Die Friedensbewegung war immer schon bunt. Das ist auch heute so bei den Friedenscamps in Berlin. Damals war es die Konfrontation im Kalten Krieg, heute ist es der heiße Krieg in der Ukraine. Die Feindbilder ähneln sich.
Sahra Wagenknecht hatte eigentlich schon ihr Köfferchen gepackt und sollte auf der großen Friedensdemonstration am ersten Augustwochenende an der Siegessäule im Berliner Tiergarten auftreten. 50.000 Demonstranten waren dort unterwegs, eine ideale Bühne für die Gründerin und Namensgeberin der neuen Partei im Bundestag. Doch die 55-Jährige wurde kurzerhand wieder ausgeladen, weil verschiedene Friedensbündnisse mit einem Auftritt nicht einverstanden waren.
Hauptorganisator der Friedensdemonstration, Michael Ballweg, war nicht ganz so glücklich mit diesem Widerstand aus dem Organisationsteam, er hätte Wagenknecht als Zugpferd auf der großen Bühne im Berliner Regierungszentrum gut gebrauchen können. Eine Szene, die gut zeigt: Wo Frieden draufsteht, muss nicht immer Frieden drinstecken, zumindest bei der internen Abstimmung.
Einer der Friedensaktivisten ist Eduard Meßmer, und er erklärt die Gemengelage recht simpel: Jemand, der ein Bundestagsmandat hat und immer noch der „Kriegspolitik“ zustimmt, kann bei uns einfach nicht mitmachen. Der 68-Jährige aus Baden-Baden ist Politologe und Jurist und nun seit zehn Jahren in der Friedensbewegung.
Proteste gegen „Kriegspolitik“
Das mit der Zustimmung zur „Kriegspolitik“ trifft für Wagenknecht allerdings nicht zu. Immerhin war es die ehemalige Frontfrau der Linken, die mit der Abspaltung und Neugründung ihres Bündnisses zumindest die Bundestagsfraktion der Linken gespalten hat, da für ihre Begriffe die Linke im Bundestag nicht energisch genug gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine vorgegangen ist. Doch Eduard Meßmer hat Wagenknecht im Verdacht, dass das mit dem strikten Friedenskurs nicht allzu weit her ist, wenn sich politisch bei den anstehenden drei Landtagswahlen für ihr Bündnis Sahra Wagenknecht BSW eine Macht-Option bietet, für die Kompromisse nötig werden. Auf Nachfrage, ob denn nicht Russland die Ukraine überfallen hat und nicht umgekehrt, wird der Friedensaktivist energisch. „Man darf immer nicht vergessen, es war die Nato, die Russland an der Nase rumgeführt hat. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion sind wir immer näher an die Grenzen mit unseren Soldaten rangerückt. Bereits 2012 wurden US-Militärberater in die Ukraine entsandt, das konnte sich Putin nicht länger anschauen, er musste reagieren“, sagt Meßmer, womit er die Lesart der russischen Propaganda wiederholt. Eine Ansicht, die auch im Friedenscamp an der Siegessäule weitverbreitet ist.
Sichtweise Russlands übernommen
Es ist eines von insgesamt vier Friedenscamps, die in diesem Sommer im Berliner Stadtgebiet aufgeschlagen sind, angemeldet als Demonstration und von der Polizei gut bewacht. Es ist eine ziemlich wilde Mischung von politischen Strömungen, die sich da in ihren Zeltlagern zusammengefunden hat. Friedensaktivisten aus den Restbeständen der Partei „Die Basis“ über „Querdenker 711“ bis hin zu Klimaaktivisten, die auch für Frieden sind, und dann die ganz robuste Truppe von Anarcho-Kommunisten. Also irgendwie Menschen aus der Autonomenszene. Ab und zu schaut ein buddhistischer Mönch vorbei und lädt zu Friedensgebeten ein. Da es wenig Abwechslung gibt in den Camps, sind die Bewohner recht dankbar für ein wenig spirituelle Unterhaltung.
Was sich da versammelt hat, ist keineswegs eine junge Generation, die das Ideal einer friedlichen Welt und ein bisschen der eigene Selbstfindungsprozess zusammengebracht hat. Das Durchschnittsalter dürfte grob geschätzt eher um oder über 50 Jahre liegen. Beim Beobachter entsteht der Eindruck, die Hippies sind zurück und wollen noch mal ein Lebensgefühl aus den 1980er- und 1990er-Jahren wiederbeleben, als zum Höhepunkt der Friedensbewegung 300.000 Menschen im Bonner Hofgarten für Abrüstung demonstrierten.