Eine gute Nachricht für Menschen, die sich umweltfreundlich ernähren und trotzdem kraftvoll essen wollen: Es geht auch ohne Fleisch, dafür mit smart zusammenwirkenden Bakterien.
Die Bakterien sind erfindungsreich, wie ein deutsch-amerikanisches Forschungsteam um den Oldenburger Mikrobiologen Dr. Gerrit Wienhausen herausfand: In einer Co-Kultur versorgen sich zwei Bakterien gegenseitig mit einem fehlenden Baustein und produzieren so gemeinsam Vitamin B12, – auch zugunsten einer Kieselalge.
Die Erkenntnis ist spannend, denn Menschen und andere Lebewesen sind wie Algen auf Vitamin B12 angewiesen, damit ihr Stoffwechsel funktioniert. Beide können dieses (überlebens-)wichtige Vitamin nicht selbst produzieren. Und Bakterien, die gemeinsam Vitamin B12 produzieren, könnten auch fürs Vitamin B12 im Darm des Menschen wichtig sein.
„Es ist faszinierend, wie komplex das Zusammenspiel zwischen Bakterien sein kann“, betonte Wienhausen anlässlich einer Publikation im Wissenschaftsmagazin „Nature“. Darin berichtet der Mikrobiologe als Co-Autor von atemberaubenden Erkenntnissen aus dem Sonderforschungsbereich „Roseobacter“ unter Leitung von Professor Dr. Meinhard Simon.
Forschende aus Oldenburg, Braunschweig, Göttingen und Bonn haben von 2010 bis 2023 die Bakterien dieser Gruppe, die in allen Lebensräumen der Weltmeere vorkommen, auch auf ihre biogeografischen Funktionen analysiert.
Während sich Gerrit Wienhausen in Elternzeit befindet, stellte sich Professor Meinhard Simon unseren Fragen.
Herr Professor Simon, als Mikrobiologe sind Sie durch Ihre Arbeit auf höchst interessante Erkenntnisse zur Interaktion von Bakterien gestoßen, deren Beziehung indirekten Einfluss auf unseren Umgang mit der Umwelt haben könnte. In Ihrem Forschungsvorhaben fokussieren Sie sich auf zwei Bakterien, die jeweils einen der beiden Bausteine von Vitamin B12 produzieren. Wie kam es zu Ihrer Forschung in mikrobiellen Gemeinschaften der Nordsee und zu exakt diesem Ansatz?
In früheren Arbeiten hatten wir gefunden, dass der kleinere der beiden Bausteine von Vitamin B12 produzierenden, also B12-prototrophen Bakterien (das heißt, sie können eigenständig das Vitamin organisch aufbauen; Anm. d. Red.) ausgeschieden wird und im Meerwasser vorhanden ist. Zudem ist seit mehr als 20 Jahren bekannt, dass Vitamin B12 nur von bestimmten Prokaryonten (das heißt, einzelligen Lebewesen, die keinen Zellkern besitzen; Anm. d. Red.) und vor allem Bakterien produziert werden kann, nicht aber von vielen anderen Bakterien, also B12-auxotrophen Bakterien (das heißt, sie können nicht selbst diese lebenswichtige Substanz produzieren, Anm. d. Red.), und nicht von Eukaryonten, also zellkernhaltigen Einzellern und höheren Organismen. Basierend auf diesen Ausgangsbefunden sind wir der Frage nachgegangen, ob zwei Bakterien, die jeweils nur einen der beiden Bausteine produzieren können, sich gegenseitig mit dem fehlenden Baustein versorgen und so gemeinsam B12 produzieren können. Wir haben dann in einer Sammlung von Bakterienisolaten aus der Nordsee zwei Bakterien identifiziert, welche genau diese Fähigkeiten besitzen. Diese Bakterien und ihre Wechselbeziehungen hinsichtlich des Austausches von Vitamin B12 und dessen Bausteinen wurden für die Versuche genauestens untersucht.
Was konkret haben Sie in Ihren Experimenten mit den beiden Bakterien beobachtet, die als Kleinstlebewesen wohl nicht wirklich freundlich miteinander umgegangen sind?
Wir konnten beobachten, dass eines der beiden B12-auxotrophen Bakterien, Colwellia sp. M166, den kleineren Baustein produziert und ausscheidet und das andere Bakterium, Roseovarius sp. M141, den großen Baustein produziert. Wenn beide Bakterien in einer Co-Kultur zusammenwachsen, versorgen sich beide Bakterien gegenseitig mit dem fehlenden Baustein und produzieren gemeinsam Vitamin B12, bilden also zusammen eine B12-prototrophe Zweckgemeinschaft. Sie können sogar einen weiteren auxotrophen Organismus, eine Kieselalge, mit B12 versorgen. Dieses Konsortium (Zusammenarbeit; Anm. d. Red.) mit drei Partnern konnten wir über zehn Wochen gemeinsam wachsen lassen. Dabei versorgte die Kieselalge die Bakterien mit organischen Nährstoffen und die Bakterien die Kieselalge mit Vitamin B12. Es waren außer Licht, Kohlendioxid und anorganischen Quellen für Stickstoff und Phosphor keine anderen Nährstoffe zugesetzt worden.
Bei diesen und begleitenden Untersuchungen stellten wir fest, dass Roseovarius Vitamin B12 nur freisetzte, wenn unter Anwesenheit von Colwellia ein im Roseovarius-Genom integrierter Virus, ein Bakteriophage (das heißt, ein Virus, der Bakterien angreift; Anm. d. Red.), induziert wurde, sich in den Roseovarius-Zellen vermehrte und diese zum Platzen brachte. Nur so wurde B12 freigesetzt und war so den anderen Organismen verfügbar. Dies führte zu einem oszillierenden (schwingenden; Anm. d. Red.) Wachstum von Roseovarius und Colwellia im Verlauf der zehn Wochen. In mikroskopischen Untersuchungen konnten wir feststellen, dass im Mittel nur in etwa fünf Prozent der Roseovarius-Population der Bakteriophage induziert und somit angeregt wurde, also über 90 Prozent davon nicht betroffen waren.
Roseovarius konnte demnach also die Phageninduktion (das heißt, den Beginn der Vermehrung der Phagen aus dem Genom des Bakteriums; Anm. d. Red.) durch Colwellia gut verkraften und wurde im Wachstum dadurch nur unwesentlich beeinträchtigt.
Wie ging die Story der aggressiven Vitamin-B-Produktionsbakterien weiter: Welche Schlüsse haben Sie aus Ihren Beobachtungen gezogen?
Es ist nicht richtig, hier von aggressiven oder nicht freundschaftlich miteinander umgehenden Bakterien zu sprechen. Im Gegenteil: Wenn von der Roseovarius-Population nur fünf Prozent durch Phageninduktion lysieren (das heißt, geschädigt werden und sich auflösen; Anm. d. Red.), also absterben, und 95 Prozent weiterleben, kann dieses Bakterium bestens leben und profitiert von der Anwesenheit von Colwellia, da letzteres Bakterium es ja mit dem kleineren B12-Baustein versorgt, den es selbst nicht produzieren kann. Und Colwellia profitiert von Roseovarius, da dieses Bakterium es mit B12 und aller Wahrscheinlichkeit nach auch mit weiteren Vorläufern des großen B12-Bausteins versorgt. Darauf deuten Analysen des Transkriptoms (das heißt, der Gesamtheit aller mRNA-Moleküle einer Zellpopulation; Anm. d. Red.) hin, die zeigen, dass die Genprodukte der Biosynthese dieses Bausteins sehr intensiv gebildet werden.
Eine wichtige Schussfolgerung unserer Untersuchungen ist, dass zwei B12-auxotrophe Bakterien, die jeweils einen der beiden Bausteine produzieren können, zusammen wie ein B12-prototrophes Bakterium agieren, also eine echte Symbiose bilden können, um B12 herzustellen. Und unsere Analysen von Bakteriengemeinschaften aus dem Atlantischen Ozean deuten darauf hin, dass eine solche symbiotische Beziehung von Bakterien zur Produktion von Vitamin B12 dort wohl recht häufig vorkommt, sie in einigen Gebieten häufiger als B12-prototrophe Bakterien auftreten.
Lebewesen sind auf Vitamin B12 angewiesen: Wenn solche spektakulären Vitamin-B-Beziehungen im Meer anzutreffen sind, gibt es sie dann auch in anderen Ökosystemen?
Vom Auftreten solcher symbiotischer Beziehungen in anderen Ökosystemen sind wir überzeugt, zum Beispiel im Boden, im Sediment von Seen und dem Meer, aber auch im menschlichen Darm. Allerdings fehlen hierfür bisher Untersuchungen. Unsere Befunde sind sicherlich Anregungen, solche Untersuchungen in anderen Ökosystemen durchzuführen.
Veganern wird oft vorgehalten, dass sie Vitamin-B-Mangel provozieren, wenn sie kein Fleisch essen: Decken Algen ihren Vitamin-B12-Bedarf mithilfe von Kühen und Schweinen, die versehentlich ins Meer fallen?
Da von allen Organismen ausschließlich Bakterien und Archäen (d. h. zellkernlose „Ur-Bakterien“; Anm. d. Red.) die zweite Domäne von Prokaryonten, Vitamin B12 produzieren können, und insgesamt nur 30 Prozent dieser Prokaryonten, sind alle anderen Organismen, insbesondere alle höheren Organismen, auf die unmittelbare oder mittelbare Versorgung mit Vitamin B12 durch diese Prokaryonten angewiesen. Alle Algen im Meer decken also ihren B12-Bedarf durch Bakterien. Höhere Organismen, auch alle Säugetiere, haben für die Versorgung von Algen mit B12 keine Bedeutung.
Veganer müssen ihren Vitamin-B12-Bedarf durch entsprechende Versorgung durch pflanzliche oder bakterielle Produkte, die B12 enthalten, abdecken, unabhängig davon, ob diese Organismen B12 selbst produzieren oder es aufnehmen. Zu diesen Produkten gehören frische oder fermentierte Milch-, Soja- und Getreideprodukte, zum Teil nach Anreicherung mit B12. Allerdings bedingt die Anreicherung den Zusatz von Vitamin B12, da es ursprünglich nicht in den Produkten enthalten ist.
Warum gibt es so viele Mythen und Fakes zu Produzenten und Lieferanten von Vitamin B12 aus der Natur?
Offensichtlich ist bisher viel zu wenig bekannt darüber, welche Organismen Vitamin B12 produzieren und wie es in der Natur vorkommt und in Nahrungsketten verbreitet wird. Wer sich durch Vitamin-Pillen damit versorgen will, hat wenig Interesse, Genaueres über die natürlichen Produzenten und die Verbreitungswege von Vitamin B12 in der Natur zu erfahren. Hier besteht großer Aufklärungsbedarf.
Wenn Sie die Ergebnisse Ihrer Forschung im Meer aufs Land übertragen: Könnte es sein, dass auch auf Wiesen und Weiden ähnliche Vitamin-B12-Beziehungen von Bakterien existieren und es besser für uns und die Umwelt wäre, wenn sich Menschen ihr Vitamin B12 direkt aus grünen Gewächsen im Wasser oder an Land holen, als über den Umweg Tierfleisch?
Höhere Pflanzen produzieren und benötigen kein Vitamin B12. Daher ist es eher unwahrscheinlich, dass die von uns gefundenen Beziehungen auch auf Wiesen und Weiden gefunden werden, aber vermutlich im Boden und auch im Darm von höheren Tieren und dem Menschen. Die einzigen B12-Produzenten sind die oben genannten Bakterien, zu denen auch Cyanobakterien, „Blaualgen“ oder blaugrüne Bakterien, gehören. Es ist bekannt, dass es im Darm bestimmte B12 produzierende Bakterien gibt. Demnach sollten auch Veganer und Vegetarier bei entsprechender Ernährung und „Förderung“ dieser Darmflora in ihrem Darm-Mikrobiom ausreichend Vitamin B12 zur Verfügung haben. Aus Indien ist eine entsprechende Ernährung und Versorgung durch B12 bekannt.
Kann Ihre Entdeckung der faszinierenden Vitamin-B-Beziehung zweier Bakterien dazu beitragen, Umwelt und Klima zu schonen, indem das so produzierte Vitamin B12, beispielsweise über Algen, in die Nahrungskette der Menschen gelangt oder der Mensch angeregt wird, seiner Vitamin-Werkstatt im Darm mehr Gutes zu tun? Könnte Massentierhaltung überflüssig werden?
Unsere Entdeckung wird zu diesem Themenkomplex vermutlich wenig beitragen können, da es sich hier um grundlegende Erkenntnisse handelt. Die Frage der Versorgung und Verbreitung mit Vitamin B12 hat relativ wenig direkt mit solchen Umwelt- und Klimafragen zu tun.