„Yoga kann jeder üben, der atmen kann“. Eines der bekanntesten Zitate über den Start in meine neue Bewegungsära stammt vom berühmten Yogalehrer T.K.S. Krichnamacharya. Im Atmen bin ich ganz gut, im Bewegen leider noch nicht. Ein Selbstversuch.
Die Entscheidung, eine Yogini zu werden, traf ich auf dem Sofa. Da saß ich mal wieder unzufrieden mit meiner körperlichen Inaktivität und den Ausmaßen, die das Ganze nahm. Kurzum, ich konnte meinen Bauch in schwabbelnde Bewegungen versetzen, die mich stark an den Nachtisch letzter Woche (Götterspeise) erinnerten. Es musste etwas passieren. Doch was? Joggen gehen fiel raus, da meine geschundenen Knie die Belastung nicht stemmen konnten. Aerobic erschien mir zu aktiv für den Start. Yoga vielleicht? In meiner Studentenzeit hatte ich über Zen-Meditation, eine spezielle Form des traditionellen Yogas, eine Hausarbeit geschrieben. Wenn das Menschen jeden Alters seit ewigen Zeiten tun, dann kann ich das auch! Also kaufte ich mir zunächst Leggings mit hohem Bund, damit alles da blieb, wo es sein sollte, und der Popo nicht irgendwann hinten herauspurzelte. Dazu weite Tops, schließlich wollte hier noch einiges an Bauchfett geschickt versteckt werden. Und natürlich eine Matte. Diese wählte ich extra lang und extra dick aus. Zu dünne Matten sind für die Liegepositionen nämlich nicht sehr bequem. Der Einkauf erfolgte typisch neuzeitlich, natürlich über das Internet. Fachkundige Sportgeschäfte hat unser Dorf ohnehin nicht zu bieten. Für meine ersten Trainingseinheiten wählte ich die bekannte Plattform für Videos, YouTube. Hier wurde ich geradezu überrannt von einem breiten Sortiment an kostenlosen Angeboten. Mal leitete diese ein gutaussehender Mann im Rippshirt, dann wieder eine Dame im stylischen Sportoutfit, mitunter gab es auch Gruppenübungen. Die empfand ich irgendwie sympathischer, weil ich mir einbilde, motivierter zu sein, wenn andere mitmachen. Mein Ziel: das andauernde Glück zu finden. In den uralten Yogaschriften wird dieser Zustand Samadhi genannt. Erreicht wird er nur durch beständiges Üben. Deshalb ist es auch falsch zu sagen: Ich mache Yoga. Richtiger ist: Ich übe Yoga! Die Übenden nennen sich Yogis (bei den Herren) oder Yoginis (bei den Damen). Wichtig ist es, eine Vereinigung von Körper und Geist zu erreichen und auf diese Weise zur inneren und äußeren Balance zu finden. So zumindest steht es im Sanskrit geschrieben, der ältesten und als heilig geltenden Schriftsprache der Welt. Damit das Üben gelingt, muss sich der Geist des Individuums frei machen und eins werden mit dem Universum. Damit geht eine Reise einher. Der Weg ist dabei das Ziel. Deshalb ist niemand je fertig, Yoga zu üben. Beständigkeit, Achtsamkeit und Entspannung sind die Punkte, die dabei abzuarbeiten sind. Es geht also nicht darum, einfach ein paar Muskeln zu trainieren, es handelt sich um eine Art Meditation. Das klingt für mich erst einmal gut, denn für Anfänger bedeutet das wenig Schweiß und viel Ruhe. Hoffentlich!
Tatsächlich startet Übung Nummer eins aus meinem ersten Video mit dem richtigen Sitzen. Die Beine übereinandergeschlagen im Schneidersitz, den Rücken aufgerichtet, den Kopf locker nach vorn ausgerichtet, einen festen Punkt fixierend und die Handflächen auf den Knien liegend zur Decke hin geöffnet, fangen wir an zu atmen. Eine tiefe, gleichmäßige Bauchatmung ist die Anweisung. Was einfach klingt, hat so seine Tücken. Während der Atmung soll sich der Geist frei machen. Er soll ein leeres Gefäß sein. Mein Gefäß ist voller Gedanken: Was ich die Woche alles erledigen will, ob die Eier im Kühlschrank für das Mittagessen reichen, wann der Nachwuchs noch mal schulfrei hat und wann der Elektriker kommen wollte, um zwei Steckdosen im Garten zu reparieren? Zumindest die Körperhaltung klappt. Ich verharre mehr oder weniger entspannt auf meiner Matte im Schneidersitz und merke so langsam, wie meine Knie sich nach einer Pause sehnen. Nur kurz einmal aufstehen, scheinen sie mich zu locken. Doch ich sitze, wie die drei Menschen mir gegenüber auf dem Bildschirm auch. Nun ändert sich die Musik. Damit kommt auch Bewegung in die Gruppe und eine neue Übung steht an: Strecken! Dazu zunächst den rechten Arm weit über die rechte Schulter nach oben recken, dann das gleiche andersherum. Das wiederholen wir eine kurze Weile, schütteln die Schultern und Arme anschließend aus. Das Ganze natürlich lächelnd. Alle lächeln. Auch ich grinse stolz, schon gut zu sitzen und zu atmen und peinlich berührt, dass mir das tatsächlich nicht so leicht fällt wie gedacht. Nun steht ein Positionswechsel an. Es geht in den Vierfüßlerstand. Dabei liegen meine Knie mit etwas Abstand nebeneinander auf der Matte, die Hände halten den Oberkörper und ruhen davor. Wir biegen nun den Rücken und formen einmal ein Hohlkreuz, dann wieder einen Katzenbuckel. Das tut überraschend gut. Langsam dämmert es mir: Yoga ist eine Technik, die nicht so sehr auf das schnelle Wiederholen von Einheiten Wert legt, sondern auf eine ruhige und konzentrierte Ausführung ausgewählter Dehnungen, die den Körper schließlich mobilisieren sollen. Sechs Minuten und einige Verrenkungen später sind wir beim Hund angekommen. Endlich! Den kenne ich nämlich schon. Zumindest vom Namen her, genau wie den Sonnengruß. Wann immer man über Yoga spricht, scheint auch niemand an den komischen Bezeichnungen für die Übungen vorbeizukommen. Doch was ist denn nun genau dieser berühmte Hund? Wir liegen auf dem Bauch. Po und Beine sind angespannt. Die Arme stützen den Oberkörper, der sich aufrichtet. Es entsteht eine Anspannung, die bis in den kleinen Zeh hinein spürbar ist. Danach folgt der entspannende Teil, indem der Kopf auf die Matte sinkt, die Arme sich neben den Körper legen und wir, man ahnt es schon, atmen. Das passiert natürlich die ganze Zeit, nur fällt es mir kaum noch auf. Zu konzentriert bin ich auf die einzelnen Übungen. Klar, sind ja auch meine ersten! Mein Anspruch ist es, alles richtig zu machen, auch um mir nicht am Ende irgendwo einen Nerv zu klemmen oder mich unnötig zu verrenken. Ab 40 plus ist man schließlich nicht mehr die Jüngste! Irgendwann kommen wir zurück auf die Knie. Nehmen unsere Arme gleichzeitig in die Luft und vereinen die Handflächen ineinander. Oder, um es mit der Stimme der Yogalehrerin zu sagen: „Nehme Deine Arme über die Seiten kraftvoll nach oben, umarme den Tag. Und mit der Ausatmung bringe die Hände vors Herz und senke den Blick.“ Nun dürfen wir uns noch ein Lächeln schenken und dankbar sein, dass wir etwas für uns selbst getan haben. Mehr als 24 Millionen Menschen haben das schon gemacht. So viele haben das Video gesehen. 12 Minuten Zeit mit sich selbst verbringen. Für eine 40- oder 60-Minuten-Klasse hat mir noch der Mut gefehlt. Vielleicht nächstes Mal? So in einigen Monaten. Noch reicht es meinem Körper, eine begrenzte Zeit zur Ruhe zu kommen. Und die hat überraschend gutgetan. Am Ende waren die Gedanken tatsächlich weg vom Elektriker und dem Mittagessen und ganz in mein Atmen und das Dehnen vertieft. Für ein erstes Experiment nicht schlecht, lobe ich mich noch einmal, ehe ich die Matte zusammenrolle und hinter dem Sofa verstaue.
„Yoga ist mehr als nur körperliche Fitness, es fördert innere Gelassenheit“
Nun würde eine Dusche anstehen, zumindest nach den meisten Sportarten. Doch geschwitzt habe ich nicht. Das tue ich generell wenig. Doch heißt das jetzt, ich habe zu wenig gemacht? Ich lese das nach und finde folgende Erklärung: Bei einem ruhigen Yogastil geht es tatsächlich darum, den Puls nicht unnötig in die Höhe zu treiben, die Atmung gleichmäßig zu halten und nicht zu schwitzen. Es coolt mich down! Mönche in chinesischen Klöstern betreiben auch Yoga, schon seit vielen hundert Jahren. Und sie schwitzen nicht, sie zeigen auch nicht den Hund oder sonst ein Tier. Sie sitzen oft tage-, manchmal wochenlang. Sie starren vor sich hin, nehmen weder Flüssigkeiten noch Nahrung zu sich. Meditation auf einer tiefen geistigen Ebene. Auch das haben sie geübt. Über viele Jahre. Eine andere Form von Yoga. So alt diese Techniken sind, so vielfältig sind sie auch. Es gibt Hatha Yoga, Slow Flow Yoga, Bikram Yoga, Yin Yoga, Power Yoga, Hot Yoga und noch viele andere. Die beiden Letztgenannten bringen einen sogar richtig ins Schwitzen. Um den Effekt zu verstärken, findet Hot Yoga extra in extrem heißen Übungsräumen statt. Damit versuchen die Praktizierenden die Hitze Indiens nachzuahmen, dem Subkontinent, aus dem diese Praxis stammt. Die Wärme soll den Stoffwechsel und die Durchblutung ankurbeln und dabei deutlich mehr Kalorien verbrennen als beim ruhigen „Standard-Yoga“ aus meinem Übungsvideo. Hier sollte allerdings vorab eine ärztliche Untersuchung erfolgen, damit der Körper nicht schlappmacht. Nichts für Anfänger!
Apropos, diese Anfängerin hier hat Blut geleckt. Die kommenden Wochen halte ich fleißig durch. Entdecke neben dem Hund auch den Fisch, die Kobra und viele weitere Positionen, deren Namen mir nicht mehr einfallen wollen. Ich finde meine Balance, kann nun auch auf einem Bein stehen. Hand- oder Kopfstand übe ich nicht, das ist mir irgendwie noch viel zu unsicher! Aber meine Videoeinheiten steigern sich. Von 13 Minuten schaffe ich nun schon 40 Minuten lange Einheiten. In meinem eigenen Tempo, aber immerhin! Mein Yin und Yang, die berühmten Gegensätze der chinesischen Philosophie, scheinen sich zumindest anzunähern. Manche stressige Alltagssituation bringt mich schon weniger in Rage als dies noch vor einigen Monaten der Fall war. Dabei übe ich nicht mehr regelmäßig, aber immerhin ab und zu. Zu einem Gang ins Fitnessstudio zu „echten Menschen“ konnte ich mich nicht durchringen. Dann wäre ich wahrscheinlich motivierter gewesen, die angebotenen Kurse durchzuziehen. Letztens hat mir eine Bekannte ihr eigenes Yoga-System schmackhaft machen wollen. Ein tägliches Programm über 30 Tage für mehr Fitness. Dafür hätte sich am Ende nicht nur mein Bauch, sondern auch der Geldbeutel deutlich schlanker angefühlt. Ich habe dankend abgelehnt, mache lieber mein eigenes Yoga-Ding. Ab und zu, wenn ich mag und kann. Neben dem Sofa. Ich atme und übe und versuche, an einfach nichts zu denken.