für den amerikanischen Wahlkampf ist dies relevant, weil Donald Trump in einer Videoansprache vor Monaten damit angab, Wladimir Putin würde einen solchen Austausch nur für ihn anstoßen. Klar, dass die Biden-Harris-Administration mit diesem diplomatischen Erfolg nicht nur selbst zu Hause glänzen, sondern auch Trump in den Schatten stellen kann.
Und da wäre die Wahl von Kamala Harris‘ „running mate“, dem Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Traditionell kein Amt, in dem Politiker besondere Akzente setzen können, weil der Präsident, die Präsidentin alles überstrahlt. Und dennoch wichtig: Es sendet Signale an die Heimat-Bundesstaaten der jeweiligen Kandidaten, an die eigene Partei, an die Wählerschaft, in welche Richtung die Präsidentschaft tendiert. Zu Redaktionsschluss standen die Kandidaten – alle männlich und seit Jahren erfolgreiche Politiker im Senat oder als Gouverneur – in engerer Auswahl fest, jedoch ließ die endgültige Entscheidung noch auf sich warten. Viele Anzeichen deuteten bis dato auf Josh Shapiro hin, den 51-jährigen und sehr beliebten demokratischen Gouverneur von Pennsylvania, ein Bundesstaat, der für beide Parteien entscheidend für die notwendigen 270 Wahlmännerstimmen am 5. November sein wird.
Vance: Mehr Stimmen für kinderreiche Familien
Indessen tut sich die republikanische Kampagne, ganz besonders Donald Trump, schwer, mit der neuen Kandidatin umzugehen. Der Sprecher des Repräsentantenhauses, Mike Johnson, machte laut Medienberichten seinen Kollegen bereits klar, rassistische und frauenfeindliche Äußerungen zu unterlassen. Alleine dass dies überhaupt ein Thema sein muss, lässt tief blicken. Gesetzt war für die Kampagne die Linie, sie über die Migrationspolitik und ihre wenig strahlende politische Vergangenheit zu attackieren. Bis Donald Trump bei einer Journalistenvereinigung öffentlich auftrat.
Eingeladen hatte die National Association of Black Journalists, nichts Ungewöhnliches, auch andere Präsidentschaftskandidaten saßen in der Vergangenheit bereits im Wahlkampf auf der Bühne. Was Trump jedoch dort auf Fragen der drei Journalistinnen antwortete, hatte kaum etwas mit der Kampagnenlinie zu tun. Stattdessen zog er Harris‘ Identität als People of Color und asiatischstämmige Frau in Zweifel. Harris‘ Mutter stammt aus Indien, ihr Vater aus Jamaika. „Sie war immer indischer Abstammung. Und sie hat nur das indische Erbe gefördert. Ich wusste nicht, dass sie schwarz ist, bis sie vor einigen Jahren zufällig schwarz wurde. Und jetzt will sie als Schwarze bekannt sein“, sagte Trump. „Also, ich weiß nicht, ist sie Inderin oder ist sie schwarz?“, fügte er hinzu. Die Äußerung führte zu Unruhe im Publikum. Hinzu kamen eine ganze Reihe von Lügen und Halbwahrheiten: zum Beispiel darüber, dass am 6. Januar beim Sturm auf das Kapitol niemand starb (am Tag selbst starb eine Unterstützerin von Trump, infolge der Krawalle später insgesamt sieben Menschen durch Nachwirkungen und Selbstmorde); darüber, dass illegale Einwanderer, meistens aus Gefängnissen und Psychiatrien, ins Land gelassen werden, damit sie an den Wahlen teilnehmen und ihre Stimme abgeben (weder die Herkunft von illegalen Einwanderern aus Gefängnissen oder Kliniken ist durch irgendetwas belegt noch die Behauptung, sie dürften in den USA wählen). Nach 30 Minuten brach Trumps Team das Interview ab.
Die Strategie dabei ist klar: sich selbst wieder ins Rampenlicht zu setzen, auch mithilfe negativer Schlagzeilen und neuer Ungeheuerlichkeiten, um Harris dadurch von den Titelseiten zu verdrängen. Wieder einmal ist ihm dies gelungen, Medien-Amerika spricht nun ausführlich über Trumps Äußerung. Und republikanische Senatskollegen seien insgeheim wegen Trumps seltsamer Behauptungen, Übertreibungen und Unwahrheiten „verlegen“, sagte Mehrheitsführer Chuck Schumer gegenüber „The Hill“. Auch Kamala Harris war eingeladen, konnte jedoch wegen Terminschwierigkeiten nicht – sie war zur gleichen Zeit auf Kampagnentour und wird im September bei der Journalistenvereinigung erwartet.
Derweil ändert sich der Ton der demokratischen Kampagne deutlich gegenüber der von Hillary Clinton im Jahr 2016. Kamala Harris brandmarkte Trump und seinen Vizekandidaten J.D. Vance als „weird“, als „seltsam“. Vance steht seit Wochen in der Kritik, kinderlose Frauen als weniger wertvoll für die Gesellschaft anzusehen; kinderreiche Familien sollten bei Wahlen sogar mehr Stimmen bekommen. 2016 noch versuchten die Demokraten, den damaligen Kandidaten Donald Trump mit Fakten zu stellen, obwohl dieser mit Fakten überhaupt nichts am Hut hat. Jetzt versuchen sie den 78-Jährigen lächerlich zu machen. Ein erfrischender Ansatz, der jedoch nicht über die Gefahr hinwegtäuschen darf, dass ein möglicher Präsident Trump die amerikanische Demokratie der „checks and balances“ bis zur Unkenntlichkeit verzerren könnte – in einen Staat, der nur ihm und den Interessen seiner Anhänger dient.