Die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit unzureichenden Deutsch- und Mathekenntnissen soll halbiert werden. Das ehrgeizige Ziel verfolgt das Startchancen-Programm, das mit dem Schulstart nach den Ferien in die Umsetzung geht.
In einigen Bundesländern ist der Schulalltag nach den großen Ferien bereits wieder Routine, in vielen anderen beginnt in diesen Tagen wieder „der Ernst des Lebens“. Mit dem neuen Schuljahr startet auch ein bislang einzigartiges Förderprogramm für einige tausend allgemeinbildende und berufliche Schulen bundesweit. Das Startchancen-Programm ist unter einer ganzen Reihe von Aspekten außergewöhnlich in der deutschen Schullandschaft.
Als „das größte und langfristigste Bildungsprogramm in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland“ bezeichnete Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) dieses Programm, als sie es gemeinsam mit der Vorsitzenden der Kultusministerkonferenz (KMK), der saarländischen Bildungsministerin Christine Streichert-Clivot (SPD), im Februar vorgestellt hat. Die Eckdaten belegen die Aussage: Rund 20 Milliarden Euro wollen Bund und Länder in die Hand nehmen, über eine Laufzeit von zehn Jahren. Rund 4.000 Schulen sollen teilnehmen, insgesamt könnten dann etwa eine Million Schülerinnen und Schüler davon profitieren.
In diesem Schuljahr sind zunächst über 2.000 Schulen beteiligt, am Ende sollen es die erwähnten 4.000 Schulen sein. Schulen, die aufgrund ihrer Lage und Schülerschaft besondere Unterstützung brauchen.
Neben Umfang und Dauer zeichnet sich das Programm auch dadurch aus, dass die Mittel ziemlich differenziert und orientiert an den wirklichen Bedürfnissen verteilt werden sollen.
Auslöser für diese gemeinsame bildungspolitische Kraftanstrengung von Bund und Ländern waren einmal mehr Ergebnisse von Bildungsstudien, die zunehmende Defizite in Grundkompetenzen wie Lesen, Rechnen und Schreiben aufgezeigt haben.
Die letzte IGLU-Studie (Internationale Grundschul-Lese-Untersuchung) hat gezeigt, dass es in Deutschland in den letzten zwanzig Jahren einen „signifikanten Rückgang der Lesekompetenz“ gegeben hat. 2001 hatte jedes sechste Kind in der vierten Klasse Probleme beim Lesen, 2021 war es bereits fast jedes vierte Kind, das die Mindeststandards für einen weiteren erfolgreichen Schulweg angesehen werden.
Der IQB-Bildungstrend bestätigte Ähnliches auch für Mathematik. 2011 erreichten noch über zwei Drittel der Schüler den Regelstandard in Mathe, zehn Jahre später, 2021, waren es nur noch gut über die Hälfte (knapp 55 Prozent).
Die damalige Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien (CDU), bezeichnete die Ergebnisse der IQB-Studie schlicht als „ernüchternd“, und Bundesbildungsministerin Stark-Watzinger sah „alarmierende Ergebnisse, die uns aufrütteln müssen“.
„Ungewöhnlich mutig“

Zumal die Erkenntnisse auch aus anderen Studien den Handlungsbedarf offenlegten. Eine Sonderauswertung der letzten Pisa-Studie (2022) zeigt beispielsweise, dass mehr als ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler in Deutschland kaum dazu in der Lage ist, Ideen zu entwickeln, um ein Problem zu lösen oder mit Veränderungen umzugehen.
Das Startchancen-Programm setzt an diesen Erkenntnissen an, etwa in der Art, wie und wofür diese beträchtlichen Mittel eingesetzt werden sollen. Bei der Verteilung der Gelder auf die Länder werden als Kriterien angelegt: Anteil Schüler mit Migrationshintergrund (40 Prozent), Armutsgefährdungsquote (40 Prozent) und negatives Bruttoinlandsprodukt (20 Prozent). Die Länder haben selbst die Schulen ausgewählt, dabei auch einen „Sozialindex“ angelegt. Damit soll „schulscharf“ der Unterstützungsbedarf ermittelt werden. Inhaltlich setzt das Programm an drei Punkten an. Es sieht erstens Investitionen in „attraktive Lernorte“ (Möbel und Einrichtungen, 40 Prozent) vor sowie zweitens ein „Chancenbudget“, um vor Ort „die richtigen Lösungen zu finden“ – etwa mehr Förderunterricht in Basiskompetenzfächern (30 Prozent). Und drittens „multiprofessionelle Teams“, also mehr Schulsozialarbeit, IT-Betreuung in der Verwaltung, Logopädie und ähnliche Unterstützung, „damit Lehrer entlastet werden und wirklich unterrichten können“ (30 Prozent).
Weil es in erster Linie um die Stärkung der Basiskompetenzen geht, ist auch der größte Teil des Budgets (60 Prozent) für Grundschulen vorgesehen. Bemerkenswert bei den übrigen 40 Prozent ist, dass auch Berufsschulen im Blick sind.
„Mit vereinten Kräften können wir Schule verändern– mit wissenschaftlicher Begleitung, einem veränderten Ressourcen-Ansatz und multiprofessionellen Teams“, betonte die KMK-Vorsitzende Streichert-Clivot.
Dass sich Bund und Länder in der föderalen Bildungspolitik auf ein derartiges Programm verständigen konnten und das verglichen mit sonstigen Entwicklungen in diesem Bereich einigermaßen zügig und nach außen ziemlich geräuschlos, ist durchaus bemerkenswert.
Die Vorsitzende der Bildungsgewerkschaft GEW, Maike Finnern, hebt hervor, dass zumindest ein Teil der Gelder nach einem Sozialindex verteilt wird: „Das ist im Vergleich zur Vergangenheit ein echter Durchbruch. Endlich kann ein Teil der Gelder zielgerichtet dort eingesetzt werden, wo er am meisten benötigt wird: in armen Stadtvierteln und Regionen“. Sie sieht aber zusätzlichen Bedarf, weil lediglich zehn Prozent aller Schülerinnen und Schüler erreicht werden, „gut 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen sind jedoch arm beziehungsweise armutsgefährdet“.
Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Prof. Jutta Allmendinger, unterstreicht, dass es sich keineswegs um ein weiteres „Projektchen“ handele, wie allein der Blick auf die Laufzeit von zehn Jahren zeigt. Allerdings erfolge die Unterstützung der Schwächsten immer noch nicht konsequent genug, um das große Ziel zu erreichen, die Bildungsarmut zu halbieren. Dafür müsse man noch früher, nämlich bei den Kindergartenkindern ansetzen.
Der Geschäftsführer der Wübben Stiftung Bildung, die sich besonders um gerechte Bildungschancen einsetzt, Markus Warnke, nennt das Ziel des Startchancenprogramms „ambitioniert“. Dass das Programm mit einer solch klaren Kennziffer versehen sei, sei „für die deutsche Bildungspolitik ungewöhnlich und mutig.“ Warnke hebt aktuell hervor, alle Länder hätten verbindliche Vorgaben entwickelt, „die gewährleisten, dass die Startchancen-Gelder auch wirklich den Schulen im Brennpunkt und den benachteiligten Schülerinnen und Schülern zugutekommen“. Ein Ziel ist in der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern so eindeutig formuliert, dass am Schluss das Ergebnis ziemlich klar ablesbar sein wird: „Bis zum Ende der Programmlaufzeit soll die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die die Mindeststandards in Mathematik und Deutsch verfehlen, an den Startchancen-Schulen halbiert werden“.