Die Apotheken in Deutschland stehen vor großen Herausforderungen: Schließungen, Personalmangel und eine belastende Reform verschärfen die Situation. Eva Gabriel, Apothekeninhaberin, erläutert die Gründe für das Apothekensterben und mögliche Lösungsansätze.
Frau Gabriel, als Inhaberin einer etablierten Apotheke kennen Sie sich bestens mit der aktuellen Situation auf dem Markt aus. Wie sieht es derzeit aus?
Die Lage ist angespannter denn je. Mit 21 Apotheken je 100.000 Einwohner liegen wir hier in Deutschland mittlerweile unter dem EU-Durchschnitt. Letztes Jahr haben insgesamt 500 Apotheken geschlossen. Viele junge Kollegen, die wie ich erst kürzlich eine Apotheke übernommen haben, fühlen sich von der Politik im Stich gelassen und sind schockiert über die anstehende Apothekenreform. Laut Herrn Lauterbach soll diese Reform die Apotheken unterstützen, in Wahrheit bewirkt sie das Gegenteil. Es werden noch mehr Kollegen schließen müssen. Dabei sind wir so wichtig! Wir sind ein essenzieller Bestandteil unseres Gesundheitssystems und fangen sehr viel ab. Jeden Tag liegen uns unklare oder fehlerhafte Verordnungen vor, wir klären Patienten über Nebenwirkungen, Dosierungen, Medikationspläne auf, kleben Pflaster auf Wunden, vor kurzem habe ich einem alten Herrn die Stirn eingecremt, meine Kollegin hilft oft bei Augentropfen, die Liste ist unendlich lang. Deshalb liebe ich meinen Job, wir helfen, kümmern und sind wichtig für die Gesellschaft. Insbesondere während der Corona Pandemie wurde der breiten Öffentlichkeit nochmal bewusst, wie wichtig die Apotheken vor Ort sind.
In den letzten Jahren hat sich die Apothekenlandschaft stark verändert. Welche Hauptfaktoren sehen Sie als treibende Kräfte hinter dem Apothekensterben?
Ganz klar die Politik. Wir als Apotheken sind abhängig von den Entscheidungen unseres Gesundheitsministeriums. Als Haupteinnahmequelle dient den meisten Apotheken die Abgabe von verschreibungspflichtigen Medikamenten zu Lasten der GKV. Was man daran verdient, wird vom Gesetzgeber festgelegt. Aktuell sind es drei Prozent vom EK plus 8,35 Euro. In den letzten 20 Jahren hat sich dies nicht geändert, im Gegensatz zu den Personalkosten, die um über 40 Prozent gestiegen sind. Dazu addieren sich die bekanntermaßen erhöhten Energiekosten, Mieten, etc. Da ist es nur folgerichtig, dass sich diese Rechnung für den Apothekeninhaber nicht mehr lohnt. Vor allem die kleinen Apotheken haben kaum noch einen rentablen Gewinn, da steht der Inhaber in manchen Monaten praktisch „umsonst“ in seinem Laden. Diese Apotheken finden meist keinen Nachfolger.
Im Gegensatz hierzu steigen die Einnahmen der gesetzlichen Krankenkassen jährlich! Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen im Vergleich zeigen, dass Arzneimittel aus Apotheken noch nicht einmal 15 Prozent ausmachen. Zudem sind die Arzneimittelpreise in den letzten Jahren deutlich gesunken! Und trotzdem sollen hier Millionen eingespart werden.
Das Apothekensterben ist in erster Linie ganz klar die Folge politischer Entscheidungen.
Der Wettbewerb mit Online-Apotheken hat sicherlich Auswirkungen auf traditionelle Apotheken. Wie wirkt sich dieser Wettbewerb konkret auf Ihr Geschäft aus?
Der Onlinehandel spielt mit Sicherheit auch eine Rolle beim Apothekensterben. Ich persönlich sehe da keine große Konkurrenz, denn außer einem etwas niedrigeren Preis hat uns der Onlinehandel nicht viel Substanzielles entgegenzusetzen. Viele Kunden setzen gerade bei der Gesundheit auf eine persönliche Beratung; sie vertrauen uns mehr als dem anonymen Internet. Außerdem sind wir immer noch schneller mit der Belieferung, man kann auch bei uns online bestellen und ein paar Stunden später wird es bis vor die Tür geliefert. Und zwar von einem verantwortungsvollen Fahrer, der das Päckchen noch persönlich überreicht und es nicht einfach vor die Tür stellt.
Bei vielen Produkten können wir auch preislich mit dem Internet mithalten. Es kommt aber durchaus mal vor, dass wir einem Kunden den Tipp geben, wo ein Präparat deutlich günstiger zu bekommen ist. Dann kann die Kundschaft selbst entscheiden. Bei uns steht klar der „Mensch Kunde“ im Vordergrund und wird durch ein Wiedersehen in der Apotheke honoriert.
Um dem Online-Wettbewerb zu begegnen, sind sicher verschiedene Maßnahmen notwendig. Welche konkreten Schritte haben Sie unternommen, um Ihre Position zu stärken?
Preisdumping und aggressive Werbung sind die Lösungen einiger Kollegen. Davon halte ich nichts. Ich setze auf ausreichend Fachpersonal und qualifizierte Dienstleistungen. Man muss investieren, um etwas zurückzubekommen. Ich versuche, auf allen Ebenen „up-to-date“ zu bleiben, zum Beispiel kann man bei uns auch Payback Punkte sammeln, bei unserm Botendient mit ec-Karte zahlen, und ich spiele mit dem Gedanken, Paypal-Zahlungen in unserem Onlineshop zu ermöglichen. Außerdem haben wir einen coolen Instagram- und Facebook-Account, die einen Blick hinter die Kulissen gewähren. Wir sind ein recht junges Team, sodass solche Dinge auch gut funktionieren.
Der Fachkräftemangel ist ein bekanntes Problem in vielen Branchen. Wie schwierig ist es für Sie derzeit, qualifiziertes
Personal für Ihre Apotheke zu finden?
Da meine Zeit als angestellte Apothekerin noch nicht so lange zurück liegt, weiß ich noch was mir immer wichtig war. Ich versuche meine Angestellten so zu behandeln, wie ich selbst gern behandelt werden wollte. Mein damaliger Chef hat mir viel beigebracht. Nur zufriedene Mitarbeiter sind gute Mitarbeiter. Ich zahle fair und gerade in einer kleinen Stadt wie Saarbrücken spricht sich das rum. Trotzdem gibt es immer wieder Phasen, in denen sich einfach niemand bewirbt. Die meisten jungen Apotheker und Apothekerinnen gehen in die Industrie, da hier besser bezahlt wird und die Arbeitszeiten nicht an Öffnungszeiten gebunden sind. Faire Löhne sind aber natürlich nur möglich, wenn man auch einen entsprechenden Gewinn hat. Wie das in Zukunft aussieht, weiß ich nicht.
Es gab gerade letztes Jahr diesbezüglich eine belastende Phase, in der ich durchaus verzweifelt war, weil sich einfach trotz zahlreicher Stellenanzeigen niemand beworben hat. Da habe ich meine Familie ziemlich wenig gesehen, und meine Mutter musste häufig meine zwei kleinen Kinder von der Kita abholen. Ich habe schon versucht, über Personalvermittlungsagenturen an Angestellte zu kommen, allerdings entstanden damals daraus nur Kosten und keine neuen Mitarbeiter. Es ist zeitweise sehr, sehr schwierig, aber als Apotheke in der Stadt ist es für mich noch vergleichsweise einfacher als bei einer kleineren Landapotheke.
Der Nachwuchs ist essenziell für die Zukunft der Apotheken. Welche Strategien verfolgen Sie, um junge Menschen für den Apothekerberuf zu gewinnen und auszubilden?
Wir haben einen schönen Auftritt auf diversen Social-Media-Plattformen, eine ansprechende Internetseite mit einem coolen Video. Natürlich nicht zu vernachlässigen ist der Faktor Geld. Eine übertarifliche Zahlung und ein paar Extras, die nicht jeder anbietet, sind oft ausschlaggebend.
Der Apothekensektor steht vor vielen Veränderungen. Welche zukünftigen Entwicklungen und Trends sehen Sie in der Branche?
Wenn sich politisch nichts tut, wird es noch zahlreiche Apothekenschließungen geben. Das führt dazu, dass in den übrig gebliebenen Apotheken die Schlangen immer länger und die Zeit für eine ausführliche Beratung immer kürzer werden. Um am Wochenende eine Apotheke im Notdienst zu finden, werden wir dann auch mal Strecken von 10-20km fahren müssen. Lieferengpässe werden immer häufiger und die Versorgungslage wird recht angespannt sein. Auf dem Land wird es wahrscheinlich nur noch Abgabestellen ohne Beratung oder Dienstleistungen geben. Das wird zu einigen Problemen führen. Einnahmefehler oder auch Fehler in der Selbstmedikation können durchaus zu teuren Krankenhausaufenthalten oder zu lebensbedrohlichen Situationen führen. Die Sparpolitik ist äußerst kurzfristig gedacht und führt zu noch mehr Kosten!
Digitale Technologien gewinnen immer mehr an Bedeutung. Welche Rolle spielen diese Technologien und Services in Ihrer Apotheke, und wie planen Sie deren Ausbau in der Zukunft?
Das ist ein weitreichendes Themengebiet, ich versuche mit beiden Apotheken immer auf dem neuesten Stand zu sein und möglichst viel zu digitalisieren. Das fängt bei der Buchhaltung im Backoffice an, und hört vorne am Kunden mit einer digitalen Sichtwahl auf. In unserer neu renovierten Rastpfuhl-Apotheke haben wir einen Kommissionierautomat, der uns die Arbeit erleichtert. Außerdem gibt es ein 24h-Pickup-Terminal, wo Kunden ihre Bestellungen rund um die Uhr abholen können. Wir haben einen Onlineshop und bei unserem Botendienst kann man bequem mit der Karte zahlen. Für die Mitarbeiter haben wir ein digitales Mitarbeiterportal zur Erfassung von Urlaub, Arbeitsplänen und Überstunden. Das kostet selbstverständlich alles Geld, aber spart uns auch Arbeit. Für die Hauptapotheke hätte ich auch gerne einen Kommissionierautomaten, denn die ständig wechselnden Rabattverträge und die enormen Lieferengpässe erfordern ein extrem hohes Maß der Lagerpflege. Ich habe eine Mitarbeiterin, die sich fast den ganzen Tag um die Verräumung der Waren kümmert. Aber durch die geplante Apothekenreform von unserem Gesundheitsminister sind die Überlegungen zur Anschaffung eines weiteren Kommisionierautomaten, der durchaus in sechsstellige Kostenbereiche hineinragt, erst mal auf Eis gelegt. Ich weiß nicht ob ich bei dem unsicheren Ausblick auf die Zukunft der Apotheken einen Kredit über zehn Jahre aufnehmen sollte.
Die persönliche Kundenberatung ist ein wichtiger Bestandteil des Apothekengeschäfts. Wie schätzen Sie deren Bedeutung im Vergleich zu den Online-Angeboten ein?
Die Beratung vor Ort wird immer wichtiger. Die meisten Ärzte haben relativ wenig Zeit, sich auf den Patienten einzulassen und Dinge zu erklären. Das muss dann in der Apotheke nachgeholt werden. Es geht hierbei nicht nur um fachliche oder pharmazeutische Fragen, sondern auch um das zwischenmenschliche Miteinander. Manchmal ist es schon ausreichend, wenn man sich gehört fühlt. Außerdem ist die Beratung vor allem bei akuten Beschwerden enorm wichtig. Der Kunde kommt häufig mit einem Präparatewunsch aus Werbung etc., und es stellt sich heraus, dass diese gar nicht für seine Beschwerden geeignet sind. Auf der anderen Seite kommen Kunden auch beispielsweise mit einer Wunde, mit der wir sie an einen Arzt verweisen. Das kann das Internet nicht leisten. Andersherum könnten wir leichte Infekte, oder kleinere medizinische beziehungsweise pharmazeutische Fragestellungen auch lösen, ohne dass der Kunde an einem Samstag oder Nachmittag in die Notaufnahme muss. Wir haben hier viel ausländische Kundschaft, meine Mitarbeiter sprechen arabisch, italienisch, englisch und russisch, sodass hier auch viele Verständnisprobleme geklärt werden können. Darüber hinaus ist es auch unsere direkte Aufgabe vor Ort, Fehler oder Missverständnisse in den Verordnungen zu identifizieren und aufzulösen. Solche Irritationen können nur in einer gut strukturierten Apotheke vor Ort mit ausreichendem Fachpersonal entdeckt werden. Einige Patienten haben in manchen Fällen keine Ahnung, welche Medikamente sie einnehmen, und durch die ständig wechselnden Packungsdesigns bei Herstelleränderung aufgrund der Rabattverträge der Krankenkassen kommt es zu Verwechslungen.
Die Zukunft der Apotheken hängt auch von politischen und regulatorischen Rahmenbedingungen ab. Welche Unterstützung wünschen Sie sich von der Politik und den Gesundheitsbehörden, um die Zukunft der Apotheken zu sichern?
Hauptsächlich wünsche ich mir Respekt und Wertschätzung, die sich in einer angemessenen Honorierung widerspiegeln. Apotheken sind ein wichtiger Bestandteil unseres Gesundheitssystems. Man könnte die Kompetenz der Apotheker viel mehr nutzen. Ein Studium der Pharmazie erstreckt sich über acht intensive Semester an der Universität sowie zwei weiteren Semester Famulatur mit insgesamt drei abzuleistenden Staatsexamina, es ist eines der anspruchsvollsten Studien. Wir brauchen mehr Vertrauen aus der Politik, mehr Entscheidungsfreiheit!
Wir sind wichtig und können dem System Geld einsparen, wenn man uns nur lässt.
Wir haben oft den Eindruck, dass die Krankenkassen, welche von den Patienten bezahlt werden, die wir vor Ort versorgen, eher gegen die Apotheken als mit uns gemeinsam zu arbeiten, um die bestmögliche Versorgung des Versicherten zu erhalten. In einem Miteinander statt Gegeneinander wäre vieles mehr an positiven Effekten möglich. Stattdessen werden Rezepte in Teilen akribisch (teils von extra engagierten Firmen) untersucht, um größtenteils banale und formelle Fehler zu identifizieren, um die Erstattung zu reduzieren oder gänzlich zu streichen. In den meisten Fällen haben diese Fehler keine pharmazeutische Relevanz, vielmehr geht es um Rabattverträge oder einen fehlenden Arztvornamen.
Zum Beispiel hat uns eine gesetzliche Krankenkasse letztes Jahr im Dezember die Zahlung von 18 Euro für ein Antibiotikum für ein sechsmonatiges Baby verweigert, obwohl das Baby das Medikament erhalten hat. Da Antibiotikasäfte aus Deutschland zu diesem Zeitpunkt Lieferengpässen unterlegen waren, musste man auf ausländische Präparate zurückgreifen. In Deutschland ist dies nicht erlaubt, ohne vorher eine schriftliche Genehmigung der Krankenkasse einzuholen. Dieses Rezept bekamen wir an einem Sonntag im Notdienst. Wir haben das Antibiotikum daher ohne Genehmigung abgegeben, im Glauben im Sinne der Krankenkassen und der Versicherten gehandelt zu haben. Eine ausführliche Begründung auf dem Rezept und eine Rücksprache mit der Krankenkasse waren leider nicht ausreichend.
Dennoch liebe ich meinen Beruf und lebe für ihn, ich möchte, dass auch andere Generationen diese Leidenschaft erfahren dürfen, bevor uns die Politik kaputt gespart hat.