Straßen und Bahninfrastruktur müssen große Belastungen ertragen: Damit ihre Tragschichten zunehmender Hitze und Fluten zuverlässig trotzen, sind neue Bautechnologien nötig. Diese sollten Bestehendes einbeziehen und dabei Klima und Kassen schonen.

Die Urlaubszeit bringt es an den Tag: Keiner mag Baustellen, doch alle wollen sichere Fahrbahnen. Schlechter Baugrund, Zeit- und Kostendruck, plus der Verkehrsaufwand beim An- und Abtransport von Materialien erweisen sich als zusätzliche Hindernisse, wenn es um allseits gefällige Instandhaltung geht. Straßen-, Erd- und Tiefbauer haben es nicht leicht. Zumal in ihrem Job kein Weg am Zement vorbeiführt.
Weniger Abfall durch Recycling
Das Problem: Je nachdem, wie man rechnet und welche Produktionsprozesse man einbezieht, trägt die Zementherstellung vier bis acht Prozent zu den weltweiten CO2-Emissionen bei. Noch. Die Branche bekundet, den Kohlenstoffdioxid-Ausstoß reduzieren zu wollen. Trotzdem möchte jeder Verkehrsteilnehmer auf belastbare Tragschichten unter der Fahrbahndecke vertrauen.
Die gute Nachricht: Mit smarten Lösungen der Kreislaufwirtschaft lässt sich selbst ohne klaren, regulatorischen Kompass bis 2045 hierzulande die Klimaneutralität einfacher erreichen. Stichwort: Zementadditive. Die kaputte Straße wird mit ihnen als Zutat stabilisiert und anschließend neu asphaltiert beziehungsweise betoniert. Ohne dass Abfall anfällt.
Die Zauberworte heißen „Upcycling“ und „Recycling“. Kaputte Straßen dienen als Baustofflager. „Wir verwenden alles, was an Ort und Stelle vorhanden ist“, erzählt Julian Bihl, Geschäftsführender Gesellschafter der IBS GmbH aus Herrenzimmern, am Rande des Deutschen Innovationsgipfels in München. „Auch nicht tragfähige Böden sind für uns ein wichtiger, wertvoller Rohstoff, also keineswegs minderwertig.“
Der achtsame Umgang mit Bauschutt und Derangiertem lohnt sich. Denn frisch eingekaufte Rohstoffe, wie Sand, Kies oder Zement plus Wasser, sind zunehmend knapp und wertvoll. Sanierungsstau und Klimawandel erhöhen den Druck, effizient und sorgsam zu bauen. In Entwicklungs- und Schwellenländern kooperiert IBS mit der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ).
Langlebig und frostsicher
Doch Eingefahrenes bröckelt in Deutschland nicht so schnell. Weiterhin gelten die „Richtlinien für die Standardisierung des Oberbaus von Verkehrsflächen“ (RStO). Diese klassifizieren, welche Verkehrsbeanspruchung welche Böden ertragen sollen. Eine regelmäßige Komplettsanierung ist dabei vorprogrammiert: Zusammen mit den Anforderungen an die verwendeten Baustoffe und die einzelnen Schichten nach den „Zusätzlichen Technischen Vertragsbedingungen“ (ZTV) ist der ganze Straßenoberbau in der Regel für einen Nutzungszeitraum von 30 Jahren dimensioniert.
Erfindergeist mag sich nicht beschränken. Das mittelständische Unternehmen IBS aus Herrenzimmern bei Rottweil im Schwarzwald gewann mit einer bodenständigen Lösung, die mehr Robustheit und Langlebigkeit verspricht, vergangenes Jahr den Deutschen Innovationspreis. Die Auszeichnung steht unter der Schirmherrschaft des Bundeswirtschaftsministeriums. Das prämierte, mineralische Additiv ist mit seinen lokal und individuell angepassten Baumischverfahren im Unter- und Oberbau anwendbar.
Die Idee dahinter: Aus Alt mach’ Neu. Nachhaltig. Mit rund hundertjähriger Haltbarkeit. Die Macher aus dem Bösinger Ortsteil mit der Burg bemerken seither ein gesteigertes Interesse an ihren Innovationen. Allmählich auch in Deutschland.
Das sogenannte NovoCrete-Additiv für Re- und Upcycling im Straßen- und Infrastrukturbau wird mit Zement und Wasser vermengt und direkt in den Boden oder Straßenkörper hineingegeben. Durch das Zusammenspiel der Komponenten soll sich eine langlebige und frostsichere Tragschicht bilden. Die auch wasserdicht, robust und stabil ist. „Unsere Straßen im Ahrtal haben bei der Flutkatastrophe gehalten“, erzählt Bihl im Gespräch. Deshalb wirkt IBS jetzt am Wiederaufbau zerstörter Wege und Strukturen in Regionen mit, die von Wassermassen heimgesucht wurden. Ein Phänomen, das im Zuge des Klimawandels immer häufiger vorkommt.
Welche besonderen Komponenten stecken hinter einer Rezeptur, die den Infrastrukturbau umwälzen kann? Bihl winkt ab. „Das sind rein mineralische Additive, die in einem speziellen Prozess zusammengemischt und aufbereitet werden. Durch die Zugabe von NovoCrete-Additiv wird das kristallische Wachstum im Zement gestaltet“, erläutert der 31-Jährige. Der Ingenieur stieß 2015 zum Unternehmen, das sein Vater Hansjörg 2010 gegründet hatte: „Damals waren wir eine Two-Men-Show“. Die Stammbesetzung hat sich seither verzehnfacht.
Das Pulver kann situativ passend eingesetzt werden. Damit übernasser Grund die Stabilisierung nicht verwässert. Das ist Julian Bihl zufolge ein Vorteil gegenüber Flüssigprodukten mit vordosierten Bindemitteln. „Der optimale Wassergehalt ist einer der wichtigsten Faktoren für den Erfolg der Baumaßnahme“, betont der Ingenieur.
Das Unternehmen forscht permanent mit unterschiedlichen Mineralien. Die Tüftler aus Herrenzimmern arbeiten auch mit geotechnischen Laboren und Prüfinstituten zusammen. Ihr ständiges Ziel ist es, die Bindemittel situativ anzupassen, jeweils speziell zu mischen und etwa auch für Asphalt weiterzuentwickeln.
Julian Bihl erzählt mitreißend von den festigenden Kräften, die drei oder vier mineralische Komponenten in „ganz normalem Zement“, alternativ zum klassisch bindenden Sand und Kies, entwickeln können. Vater Hansjörg Bihl häuft sein spezielles Know-how über Mischungen seit über 30 Jahren an. Unablässige, neue Forschung trägt dazu bei, aus alten Böden sehr viel Stabilität herauszuholen. Auch wenn IBS über seine konkreten NovoCrete-Rezepturen verständlicherweise eine Schicht Schweigen breitet: Die Konkurrenz schläft nicht.
Was als innovativ für die Umwelt an der IBS-Lösung auffällt: „Alte“ Baustoffe, die normalerweise mit viel Aufwand abtransportiert und „entsorgt“ werden müssen, können durch die mineralische Beimischung für die Bodenstabilisierung weiterverwendet werden und dabei reichlich Kohlendioxid einsparen. Pro Jahr sind das nach Unternehmensangaben etwa 130 Millionen Tonnen Material. Zusätzlich verbessere die Zugabe von NovoCrete die Haltbarkeit und Qualität des Bodens um 50 Prozent. Unterm Strich würden 85 Prozent weniger Rohstoffe benötigt sowie der Zeitaufwand und die Kosten auf die Hälfte reduziert.
„Bei Zement ist irgendwann die vorgegebene Festigkeitsklasse erreicht. Bei unseren Produkten geht der Prozess noch länger und weiter“, sagt Julian Bihl. Das Material versteinere mithilfe der mineralischen Additive. Die Qualität steigt mit den Jahren sogar, haben Langzeitbeobachtungen ergeben. „Die Tragschicht hält, Studien zufolge, mindestens 80 bis 100 Jahre.“ Die Lebenszykluskosten pro Quadratmeter verringerten sich so stark. Der Ingenieur betont, dass sich der Untergrund verbessern lasse. Selbst wenn die Umgebungsbedingungen sehr schwierig seien. „Wir erreichen trotzdem eine gewisse Flexibilität in den Schichten unter dem Fahrbahnbelag, die gegen Erschütterungen wirkt.“
Häufig sind die Schwarzwälder weit weg von ihrer Zentrale unterwegs, auf allen Kontinenten. Besonders die Firmen-Geologin. Sie überwacht, wie Institute und Labore in aller Welt die IBS-Projekte umsetzen. Ihr Chef erzählt: „In Saudi-Arabien bauen wir gerade für das Giga-Projekt „NEOM“ Straßen aus Wüstensand. Als weiteres großes Projekt erweitern und stabilisieren wir in Kamerun den Hafen von Douala.“
Auch für das Erdbebengebiet in der Türkei wurde nach der stabilisierenden Beimischung verlangt: „Dort ermöglichten wir mit unserem Produkt eine Eisenbahntrasse“, berichtet Bihl. Schichten des Unterbaus von Bahninfrastruktur verlieren beispielsweise auch durch Regenmassen ihre Tragfähigkeit. Bihl: „Wir haben im Ausland viele Kilometer Bahntrassen gebaut.“ Momentan setze das Schwarzwälder Unternehmen zwischen 100 und 150 Projekte pro Jahr um. Fast ständig kämen Anfragen.
„Unser Beitrag für die Zukunft“
Zögerlicher zunächst hierzulande. „Das liegt in Deutschland am Bürokratismus durch Richtlinien, die seit Jahrzehnten kaum geändert werden“, sagt der IBS-Geschäftsführer. Und hat doch gleich eine positive Entwicklung parat: „In Deutschland sorgen wir bei immer mehr Industriebrachen für neue Nutzbarkeit.“
Vergangenes Jahr hatte die IBS GmbH ein „schönes Projekt“ mit ungefähr 100.000 Quadratmetern. Wobei vorhandene Böden und sonstige Recyclingbaustoffe zusammenspielten. „Die alte Industriebrache wurde abgerissen und aufbereitet in Brechanlagen“, erinnert sich Bihl. „Das Aufbereitete floss in unser Wiederverwertungskonzept ein. Wir konnten diese Abfälle an Ort und Stelle belassen und die neue Tragschicht aus dem weiterverwendeten Material erstellen.“
Mit den IBS-Produkten könnten sogar Altlasten, die im Boden oder im Recyclingbaustoff verbleiben, eingebunden werden. „Das heißt, die werden nicht mehr ausgewaschen“, präzisiert der Unternehmer. Somit wird der Flächenverbrauch drastisch verringert und wiederum müssen keine Grünflächen neu erschlossen werden.
Doch was passiert in 80 oder 100 Jahren, wenn die Fläche wirklich mal kaputtgeht? „Wir können das Material an Ort und Stelle auffräßen und nach dem gleichen Verfahren wieder verwerten“, antwortet der 31-Jährige auf diese Frage. „Es ist ein Endloszyklus, den wir da betreiben können, ohne dass Material hin und her gefahren werden muss.“

Der IBS-Geschäftsführer ist mit der jüngeren Entwicklung des Unternehmens auch in Deutschland ein Stück weit zufrieden: „In fast allen Bundesländern wurden Pilotprojekte angestoßen. Unsere Ansprechpartner sind die Endkunden, die Straßenbauverwaltungen sowie Ministerien.“ Das Interesse wachse. „Uns kommt jetzt zugute, dass ohne unsere Lösung, unter Kosten- und Zeitdruck, Umweltauflagen schwer zu erfüllen sind“, sagt Bihl. Potenzielle Auftraggeber dächten pragmatisch: „Die Kassen werden immer leerer.“ Aber auch Bauunternehmungen, die den konventionellen Weg verlassen wollen, zählen dem Ingenieur zufolge zu den Kunden und Ansprechpartnern.
Bihl bedauert, dass das Interesse an Nachhaltigkeit und Innovation nicht schon längst den Einsatz neuer Bautechnologien angeschoben habe. Die innovative Lösung existiere seit vielen Jahren. „So langsam sind wir in der richtigen Zeit angekommen“, freut er sich dennoch.
Dass Upcycling immer mehr zum Trend wird, wenn es um Ressourcen und Umwelt geht, zeigt sich an einem weiteren Preis für das Unternehmen aus Herrenzimmern. IBS wurde Ende Juni zum „Top 100 Innovator“ für sein Innovationsmanagement und seine Innovationserfolge als mittelständisches Unternehmen ausgezeichnet. Die Mittelständler, die ungewöhnlicherweise ihre Ingenieure im Service-Paket rund ums Bindemittel mitliefern, kommentierten den Innovatoren-Preis selbstbewusst: „Unter dem Motto ‚Revolution für den Straßenbau in Deutschland‘ sind wir stolz darauf, unseren Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft zu leisten.“