Ein großer Teil der Krummhörner Küste in Ostfriesland steht unter Naturschutz und gehört seit 2009 zum Weltnaturerbe der Unesco. Daneben gibt es in der Region noch viel mehr zu entdecken.
Flach, flacher – Krummhörn. Tatsächlich ist dies für alle Reisenden der erste Eindruck, wenn sie noch niemals zuvor die Region Ostfriesland im Nordwesten der Republik besucht haben. Weite Wiesen, kleine Dörfer, gewöhnungsbedürftige Windparkanlagen und ein dichtes Netz von Entwässerungsgräben und Kanälen durchziehen diese kaum bewaldete Gegend, die nur auf den ersten Blick karg und ein wenig eintönig erscheint. Im südlichen Teil vom Fahrwasser der Ems, im westlichen und nördlichen Teil des Wattenmeers der Nordsee begrenzt, verteilen sich auf den rund 160 Quadratkilometern nur knapp 20.000 Einwohner, womit die Gemeinde Krummhörn zu den dünn besiedelten Gegenden Deutschlands gehört. Die Bezeichnung Krummhörn stammt aus dem Niederdeutschen und meint so viel wie „Krumme Ecke“. Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Landkarte, dass der Zipfel dieser Halbinsel wie eine Nase in das Mündungsgebiet der Ems ragt. In der Vergangenheit, als durch Eindeichungen der See noch kein Land abgerungen war, wurde das Land durch zahlreiche tiefe Buchten gesäumt, verwinkelt und krumm war früher die ganze Gegend.
Ein rauer Landstrich mit wilder Natur
Ebenso eindringlich der zweite Eindruck: Scheinbar grenzenlos wölbt sich ein mächtiger Himmel über das Land, strahlend blau, wolkenverhangen oder einfach nur als makelloser Hintergrund gemächlich dahin schwebender Wattewolken. Oft weht auch ein heftiger Wind. Er biegt die Baumkronen der wenigen Wälder und Bäume, die zwischen den Feldern und Weiden als Windfang dienen. Je näher man der Nordseeküste kommt, desto mehr macht er sich bemerkbar. Er kräuselt die kleinen Wellen in den Prielen des Wattenmeers, fegt den feinen Sand von den Dünen und jagt ihn wild tanzend knapp über den Boden der weiten Strände der beiden vorgelagerten Inseln Juist und Norderney. Krummhörn ist ein rauer Landstrich, und nur mühsam trotzten seine Bewohner über Jahrhunderte der wilden Natur. Es brauchte Zeit, bis begriffen wurde, dass man die Natur nicht nur zähmen und nutzen konnte, sondern dass man sie auch vor der Ausplünderung durch den Menschen schützen muss. Heute steht ein großer Teil der Krummhörner Küste als Nationalpark unter Naturschutz und gehört seit 2009 zum Weltnaturerbe der Unesco.
Jahrhundertelang ging es nur darum, die flache Gegend vor dem Meer zu schützen und sie für Ackerbau und Viehzucht nutzbar zu machen. Siedelten die Friesen ab dem 8. Jahrhundert noch auf schlichten Erderhöhungen, ermöglichte erst der Deichbau 300 Jahre später halbwegs Schutz vor den regelmäßigen Heimsuchungen der Sturmfluten. Vor allem die Häuptlingsfamilien der Cirksena beherrschten bis zum Ende des Mittelalters das Land und erst nach den Wirren des Dreißigjährigen Krieges gelang es unter preußischer Verwaltung, den Landesausbau zu systematisieren: Durch Moorkolonisierung und weiteren Deich-Ausbau wurde auch hier die Kartoffel heimisch, Getreide angebaut und erste Exporte ins Ausland möglich. Scharf war die Spaltung der Agrargesellschaft: reiche, stockkonservative Bauern einerseits, verarmte und rechtlose Landarbeiter andererseits. Nicht selten schliefen diese mit dem Vieh im Stall und gaben ihre 13-jährigen Kinder nach dem Schulbesuch in die Knechtschaft der Großgrundbesitzer. Auswanderungswellen im 19. und 20. Jahrhundert waren die Folge. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg trugen die Errichtung des VW-Werks in Emden, die Industrialisierung und der Ausbau der touristischen Infrastruktur zu einem nennenswerten wirtschaftlichen Aufschwung bei. Neben der Landwirtschaft gewann vor allem der Fremdenverkehr an Bedeutung. Im Mittelpunkt stehen hier die beiden Inseln Juist und Norderney sowie das pittoreske Fischerdorf Greetsiel. Seine Ursprünge gehen bis ins Ende des 13. Jahrhunderts zurück.
Kleine sorgfältig gepflegte Häuser
Der Name Greetsiel setzt sich aus Gred für Wiese beziehungsweise Weideland und Siel als Durchlass beziehungsweise Abfluss von Wasser zusammen. Unmittelbar gelegen an der Leybucht ist Greetsiel hier der einzige Ort, der durch eine Schleuse zwischen Hafen und Meer unabhängig von den Gezeiten für die Schiffe erreichbar ist. Und wie der Name verspricht, ist dann auch heute noch ein altes Siel im Ortskern – das dritte seiner Art an dieser Stelle und nach Restauration 1990 wiedereröffnet – und ein Schöpfwerk am Ortsrand zu bestaunen, die den Ort und das Hinterland vor drohenden Überflutungen bewahren und entwässern.
Im Mittelpunkt steht die Sielstraße, gesäumt von zahlreich erhaltenen kleinen und sorgfältig gepflegten Häusern, die einstmals Fischern und Seeleuten vorbehalten waren. Heute finden sich dort kleine Geschäfte, Restaurants und Ferienwohnungen. Diese Umwidmung hat jedoch nicht zu einer drastischen Veränderung des Ortsbildes geführt. Kein Wunder, dass es mehrfach als Kulisse für Film- und Fernsehaufnahmen genutzt wurde und heute als eines der beliebtesten Postkartenmotive Ostfrieslands benutzt wird. Malerisch fügen sich hier die dicht hintereinanderliegenden, an der Kaimauer vertäuten Kutter der Krabbenfischer ein, die eine fragwürdige Idylle vortäuschen. Denn notwendige Umweltauflagen und Fangbeschränkungen führen immer wieder zu Protesten der Fischer. Sie befürchten den Niedergang des heimischen Krabbenfangs. Krabben wurden ursprünglich als eiweißreiche Nahrung an das Vieh verfüttert und galten erst später als Delikatesse. Die Preise für Krabben und Fischbrötchen sind mittlerweile durchaus sportlich. Wer Geduld und starke Nerven hat, kauft seine Krabben fangfrisch und ungepult als Granat und nimmt die fällige Handarbeit als besondere Herausforderung.
Doch der Ort hat neben dem Krabbenkult und dem alljährlichen Kutterkorso noch mehr zu bieten. Die Greetsieler Woche hat sich mittlerweile zu einem regelrechten Kunstmarkt entwickelt: Keramik, Bildhauerei, Malerei und Goldschmiedehandwerk werden geboten. Auch ein Bummel zu den Zwillingsmühlen ist lohnenswert und stets ein dankbares Fotomotiv. Wer hingegen die Gaudi mag, besucht das Schlickschlittenrennen im südlich gelegenen Upleward, das auf festgelegten Strecken im Watt an die frühere Arbeit der Reusenfischer erinnert.
Einmaliger Lebensraum für Pflanzen und Tiere
Überhaupt bietet das weitere Umland Greetsiels attraktive Ausflugsziele in der Krummhörn. Groothusen etwa, per Auto nur knapp 20 Minuten vom touristischen Zentrum entfernt, galt früher als bedeutsamer Handelsplatz, und die dort gelegene Osterburg und der umliegende Park mit seiner denkmalgeschützten, 250 Meter langen Allee laden zum Flanieren ein. Die kleine Burg selbst ist von einem Wassergraben umgeben und der Besucher (Anmeldung erforderlich) wird von Löwenskulpturen auf den barocken Torpfeilern begrüßt.
Der Pilsumer Leuchtturm hingegen hätte es zu seiner Bekanntheit kaum gebracht, wäre hier nicht 1989 der Film „Otto – Der Außerfriesische“ gedreht worden. Eigentlich sollte der Leuchtturm im Rahmen einer Deicherhöhung nach der Sturmflut 1962 abgerissen werden, aber dem beherzten Einspruch des Deichrichters Ohling waren sein Erhalt und sein Neuanstrich in rot-gelben Ringen zu verdanken. Otto-Fans hinterlassen hier gerne Grüße und Botschaften an die eingeschworene Gemeinschaft.
Wer mehr die Ruhe liebt und der Natur mit Interesse, Bewunderung und Interesse gegenübertritt, findet in den geschützten Flächen des Nationalparks sein Revier. Salzwiesen, auch als Neptuns Vorgarten bezeichnet, entstehen an den flachen Küsten unter dem Einfluss der Gezeiten. Gerade im Frühjahr und Sommer blühen rosafarbene Strandgrasnelken und lila-weißer Strandflieder, im Herbst färbt sich der Queller von Gelb in Rotbraun. Die Salzwiesen und ihre Pflanzenwelt bietet 400 Insektenarten einen einmaligen Lebensraum, und sie sind streng zu schützendes Brut- und Rastgebiet für Hunderttausende Zugvögel. Auch das Wattenmeer, das auf den ersten Blick einer öden Schlickwüste ähnelt, ist ein quirliger Lebensraum von hoher Produktivität. Es ist die Kinderstube der Nordseefische, Heimat für Seehunde und Kegelrobben und ein einmaliges Areal für Pflanzen und Tiere, die für ihr Überleben eigene Strategien entwickelt haben. Informationen, fachkundige Führungen und vielfältige Angebote, um diesen besonderen Lebensraum zu erkunden, bieten Kurverwaltungen und Touristenbüros. Es lohnt unbedingt, eine Reise ins Land der unendlichen Weite zu unternehmen.