Drei Fragen
„Grundsicherung statt Bürgergeld“
Jeder, der aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann, bekomme selbstverständlich die volle Unterstützung, so der CDU-Chef aus Thüringen und Spitzenkandidat zur Landtagswahl am 1. September, Mario Voigt.
Herr Voigt, Ihre harte Ansage: Bürgergeld soll abgeschafft werden, dafür soll es dann zukünftig eine Grundsicherung durch die Jobcenter geben. Ist das umzusetzen?
Wir brauchen eine Grundsicherung. Unser Sozialstaat und unser Lebensmodell funktionieren nach dem Modell der Arbeit. Das heißt, jeder, der aus gesundheitlichen Gründen nicht arbeiten kann, bekommt die volle Unterstützung. Umgekehrt heißt das aber auch, jeder, der arbeiten kann, der muss auch tatsächlich arbeiten. Wenn ein Leistungsbezieher nach drei Monaten zumutbare Arbeitsangebote nicht annimmt, dann hat er die staatlichen Leistungen auch verwirkt. Alles andere ist politisch nicht mehr erklärbar.
Inwieweit war es denn für Sie ein Fehler, dass man den Flüchtlingen aus der Ukraine nach dem russischen Angriff sofort das Bürgergeld gewährt hat?
Ich halte das für einen Fehler und habe das auch frühzeitig kritisiert. Es ist für die Bürger ganz schwer nachvollziehbar, wenn Flüchtlinge, die hierherkommen, vollen Leistungsbezug haben. Die Menschen in Deutschland sind solidarisch, aber da gibt es Grenzen. Und das ist der Kernpunkt an meiner Kritik – das Bürgergeld in dieser Form ist so nicht länger durchzuhalten. Ein Beispiel aus Thüringen: Wir haben in einem Teil der Gemeinschaftsunterkünfte Arbeitsverpflichtungen durchgesetzt. Die dortigen Bewohner müssen mitarbeiten, um die Einrichtung am Laufen zu halten. Ergebnis: 30 Prozent der Bewohner haben einen versicherungspflichtigen Job.
Die aktuelle Flüchtlingspolitik ist aber auch Ergebnis der Entscheidungen von CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel. Hat dies der CDU geschadet?
Wir als CDU müssen einräumen, wir haben da ab 2015 Fehler gemacht. Um diese Erkenntnis führt kein Weg herum, und diese Fehler müssen wir nun korrigieren. Diese Fehleinschätzungen werden nun von der CDU wieder auf den richtigen Weg gebracht. Doch die Umwandlung von Hartz IV zum Bürgergeld ist nicht unter der Regierungsführung der Unionsparteien geschehen, sondern Ergebnis der Ampelregierung. Wir als CDU treten nun an, dass sich Arbeit wieder lohnt und nicht umgekehrt. Interview: Sven Bargel
Mehr Oberleitungen als Erdkabel
Seit fast zehn Jahren wird in Deutschland darüber diskutiert, wie der Strom aus erneuerbaren Energien, vor allem aus Wind, vom Norden in den Süden kommt, da, wo er gebraucht wird. Bislang gilt laut Bundesregierung: Das Erdkabel hat Vorrang, entsprechende Trassen sind im Bau. Doch nun hat sich eine ungewöhnliche Allianz von Ministerpräsidenten zusammengefunden, die eine Abkehr von dieser Linie fordern. Baden-Württembergs Regierungschef Winfried Kretschmann von den Grünen, sein CDU-Amtskollege Michael Kretschmer aus Sachsen und SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke aus Brandenburg fordern nun: Will man die Energiewende voran bringen, braucht es Überlandleitungen. Auch aus Sicht der Bundestagsfraktionen der FDP und der Union sind Erdkabel zu teuer und die gesetzten Zeiträume nicht zu schaffen. Sie alle sprechen sich dafür aus, Deutschlands Stromnetze schneller, vor allem aber kostengünstiger mit Überlandleitungen auszubauen.
Bürokratie legt Pflege lahm
„Die Bürokratie im Gesundheitswesen hat längst ein irrsinniges Eigenleben entwickelt.“ Dies sagt Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates. „Wir brauchen einen Systemwechsel, der auf Vertrauen statt auf Kontrolle und Misstrauen setzt. Dazu gehört es auch, Pflegeeinrichtungen und Kliniken in die Lage zu versetzen, den Personalbedarf anhand der Pflegebedürftigkeit der Patienten und Bewohner mit Unterstützung der Personalbemessungsverfahren zu steuern.“ Für Vogler ist es nicht mehr nachvollziehbar, dass ausländische Pflegekräfte in Deutschland nicht arbeiten dürfen, weil ihnen bestimmte Berufsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt werden, obwohl diese mit der deutschen Ausbildung vergleichbar sind. „Diese ganze Bürokratie raubt Geld und Arbeitskraft. Sie stiehlt Energie, Motivation, Arbeitszufriedenheit und die Zeit für hilfebedürftige Menschen. Sie gefährdet am Ende die pflegerische Versorgung, anstatt sie vermeintlich zu sichern“, so die Präsidentin des Deutschen Pflegerates gegenüber FORUM.
Rückzahlung erwartet
Uniper will die staatlichen Rettungsgelder wieder rückzahlen. Das hat der Düsseldorfer Konzern nun bekanntgegeben. Das nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gestrauchelte Energieunternehmen will demnach mehr als 3,4 Milliarden Euro an den Bund zurückzahlen. Die Summe besteht zum einen aus einer Rückstellung aus dem vergangenen Jahr mit einem Wert von 2,9 Milliarden Euro Ende Juni. Bei den übrigen rund 540 Millionen Euro handelt es sich vor allem um Geld, das Uniper im August 2022 im Zuge des Gasstreits mit dem russischen Gaskonzern Gazprom einbehalten hatte. Nach einem Schiedsgerichtsurteil darf das Unternehmen das Geld nun gegen Schadenersatzansprüche gegen Gazprom aufrechnen und für die Rückzahlung an den Bund bereithalten. Uniper gehört seit der Gaskrise von 2022 vorübergehend dem deutschen Staat. Dieser muss seine Beteiligung nun reduzieren.
Homeoffice hat sich etabliert
Laut einer Umfrage des Wirtschaftsforschungsinstituts ZEW hat sich die Arbeit von zu Hause zumindest auf einem stabilen Niveau etabliert. In 82 Prozent der Firmen der Informationswirtschaft arbeiten Beschäftigte mindestens einmal wöchentlich von zu Hause, im verarbeitenden Gewerbe, das logischerweise stärker ortsgebunden ist, sind es immerhin 48 Prozent. Der Anteil der Unternehmen, die ihren Beschäftigten mindestens einen Homeoffice-Tag pro Woche ermöglichen, verharrt damit nach Angaben von Studienleiter Daniel Erdsiek seit der Corona-Pandemie auf einem konstant hohen Niveau. Man sehe aktuell keine Anzeichen für eine Abkehr von solchen Angeboten, heißt es in der Studie. In einer vergleichbaren Studie im vergangenen Jahr lag der Wert bei Firmen der Informationswirtschaft bei 80 Prozent, im verarbeitenden Gewerbe bei 45 Prozent, damit ist sogar eine leichte Steigerung von Homeoffice-Angeboten in Deutschland zu verzeichnen. Für Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ist dies Anlass, erneut ein Recht auf Homeoffice einzufordern. Ein entsprechender Gesetzesentwurf soll bereits im Herbst dem Bundestag vorgelegt werden.
Gutachten
Zweifel an Bundeshaushalt
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat erneut Zweifel, dass der im Bundeskabinett ausgehandelte Kompromiss zum Bundeshaushalt 2025 vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hat. Unter anderem sollen erneut Gelder umgewidmet werden. Lindner hat dazu ein Gutachten in Auftrag gegeben, mit dem Ergebnis: Es gibt erhebliche Gefahren, dass die Haushaltsvereinbarung für das kommende Jahr in Teilen erneut verfassungswidrig sein könnte. Kritik kommt erwartungsgemäß von den Grünen und Sozialdemokraten in der Bundesregierung. SPD-Chef Lars Klingbeil spricht von einem Theater von Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner. „Diese ganze Aufführung, die wir erlebt haben, war völlig unnötig. Sie war überflüssig. Sie hat das Land noch mal zusätzlich verunsichert. Es ist der Job einer Bundesregierung, einen Haushalt dem Parlament zu übergeben“, so Klingbeil. Spätestens in der letzten Augustwoche soll nun der Haushaltsplan für das kommende Jahr unter Dach und Fach sein.
Schlechteste Ernte seit 40 Jahren
Frankreich, größter Agrarproduzent der EU, erwartet eine der schlechtesten Ernten seit 40 Jahren. Nach einem feuchten Winter und Unwettern lautet die Prognose des Landwirtschaftsministeriums in Paris, dass nur knapp 25 Prozent der Menge an Weichweizen im Vergleich zum vergangenen Fünfjahresmittel erwartet wird. Weichweizen macht knapp die Hälfte der Getreideerzeugung in Frankreich aus. Vielerorts läuft, wie in Deutschland, die Ernte noch, die immer wieder durch Regenschauer unterbrochen wird. Insgesamt geht man in Frankreich von zehn Millionen Tonnen weniger Getreide aus als im vergangenen Jahr. Auch die Weinproduktion muss mit Einbußen rechnen, allerdings nur mit leichten – wegen der in diesem Jahr anhaltenden Regenfälle ist der Boden unter den Reben bestens mit Wasser getränkt.
Fridays for Future
Proteste gegen Gasprojekt
Die Klimaaktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future warnt vor der geplanten Gasförderung vor der Nordseeinsel Borkum. Sollten die Bundesregierung und die Niederlande das Projekt genehmigen, werde Deutschlands Glaubwürdigkeit als Klimaschutznation „komplett über Bord gehen“, obwohl man von anderen Staaten erwarte, dass sie ihre fossilen Rohstoffe im Boden lassen, sagte Neubauer kürzlich. „Wer eine Energiewende möchte, der kann nicht nur anfangen mit Solar und Wind, der muss auch bereit sein, aufzuhören mit der fossilen Ausbeutung.“ Darüber hinaus gefährde das Gasprojekt vor Borkum mit dem Wattenmeer ein einzigartiges Naturschutzgebiet und Unesco-Welterbe. Die Gasförderung vor Borkum ist in Niedersachsen seit Jahren ein Streitthema. Das niederländische Unternehmen One-Dyas will dort Ende 2024 das erste Erdgas fördern. Ob die Bohrungen erlaubt werden, ist aber noch offen.
Waffengesetze verschärft
Noch nie gab es in Deutschland so viele Körperverletzungen bei Auseinandersetzungen durch Messerstiche wie in den ersten sechs Monaten dieses Jahres. In Anbetracht dieser alarmierenden Zahlen will nun Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) das Waffengesetz verschärfen. Zukünftig sollen Springmesser generell verboten werden. Das sind Taschenmesser, deren Klinge auf Knopfdruck aufklappt. Dazu soll die Klingenlänge von Taschenmessern auf sechs Zentimeter begrenzt werden. Bislang beträgt die zugelassene Klingenlänge 12 Zentimeter. Sicherheitsexperten haben Zweifel, dass so ein Verbot tatsächlich schnell Wirkung in der Kriminalitätsstatistik haben würde. Allerdings könnte die Polizei bei Überprüfungen Springmesser oder Messer mit einer Klingenlänge von mehr als sechs Zentimetern sofort sicherstellen. Das könnte auf lange Sicht die Sicherheit im öffentlichen Raum verbessern, so der Bund der Kriminalbeamte.
Offener Brief
Grenzkontrollen stoppen
Die derzeit bestehenden Kontrollen an den deutschen Grenzen sollen umgehend eingestellt werden, denn damit verstoße man gegen das Schengen-Abkommen. Dies teilten mehrere Politiker der Grünen in einem offenen Brief an EU-Präsidentin Ursula von der Leyen (CDU) mit. Gegen diese Forderung stellt sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Für sie sind die Kontrollen erfolgreich im Kampf gegen illegale Migration. In dem Brief an die EU-Kommission argumentieren dagegen Abgeordnete der Grünen aus dem EU-Parlament, dem Bundestag und aus verschiedenen Landesparlamenten: „Deutschland handelt aktuell, wie sieben andere EU-Mitgliedsstaaten, nicht konform mit dem Schengener Grenzkodex. Zudem zeigt ein neues Fachgutachten, dass die beabsichtigte Wirkung der Grenzkontrollen und diesbezügliche Erfolgsmeldungen sehr fragwürdig und in vielen Fällen nicht statistisch belegt sind.“
Wiegand Will's Wissen
Blickpunkt Europa
Es ist knapp eine Woche her, dass fast 200.000 zum Großteil weltweit angereiste Fans des US-Superstars Taylor Swift wegen eines aufgedeckten Massenmordplans nicht ins Stadion konnten. Seit der richtigen Entscheidung der Veranstalter schwirrt eine bange Frage herum: Sind solche Events sicher?
Fakt ist: Seit über einem Jahrzehnt zielt Islamistenterror auf musikalische Symbole freien Lifestyles. 2015 Paris: 130 Tote. 2017 Manchester: 23 Tote. 2023: Re‘im, Israel: 350 Tote. Im März Krasnogorsk bei Moskau: 133 Tote.
Die destruktiven Kräfte lauern unter uns. Sie reisen nicht ein, sondern sind schon da. Besonders anfällig: Teenager aus migrantisch verwurzelten Familien, sagen Europas Sicherheitsbehörden, radikalisiert durch TikTok-Videos. Es ist kein weiter Weg von hasserfüllten pro-terroristischen Demos und Kalifats-Kundgebungen bis zu Attentatsfantasien.
Taylor Swift hat so etwas geahnt: Sie habe „große Angst“ vor ihrer Welttournee gehabt, sagte die 34-jährige Popkünstlerin in einem Interview. „Weil ich nicht wusste, wie wir drei Millionen Fans sieben Monate lang schützen sollten.” Weltweit schwitzen jetzt Experten genau daran.
Auf der anderen Seite sind die „Swifties“ ein Beispiel dafür, dass man sich nicht ins Bockshorn jagen lässt. Trotz Tränen und entsetzlicher Enttäuschung versammelten sich nach der Absage mehrere Tausend nahe vom Wiener Stephansdom und sangen Lieder ihres Idols.
Swift selber, auch dieser Tage in London stets mit Armeeverband gegen Schuss- oder Stichwunden ausgerüstet, hat die Richtung vorgegeben: „Wir müssen mutig leben, um uns wirklich lebendig zu fühlen.“
Wolf Achim Wiegand ist freier Journalist mit EU-Spezialisierung.