Warum ich das nächste Mal unbedingt einen Wasserkocher mitnehmen muss
Mein Tag als Flohmarktverkäuferin beginnt mit der Frage: Warum genau tue ich mir das an? Um 4.30 Uhr klingelt der Wecker, nicht unbedingt meine Wohlfühl-Aufsteh-Zeit. Okay, ich bin keine Langschläferin, aber 4.30 Uhr? Aber ich wollte es ja nicht anders. Der Flohmarkt meiner Wahl ist extrem beliebt und gilt als der größte der Region. Wenn man da nicht bis spätestens 6 Uhr abgeladen hat, kommt man mit seinem Auto kaum mehr vom Gelände vor lauter Menschen, Kisten und Kästen, großen und kleinen Autos, die noch nicht weggefahren wurden und – ja, Sie glauben es nicht – den ersten Besuchern.
Mein Abenteuer Flohmarkt hat aber eigentlich schon einen Tag zuvor begonnen – mit dem Versuch, die Nummer meines Platzes zu finden. Den hab ich schon Wochen vorher übers Internet gebucht. Das Problem ist: Auf der Ticketseite kann man zwar eine bestimmte Nummer anklicken, doch man hat nur eine ungefähre Ahnung, wo dieser Platz auf dem Gelände ist. Online gibt es nur eine Art Karte des Flohmarktgeländes mit verschiedenen grauen Feldern. Meine Nummer 520 schien sich irgendwo im grauen Nirwana eines dieser Felder zu befinden.
Aber, haha, ich bin ja schlau! Am Vortag fahre ich schon mal hin, um meine 520 zu finden, damit ich am Flohmarkttag nicht herumirren muss. Nachdem ich gefühlte zehn Stunden versuche, die wohl vor 100 Jahren auf den Boden gepinselten und mittlerweile vom Regen verwaschenen Zahlen zu entziffern, gebe ich auf. Völlig verzweifelt rufe ich bei der zuständigen Behörde an und – siehe da – es gibt einen genauen Plan, der mir dann ohne Murren zugemailt wird. Ich verkneife mir die Frage, warum der nicht gleich bei der Online-Buchung angezeigt wird.
Zurück zum Tag X. Um 5.30 Uhr bin ich auf der 520 und fange an, auszuladen. „Haben Sie einen Wasserkocher?“ Gerade hebe ich eine Kiste aus meinem Auto. „Äh, nein“, antworte ich. Weg ist der Frager. Schon kommt der nächste und umkreist interessiert meine bereits ausgeladenen Sachen. Darf ich vielleicht mal auspacken? Ich werde hektisch und stapele so schnell es geht alles Mögliche auf meinen Tapeziertisch. Was nicht mehr drauf passt, reihe ich schön ordentlich davor auf dem Boden auf. Fertig. Ein bisschen stolz und voller Vorfreude signalisiere ich durch eine eindeutige Körperhaltung: Ich bin bereit, Kunden, ihr könnt kommen!
Doch dann passiert erst mal nix mehr. So viel kann ich jetzt schon mal sagen: Die ganz Frühen, das sind die professionellen Schnäppchenjäger, die im Morgensonnenlicht über den Flohmarkt eilen und mit Argusaugen alles unter die Lupe nehmen, in der Hoffnung, seltene Stücke zu ergattern, bevor der Ansturm der Amateur-Käufer losgeht. Der kommt aber lange nicht. Denn jeder halbwegs normale Mensch steht natürlich nicht um 6 Uhr morgens auf, um gemütlich mal über den Flohmarkt zu schlendern.
Also verbringe ich meine Zeit mit dem gefühlt zehnten Kaffee, den ich mir am Crêpes-Stand nebenan kaufe, der Gott sei Dank so früh schon geöffnet hat. Und dazu noch ein Crêpe. Und später noch einen. Zehn Euro weg und noch nix verdient. Egal, es geht ja auch um den Spaß. Dann endlich geht es los, plötzlich versammeln sich die Kunden in Trauben vor meinem Stand. „Was kostet Tasche?“, „Ein Euro für das Buch, okay?“, „Welche Größe haben die Schuhe?“, „Haben Sie einen Wasserkocher?“ (war der nicht eben schon mal da??), „Oh ein Schokoladenfondue, schön, aber das macht dick“.
Nur die Ruhe bewahren, sage ich mir. Am schwierigsten sind die Preisverhandlungen, die allermeisten Leute wollen für das Allermeiste nur zwei oder drei Euro bezahlen. Auch wenn es sich um eine echte fast neue Ledertasche handelt. Alles über etwa acht Euro wird erst mal zurückgelegt. Und wenn ich von mir aus drei Euro ansage, kommt ganz oft: „Ein Euro!“ Ich dann: „Zwei Euro!“ Käufer dann: „1,50!!“ Na gut, Hauptsache weg. Manche bieten auch Sammelkäufe an. „Ich nehme vier Bücher für zwei Euro, okay??“ Hauptsache, weg.
Die meisten Leute sind freundlich, es ergeben sich nette Gespräche, und mit der Verkäuferin am Crêpes-Stand bin ich schon fast per Du. Der Tag vergeht im Nu, ich nehme abends noch einiges mit nach Hause, egal, vieles ist weg, ein schönes Taschengeld hab ich verdient, den Stundenlohn darf man natürlich nicht ausrechnen. Der Spaß zählt, und den hatte ich. Und beim nächsten Mal nehme ich auch einen Wasserkocher mit.