Gleich am ersten offiziellen Wettkampftag der Olympischen Spiele 2024 in Paris bescherte der favorisierte Magdeburger Schwimmer Lukas Märtens Deutschland und dem DSV die erste Goldmedaille.

Bei den Olympischen Sommerspielen von Tokio hatten die deutschen Athleten die Millionen von Zuschauern vor den heimischen TV-Geräten in Sachen erstem Gold-medaillen-Gewinn noch auf eine lange Geduldsprobe gestellt. Erst am vierten Wettkampftag wurde der Bann gebrochen, als damals die Kanutin Ricarda Funk die wertvollste Plakette erringen konnte. Bei den Pariser Spielen 2024 lief es diesbezüglich für das Team D wesentlich besser. Denn schon einen Tag nach der Eröffnungsfeier und drei Tage nach den ersten sportlichen Auftaktveranstaltungen gelang dem Schwimmer Lukas Märtens am ersten offiziellen Wettkampftag mit 14 Medaillen-Entscheidungen, am Samstag, 27. Juli 2024, der Sprung auf das oberste Treppchen. Damit konnte der gebürtige Magdeburger seiner Favoritenrolle über die 400 Meter Freistil-Strecke voll und ganz gerecht werden, schließlich war er mit Weltjahresbestzeit an die Seine angereist und hatte dort auch schon im Vorlauf seine Dominanz unter Beweis gestellt.
Für den Deutschen Schwimm-Verband (DSV) hatte der Triumph von Märtens geradezu historische Dimensionen. Denn erstmals seit der Wiedervereinigung konnte ein deutscher Schwimmer wieder eine Goldmedaille in den Becken-Wettbewerben erringen. Zuletzt war dieses Kunststück anno 1988 bei den Olympischen Spielen von Seoul dem damals für die DDR startenden Uwe Daßler über 400 Meter Freistil und Michael Groß, dem legendären „Albatros“ für die Bundesrepublik, über 200 Meter Schmetterling gelungen. Nur bei den Frauen hatte der DSV die goldene Durststrecke 2008 durch den Doppel-Olympia-Sieg von Britta Steffen über 50 und 100 Meter Freistil durchbrechen können. Die Pariser Spiele sollten für die Beckenschwimmer des DSV dank Märtens und der Bronzemedaille für dessen Ex-Freundin Isabel Gose über die 1.500 Meter Freistil denn auch das erfolgreichste Abschneiden seit dem Jahr 2008 werden. Wobei das mengenmäßig überschaubare zweifache Edelmetall durch eine deutliche Leistungssteigerung in der Breite mit 17 Finalteilnahmen aufgewertet wurde. Allerdings bleibt der Sprintbereich das große Sorgenkind des DSV, während dieser im Mittel- und Langstreckenbereich vor allem dank der Arbeit am Stützpunkt Magdeburg unter Leitung von Bundestrainer Bernd Berkhahn auch international bestens aufgestellt ist.

Dass ausgerechnet die 400 Meter Freistil, die in Schwimmer-Kreisen oft als „Hassstrecke“ tituliert wird, weil diese spezielle Distanz eine möglichst optimale Balance zwischen Sprint-Tempo und Ausdauer-Fähigkeit erfordert, einmal die Paradedisziplin des am 27. Dezember 2001 in Magdeburg geborenen Lukas Märtens werden könnte, war kaum voraussehbar gewesen. Denn in jungen Jahren hatte sich Märtens vor allem auf Rückenstrecken am wohlsten gefühlt. „Die 200 und 400 Meter Freistil waren eigentlich immer meine Hassstrecken gewesen“, so Märtens. Erst die Zusammenarbeit mit Bernd Berkhahn habe bei ihm zu einem Gesinnungswandel geführt. „Bernd hat mir gezeigt, was ich auf den Freistilstrecken draufhabe.“ Die Grundgeschwindigkeit war bei Märtens zwar schon immer vorhanden gewesen, aber an seinen Ausdauerfähigkeiten musste noch letztlich erfolgreich an der besonders auf die langen Freistilstrecken spezialisierten Magdeburger Trainingsgruppe, der unter anderem auch Florian Wellbrock als prominentestes Teammitglied angehört, gefeilt werden.
Erster Höhepunkt im Jahr 2022
Bei seinem ersten Karriere-Höhepunkt im Jahr 2022 war er zur Weltmeisterschaft in Budapest als Weltjahresbester über 400, 800 und 1.500 Meter angereist und war damit ausgerechnet seinem Magdeburger Kollegen Wellbrock auf dessen beiden ultralangen Paradestrecken erheblich auf die Pelle gerückt. Doch seine erste WM-Silbermedaille konnte er in Budapest über die 400 Meter Freistil erringen, während es über die 1.500 Meter nur für den vierten Platz gereicht hatte. Vielversprechend war in Budapest allerdings auch schon sein Ausflug auf die 200 Meter Freistil gewesen, auch wenn er im Finale über den siebten Platz nicht hinausgekommen war. Im gleichen Jahr konnte er bei den Europameisterschaften in Rom über 400 Freistil seinen ersten internationalen Titel gewinnen und sich über 800 Meter Freistil die Silbermedaille sichern. Schon damals war er zum Kronprinzen von Wellbrock ernannt worden, Trainer Berkhahn hatte sogar schon ganz vorsichtig eine „Wachablösung“ in näherer Zukunft angedeutet, und war erstmals aus dem großen Schatten seines berühmten Kollegen herausgetreten, den er neben seinem Idol Paul Biedermann als persönliches Vorbild ansieht. Bei den Olympischen Spielen in Tokio hatte Märtens noch viel Lehrgeld bezahlen müssen, war über die Vorläufe über 200, 400 und 1.500 Meter Freistil nicht hinausgekommen und hatte lediglich mit der 4x200 Meter-Freistil-Staffel das Finale und den siebten Platz erreichen können. Bei den Weltmeisterschaften 2023 in Fukuoka und 2024 in Doha konnte sich Märtens jeweils über 400 Meter Freistil die Bronzemedaille sichern. Und spätestens mit seiner bei den deutschen Meisterschaften 2024 über 400 Freistil erzielten Fabelzeit von 3:40,33 Minuten, die nur noch 0,26 Sekunden über dem noch immer gültigen und von Paul Biedermann 2009 aufgestellten Weltrekord lag, wurde er zum Pariser Goldfavoriten in dieser Disziplin.

Neben den 400 Meter Freistil stieg der 1,92 Meter große Märtens in Paris auch noch über 200 Meter Freistil, als Startschwimmer der 4x200-Meter-Staffel und über 200 Meter Rücken ins Becken. Die Auswahl dieser Disziplinen war vor allem gesundheitlichen Problemen geschuldet. Er plagte sich im Vorfeld der Spiele mit zahlreichen Infekten, deren Ursache erst nach einer Trainingszwangspause von zweieinhalb Monaten als chronische Nasennebelhöhlenentzündung identifiziert werden konnte. Die mit Antibiotika behandelt wurde, weil eine eigentlich nötige Operation wegen des daraus resultierenden zu langen Ausfalls in der direkten Olympia-Vorbereitung keine Option gewesen war. Das Trainingspensum für die ultralangen Strecken konnte Märtens daher nicht schaffen, weshalb er sich in Absprache mit Bundestrainer Berkhahn notgedrungen für die kürzeren Disziplinen entscheiden musste.
„Ein beherztes Rennen“
Beim Pariser Finale über 400 Meter Freistil legte Märtens auf der vierten Bahn einen Start-Ziel-Sieg hin, wobei er lange unter der Weltrekord-Zeit geschwommen war, letztlich diese Bestmarke mit 3:41,78 Minuten aber doch nicht knacken konnte. Was ihm allerdings ziemlich egal gewesen war: „Ich habe mich über die vergangenen Jahre so krass entwickelt, da lief es schon phänomenal – das ist jetzt die Krönung.“ Auch im Finale über 200 Meter, das er wieder ganz mutig von der Spitze aus angegangen war, hatte Märtens bis zur letzten Wende als sicherer Sieger ausgesehen, aber auf der letzten Bahn waren ihm dann die Körner ausgegangen, und er musste sich mit dem fünften Platz bescheiden. „Es war ein beherztes Rennen von mir. Das kann manchmal gut gehen. Am Ende kamen dann aber alle angeflogen. Von der Taktik muss man vielleicht etwas cooler sein“, so Märtens. Beim Staffel-Wettbewerb und über die Rückenstrecke musste sich Märtens, der sich selbst mal als „leicht verpeilt“ und in einer ganz eigenen Welt lebend bezeichnet hatte, im Finale jeweils mit dem achten Platz begnügen. Wobei er vor allem das Abschneiden über die von ihm als „Spaßstrecke“ titulierten 200 Meter Rücken mit persönlicher Bestzeit ganz locker genommen hatte. Weil er das Rückenschwimmen im Trainingsalltag nur noch einmal pro Woche zur Abwechslung einzustreuen pflegt. Von daher war allein schon das Erreichen des Finales für seinen Trainer Berkhahn eine große Überraschung gewesen: „Ich habe, ehrlich gesagt, damit gerechnet, dass im Halbfinale Schluss ist.“

Das gewaltige mediale Interesse um seine Person nutzte Märtens in Paris, um sich als glühender Anhänger des Fußball-Clubs 1. FC Magdeburg und als heimatverbundenen Patrioten mit der „schönsten Stadt der Welt“ zu bekennen. Mit dem Schwimmen hatte der Modellathlet mit den grünen Augen und dem braunen Haarschopf überhaupt erst angefangen, weil er mit seinen Fähigkeiten beim Kicken im Team des PSV Magdeburg nicht zufrieden gewesen war. Der von ihm mit dem Abitur abgeschlossene Besuch eines örtlichen Sportgymnasiums erlaubte ihm das ausgiebige nachmittägliche Schwimmtraining. Wobei er sich zwar ähnlich wie seine jüngere Schwester Leonie früh als aufstrebendes Talent präsentiert hatte, ohne jedoch mit Spitzenplatzierungen bei den europäischen Jugendschwimm-Meisterschaften 2018 und 2019 oder bei den Jugend-Schwimm-Weltmeisterschaften 2019 aufzufallen. Märtens internationaler Durchbruch im Jahr 2022 kam daher nach der Pleite von Tokio für die breite Öffentlichkeit völlig überraschend. Möglicherweise kann Märtens Magdeburger Trainingsgruppe künftig ihr Leistungsniveau durch eine neue Infrastruktur noch weiter erhöhen. Weil die Etablierung eines Schwimmzentrums in der Hauptstadt des Landes Sachsen-Anhalt derzeit heiß diskutiert wird.