Jane Austen, die britische Autorin der Regency-Epoche, ist Kult. 1801 zog sie in das überaus vornehme Bath im Südwesten Englands und verewigte es in ihren Romanen. Wer auf den Spuren der Schriftstellerin wandelt, reist in eine Ära der Bälle und Tee-Partys, Spaziergänge und Picknicks.
Wie schön, Sie in diesem Hause begrüßen zu dürfen. Wenn ich mich vorstellen darf:
Mein Name ist Mr. Wickham. Ich bin der Held aus ‚Stolz und Vorurteil‘“, behauptet der junge Mann mit den braunen Locken, dem leicht überheblich wirkenden Lächeln und der gut sitzenden Offiziersuniform im Empfangssalon des Jane-Austen-Centres. Unter den zumeist weiblichen Besuchern breiten sich Gelächter und empörtes Kopfschütteln aus. Der Held aus Jane Austens bekanntestem Roman? Von wegen! Der heißt Fitzwilliam Darcy, wollen wir doch bei der Wahrheit bleiben! So leicht lassen sich echte Austen-Fans nicht hinters Licht führen – schon gar nicht in Bath, wo die berühmte Schriftstellerin fünf Jahre ihres allzu kurzen Lebens verbrachte. Von 1801 bis 1806 residierte Jane Austen in der mondänen Kur- und Bade-Stadt am Fluss Avon. Schon die alten Römer tauchten hier ihre Glieder in die einzigen heißen Quellen Englands. Die Unesco adelte die Stadt als Weltkulturerbe. Zu Austens Zeit jedoch war Bath der Hotspot der wohlhabenden Gesellschaft, begehrter Heiratsmarkt und Hohe-Tempel für Glücksspieler und Vergnügungssüchtige aller Art, kurz: das Las Vegas des 18. Jahrhunderts. Mithin der perfekte Ort, um die literarische Fantasie einer ebenso begabten wie scharfzüngigen jungen Schriftstellerin zu beflügeln. Zwei Bücher des nur sechs Romane umfassenden Austen-Oeuvres spielen in Bath, doch in jeder ihrer Arbeiten wird die Stadt erwähnt.
„Eine gute Heirat war die einzige Absicherung“
Würde man sich die Autos, die Neon-Reklamen, die Kaufhausketten und all die anderen Insignien moderner Zivilisation wegdenken, so gäbe Bath noch heute das perfekte Freilichtmuseum für einen Austen-Roman ab. Eingebettet in eine sanfte englische Hügellandschaft, ist es die von 1714 bis 1837 reichende georgianische Epoche, die das Stadtbild bis in die Gegenwart prägt. Elegante Town Houses aus honiggelbem Kalkstein, dem sogenannten Bath Stone, reihen sich in exakter Symmetrie aneinander. Vor allem der Architekt John Wood drückte der Stadt seinen Stempel auf – eins seiner Meisterwerke: der Circus, ein historischer Ring aus eleganten Wohnhäusern palladianischen Stils. Vorbild für das kreisrunde Ensemble soll das römische Kolosseum gewesen sein. Zudem hat es exakt dieselben Ausmaße wie der berühmte neolithische Steinkreis Stonehenge. „In Austens Ära war es üblich, sonntags nach dem Gottesdienst einen Morgenspaziergang vom Circus hinüber zum Royal Crescent zu unternehmen. Die Häuser links des Crescent wurden von der Stadt übrigens als Windschutz gebaut, damit die Hüte der Damen nicht wegflogen“, erzählt Theresa Roche. Die Schauspielerin aus dem benachbarten Bristol schlüpft mehrmals die Woche ins luftige Empire-Kleid, greift zum Sonnenschirm aus zarter Spitze und streift die langen Handschuhe über, um Besucher auf den Spuren der berühmten Autorin durch Bath zu geleiten. Spätestens beim Royal Crescent, jenem 150 Meter langen Halbmond aus 30 Reihenhäusern mit 114 ionischen Säulen, stoßen Austen-Fans verzückte Seufzer aus. Szenen des Films „Persuasion“, zu Deutsch „Überredung“, wurden hier gedreht. In Jane Austens letztem Werk trifft Heldin Anne Elliot vor der imposanten Kulisse auf Captain Wentworth, ihre vor acht Jahren verschmähte Jugendliebe. Ungeachtet ihrer großen Gefühle ließ sich Anne damals überreden, die Verlobung zu dem mittellosen Marineoffizier zu lösen. Trotz alter Verletzungen flammt die Liebe der beiden wieder auf. Nach der Erneuerung der Verlobung flaniert das Paar glücklich über den bis heute existierenden Gravel Walk, auf dem sich die betuchte Gesellschaft im 18. Jahrhundert mit Sänften ins Stadtzentrum tragen ließ. „Eine gute Heirat war damals die einzige Absicherung der Frauen gegen Armut“, bemerkt Roche.
Einmal im Jahr Jane-Austen-Festival
Kein Wunder also, dass das Gästebuch des „Pump Rooms“, in das die Besucher An- und Abreise, aber auch ihre Adresse in Bath notierten, für die Mütter lediger Töchter Gold wert war. Die überaus elegante Trink- und Wandelhalle der Stadt war der gesellschaftliche Treffpunkt, um zu sehen und gesehen zu werden, um zu promenieren, Neuigkeiten auszutauschen, zu schäkern und anzubandeln und natürlich das ein oder andere Zipperlein auszukurieren, indem man das berühmte Heilwasser trank. Dessen Geschmack ist, nun ja, gewöhnungsbedürftig. Zum Glück kann man sich das mineralreiche Wasser heute mit Fruchtsäften mixen lassen – wenn man denn einen Platz ergattert in dem zu Frühstück, Lunch und Nachmittags-Tee stets gut gefüllten „Pump Room“. Mit seinen korinthischen Säulen und glitzernden Kronleuchtern ist das Flair der kurzen Regency-Epoche, in der alle Austen-Romane spielen, hier noch immer präsent. Ähnlich verhält es sich mit dem Holburne Museum, das heute Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts beherbergt, zu Austens Zeit jedoch das gefragte „Sydney Hotel“ war. „Zweimal die Woche fanden dort Bälle statt. Donnerstags waren es Maskenbälle. Die jungen Leute konnten in jedwedem Kostüm erscheinen. Die Möglichkeiten zu flirten waren endlos“, schwärmt Roche. Es ist anzunehmen, dass auch Jane Austen selbst dort den ein oder anderen Cotillon oder die Quadrille tanzte. Immerhin logierte sie mit ihren Eltern und Schwester Cassandra die ersten vier Jahre ihres Bath-Aufenthalts am Sydney Place Nummer vier gleich gegenüber des luxuriösen Hotels. Eine schwarze Plakette erinnert an die berühmte Mieterin. Die heute wie damals mehr als standesgemäße Adresse liegt am Ende der Great Pulteney Street, die mit ihren 30 Metern Breite und gut 335 Metern Länge vom georgianischen Architekten Thomas Baldwin gestaltet wurde und die mit Abstand schickste Flaniermeile der Stadt darstellt. An ihrem Anfang spannt sich die komplett bebaute Pulteney Bridge mit ihren kleinen Geschäften und Restaurants malerisch über den Avon. Vom darunter liegenden Parade Garden ist der Anblick besonders romantisch – wie geschaffen für eine Liebesszene à la Austen. An anderen Orten der Stadt braucht es dagegen ein wenig mehr Fantasie, um sich vorzustellen, wie es vor gut 200 Jahren ausgesehen haben mag. In „William Smith’s Millinery“ in der Stall Street etwa, soll Austens Tante, Mrs. Jane Leigh-Perrot, im Jahr 1799 doch tatsächlich teure Spitze gestohlen haben! Heute verkauft der Discounter Primark dort Billigklamotten made in Bangladesch.
Nach Tod des Vaters zog Jane Austen aufs Land
Apropos Kleidung. Musselin und zarte Stickereien, Sonnenschirme und Fächer, Spencer-Jacken und Federhüte, Redingotes und Frack bestimmen das Straßenbild Baths im Monat September. Dann feiert die Stadt jedes Jahr das Jane-Austen-Festival, das stets gut 3.500 Besucher aus der ganzen Welt anzieht. Cécile aus Montpellier und Bernard aus Paris zum Beispiel – er in cremefarbenem Frack, Kniebundhosen und Stiefeln, sie im weißen Empire-Kleid mit roter Perlenkette und Hochsteckfrisur. Wie Mr. und Mrs. Bennet wirken die beiden, während sie im eleganten „Regency Tea Room“ des Jane-Austen-Centres Platz nehmen. Nachdem sie sich in der kleinen Ausstellung zu den Bath-Jahren der Autorin informiert und sich das neue Wachsmodell angeschaut haben, das Auskunft darüber geben soll, wie Jane Austen eigentlich aussah, bestellen sie ganz gesittet einen Cream Tea à la Mr. Darcy. Kleine Cakes und Scones, Sandwiches und Macarons türmen sich auf silberner Etagère, Earl-Grey-Tee schimmert dunkel in hauchdünnen Porzellantassen. „Unsere Kostüme habe ich selbst genäht“, verrät die zierliche Cécile voller Stolz. Die Studentinnen Marianne und Rachel aus Ost-England hingegen, die zwei Etagen tiefer im Museumsshop nach Büchern ihrer Lieblingsautorin stöbern, haben ihre Kleider bei Ebay und in einem Wohltätigkeitsladen erstanden. Festivaldirektorin Georgia Delve, die Herrin über mehr als 80 Festival-Events ist – vom Karten-Abend über den Stickkurs bis zum Fecht-Workshop – trägt ein beiges Tageskleid mit hellen Tupfen, als sie die Teilnehmer des historischen Pall-Mall-Spiels im Croquet Club Bath einweist. „Das Festival gibt es seit 2001. Damals dauerte es nur ein Wochenende. Mittlerweile sind es zehn Tage, und wir bieten immer mehr Veranstaltungen an“, sagt sie stolz. „Die Höhepunkte sind zweifellos die große Parade und die Bälle.“ In der Tat. In den mondänen „Assembly Rooms“ führte im 18. Jahrhundert der legendäre Zeremonienmeister Richard „Beau“ Nash das Regiment. Der Dandy, der sich selbst auch als „König von Bath“ bezeichnete, war überzeugt, dass Eleganz, Geschmack und gute Manieren die Grundpfeiler jeder zivilisierten Gesellschaft seien. Wenn also beim Jane-Austen-Festival die Tänzer ganz nach Nashs Regeln Aufstellung nehmen, die Herren den Kopf neigen, die Damen leicht im Knicks versinken, dann scheint es tatsächlich so, als würde die Welt der Elizabeth Bennets und Fitzwilliam Darcys wieder lebendig. Und ein jeder Teilnehmer unterschreibt wohl den Satz von Austens Heldin Catherine Morland aus „Northanger Abbey“, die voller Inbrunst seufzt: „Ach! Wer könnte Bath jemals überdrüssig werden?“
Für Jane Austen selbst gab es jedoch kein ganz so glückliches Ende wie für ihre Heldinnen. Nach dem unerwarteten Tod des Vaters 1805 konnten sich die Frauen der Familie Austen das teure Bath nur noch kurze Zeit leisten. „Zuletzt lebten sie in einem Haus in der Trim Street“, erzählt Theresa Roche. „Das war eine ganz schlimme Gegend voller Bordelle, Bettler, Diebe und Spieler. Keine anständige Dame würde dorthin einen Fuß setzen.“ So zog Jane schon bald zusammen mit ihrer Mutter und mit Schwester Cassandra zurück aufs Land, erst nach Southampton, dann nach Hampshire. Immerhin gelang es ihr, noch zu Lebzeiten veröffentlicht zu werden. Ihren Namen sah sie allerdings nie gedruckt – in den Büchern hieß es zur Autorenschaft stets nur „by a lady“. Auch die große Liebe fand sie nie und blieb zeitlebens unverheiratet. Mit gerade mal 41 Jahren verstarb Jane Austen. Ihre Bücher jedoch leben weiter – nicht nur in Bath.