Im Jahr 2013, auf dem Cover von „Chanson“, wirkte die kanadische Singer-Songwriterin Jill Barber noch nachdenklich-schüchtern. Dass ihrem ersten, erkennbar ehrfürchtigen, aber doch recht braven Ausflug ins Französische so ein überwältigender Erfolg vergönnt war – damit war nicht zwingend zu rechnen. Indes: Umjubelte, weltweite Tourneen sprachen eine andere Sprache, „Chanson“ traf offenkundig einen Nerv, klassische Chansons wie „Petit fleur“, „J’attendrai“ oder „Sous le ciel de Paris“ freuten sich über die Interpretationen einer spürbar ambitionierten Genre-Novizin.
Barbers Erweckungserlebnis war ein Auftritt beim Montreux Jazz Festival. Wo sie nämlich für ihre französischen Cover-Versionen euphorischer gefeiert wurde als für ihr eigenes Repertoire.
Sprachkurse stärkten in der Folge Barbers Selbstbewusstsein, die Liebe zu Edith Piaf, Serge Gainsbourg, Charles Aznavour und zu deren Poesie.Verletzlichkeit und Sinnlichkeit waren sowieso schon immer vorhanden gewesen. Und natürlich sprach all das mit Macht für „ENCORE!“, die heißersehnte Zugabe zu „Chanson“ – und zwar jetzt großgeschrieben, mit Ausrufezeichen sowie weit lässigerem, stilvollerem Cover-Auftritt.
Und all das findet sich eben auch in Barbers aktueller frankophiler Performance wieder. Diese geriet leichter, swingender, auch zwingender, eleganter, insbesondere aber auch freier als beim Vorgänger. Blossom Dearies „Plus je t’embrasse“ eröffnet das Album mit jazzig-federndem Piano und einem süßen Streichermeer ganz vorzüglich. In Charles Trenets „Ménilmontant“ versprüht ein Akkordeon Paris-Charme, Bläser pusten Cabaret-Flair hinein.
Barbers Stimme unterscheidet sich auf der neuen Platte „ENCORE!“ beträchtlich vom Country-Folk-Existentialismus ihres überragenden 2023er-Werkes „Homemaker“. Ob bei dieser Diskrepanz jeder Fan mitgehen kann, ist zwar fraglich, aber am Ende unerheblich. Django Reinhardts feines „Nuages“ weiß genauso zu bezaubern wie Josephine Bakers aufrührerisches „De temps en temps“ oder Edith Piafs beseeltes „La mer“. Bleibt nur zu sagen: Bravo!