Der ehemalige CDU-Generalsekretär und Berliner Bundestagsabgeordnete Mario Czaja fordert, dass seine Partei in den ostdeutschen Ländern auch bereit sein muss, Koalitionen mit der Linkspartei auszuhandeln.
Es ist ein angenehmer Tag in Berlin, knapp zwei Wochen sind es noch bis zu den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen. In der CDU-Parteizentrale muss man sich mit einer für die Partei unangenehmen Sache beschäftigen. Ausgerechnet der Mann, dessen Aufgabe es als Generalsekretär der Partei war, dem Vorsitzenden Friedrich Merz den Rücken freizuhalten und die CDU klar zu positionieren, sorgt für Ärger: Mario Czaja, von Januar 2022 bis Juli 2023 Generalsekretär der Christdemokraten, will das Spiel nicht mehr mitmachen. Er will die Regeln ändern – und den Blickwinkel.
Die Regeln formuliert ein Partei-Sprecher an diesem Tag auf FORUM-Anfrage noch mal ganz klar: „Die Beschlusslage der CDU Deutschlands ist klar: keine Koalitionen oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit, weder mit der AfD noch mit der Linkspartei. Die Beschlüsse des Präsidiums und Bundesvorstandes vom 24. Juni 2019, sowie der Beschluss des Präsidiums vom 7. Februar 2020 bekräftigen zeitlich nachfolgend diesen Beschluss des 31. Bundesparteitages vom 8. Dezember 2018.“
Schlechtestes CDU-Ergebnis in Thüringen
Während in der Parteizentrale gerechnet wird, für welche Bündnisse die Ergebnisse der Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen am 1. September und dann in Brandenburg am 22. September unter diesen Bedingungen reichen könnten, fordert der Ex-Generalsekretär und Berliner Bundestags-Abgeordnete Mario Czaja seine Partei auf, neu zu denken und zu handeln. In seinem mitten im Wahlkampf erschienen Buch „Wie der Osten Deutschland rettet“ rät er zu einer „Pragmatischen Zusammenarbeit mit der Linkspartei“, zu Koalitionen auf Kommunal- und Landesebene – zumindest im Osten.
Es sei ein Fehler gewesen, das nicht schon vor fünf Jahren getan zu haben, sagt Czaja und erinnert an den Wahlabend in Thüringen im Herbst 2019: „Die Partei des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow erhielt etwa 345.000 Zweitstimmen. Die Linke legte zu und wurde mit 31 Prozent erstmals bei einer Landtagswahl im wiedervereinigten Deutschland stärkste Partei“, schreibt er. Auch die AfD legt zu und wurde vor der CDU zweitstärkste Kraft. Die CDU holte ihr bis dahin schlechtestes Ergebnis in Thüringen: 22 Prozent. „Ein genauer Blick zeigt jedoch, dass die CDU in den Wahlkreisen bei den Erststimmen deutlich zulegen konnte. Hier gewann sie mit ihren Kandidaten gut 300.000 Stimmen“, sagt Czaja.
Für die bis dahin in Thüringen regierende rot-rot-grüne Landesregierung reichte es wegen der Verluste von SPD und Grünen nicht mehr. „Ein stabiles Bündnis, das das Land vereint und versöhnt hätte, wäre nur mit einer Allianz aus der Partei des Ministerpräsidenten Bodo Ramelow und der CDU als Partei mit den meisten Stimmen aus den Wahlkreisen möglich gewesen. Ein solches Bündnis hätte den Gewinner der Erststimmen mit dem Gewinner der Zweitstimmen zusammengeführt“, ist Czaja überzeugt.
Es kam anders. Bodo Ramelow bekam nicht genug Stimmen. Schließlich wurde der FDP-Mann Thomas Kemmerich mit Stimmen von AfD, CDU und FDP zum Ministerpräsidenten gewählt. Die bundesweite Aufregung war groß. Nach wenigen Tagen trat Kemmerich wieder zurück. Ramelow wurde schließlich zum Ministerpräsidenten gewählt, weil sich die CDU der Stimme enthielt. Die CDU habe Ramelow „mit den verzagten Enthaltungen“ geduldet, statt mit ihm zusammenzuarbeiten und dabei eigene Positionen durchzusetzen, schreibt Czaja. Aber die Hauptsache schien gewesen zu sein: „Für die Bundespolitik war wieder alles im Reinen“ und „die Regeln der westdeutsch dominierten Bundespartei waren durchgesetzt“.
Es dürfe aber bei den nun anstehenden Entscheidungen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg nicht darum gehen, irgendwelche Vorgaben aus dem Westen zu erfüllen. Es brauche „Entscheidungssouveränität für einen unideologischen Umgang mit der Linken, um politische Mehrheiten und stabile Regierungen in den neuen Bundesländern zu ermöglichen“, fordert Czaja. Seine Partei müsse auch damit aufhören, die Linke und die AfD gleichzusetzen.
„Die Linkspartei ist eigentlich eine sozialdemokratische Partei“, erklärt er. In Berlin, wo die Linke mit mobil gemacht hat für das erfolgreiche Volksbegehren, das die Enteignung großer Wohnungskonzerne fordert, müsse man sehen, wie sich die Partei entwickelt. „Aber in den ostdeutschen Ländern ist die Linkspartei pragmatischer und staatstragender als manche SPD-Regionalgruppen“, sagt Czaja. Er denkt dabei vor allem an Teile der hessischen SPD.
„Radikale Vereinfacher und Reichsbürger“
„Die AfD dagegen besteht maßgeblich aus radikalen Vereinfachern. Reichsbürger und Holocaustleugner werden geduldet. Sie lehnt in maßgeblichen Teilen unsere demokratische Grundordnung ab, will sie gar überwinden“, schreibt der CDU-Abgeordnete. Und: „Nein, die Linkspartei ist nicht die gleiche Gefahr von links. Sie ist vor allem in den neuen Bundesländern eine Partei von Menschen mit linkspragmatischem Faible und ostdeutscher Lebenserfahrung. Mit ihr kann auch die CDU kommunal oder in einem Bundesland für eine abgesteckte Zeit und mit klaren Zielen gemeinsame Verantwortung übernehmen.“
Der Ex-CDU-Generalsekretär stellt aber nicht nur die Bündnisfrage. Er fordert auch einen anderen Umgang mit dem Osten. Der sei „bis heute weitgehend nur die verlängerte Werkbank der großen westdeutschen Konzerne“. Das bedeute, dass im Osten gearbeitet wird, aber die Steuern am jeweiligen Konzernsitz im Westen gezahlt werden. Diese „erhebliche Steuerungerechtigkeit“ müsse man durch neue Gesetze beheben. Außerdem müsse eine „zweite Halbzeit Aufbau Ost“ eingeleitet werden – mit „intelligenten Sonderförderzonen im Osten“.
Den Osten ernst zu nehmen bedeute auch, eine „Ostquote“ einzuführen. Das bedeutet für Czaja: „20 Prozent der zu besetzenden Stellen in den Bundesministerien müssen mit Ostdeutschen besetzt werden. 50 Prozent der Spitzenpositionen in den ostdeutschen Landesministerien, den ostdeutschen Rundfunk- und Fernsehanstalten und kommunalen Verbänden müssen an Ostdeutsche vergeben werden.“
Es gehe um Chancengleichheit in allen Teilen Deutschlands, sagt Czaja. Deshalb fordert er auch einen Kapitalfond aus dem jedes Kind den gleichen Betrag bekommt, den es dann später unter anderem für ein Studium oder eine Unternehmensgründung einsetzen kann. 20.000 Euro pro Kind wären in so einem Fond „durch eine moderate Erhöhung oder gerechtere Veranlagung der Erbschaftssteuer problemlos refinanzierbar“, schreibt der Christdemokrat.
Der Mann habe mit seinem Buch politischen Selbstmord begangenen – zumindest, wenn er in der CDU weiterarbeiten wolle, heißt es aus der CDU hinter vorgehaltener Hand. Ganz offen äußert sich der Generalsekretär der gerade nicht wahlkämpfenden CDU Sachsen-Anhalt, Mario Karschunke, auf FORUM-Anfrage. „Unsere Grundsatzbeschlüsse zum Ausschluss strategischer und institutioneller Zusammenarbeit mit der AfD und der Partei Die Linke gelten weiterhin; hieran wird sich nichts ändern. Mit der Gründung des BSW wurde die Partei Die Linke gespalten“, sagt er. Nachdem nun auch noch die Linken-Bundesvorsitzenden angekündigt haben, nicht wieder zu kandidieren, ringe die Partei „um Inhalte und Führung“. „Die Linke versinkt zunehmend in der Bedeutungslosigkeit. Ich wüsste nicht, weshalb wir diesen Prozess durch eine nicht notwendige Kooperation aufwerten sollten“, kommentiert Karschunke den Vorstoß Czajas.
Auch der Vorsitzende der CDU Mecklenburg-Vorpommern, Daniel Peters, verweist ebenso wie eine Sprecherin der CDU Brandenburg auf die „klare Beschlusslage der Bundespartei“. Peters schreibt an FORUM: „Abseits dessen sehe ich sehr wenige politische Schnittmengen mit der Linken. Und eingedenk ihrer Leistungsbilanz in der hiesigen Linkskoalition darf man zweifeln, dass sie überhaupt wieder in den Landtag kommt.“